Kulturkontakt im alten Ägypten
| 09. Dezember 2010Keramikscherben, alte Werkzeuge, persönliche Gegenstände, Installationen zur Vorratshaltung oder Überreste von Schlammziegelmauern sind die Quellen der Ägyptologin Bettina Bader. Was diese Befunde und Artefakte über das - vermutlich interkulturelle - Zusammenleben der BewohnerInnen einer altägyptischen Siedlung verraten, untersucht die Elise-Richter-Stipendiatin an einer Ausgrabungsstätte der Universität Wien im heutigen Tell el Dab'a (Provinz Sharqia) im nordöstlichen Nildelta.
Migration hat es in der Menscheitsgeschichte schon immer gegeben. In ihrem aktuellen FWF-Projekt "Ausländer in Ägypten, Archäologie und Kulturkontakt" untersucht Bettina Bader vom Institut für Ägyptologie das Phänomen aus archäologischer Perspektive: Sie will u.a. herausfinden, ob in der altägyptischen Siedlung, die sie untersucht, im späten Mittleren Reich und in der Zweiten Zwischenzeit (ca. 1800 bis 1550 v. Chr.) bereits Menschen mit Migrationshintergrund gelebt haben.
Dabei konzentriert sich die Archäologin zum einen auf die genaue und daher zeitaufwendige Datensammlung und Untersuchung von archäologischen Fundstücken - wie z.B. Keramikscherben oder Steinwerkzeugen. Zum anderen beleuchtet sie die Siedlungsgeographie, um mehr über die Lebensumstände der EinwohnerInnen zu erfahren bzw. Rückschlüsse auf einen möglichen Kulturkontakt ziehen zu können. "Sollten beispielsweise Hausgrundrisse oder gewisse Installationen wie etwa Kochstellen eine größere Ähnlichkeit zu levantinischen Anlagen haben als zu ägyptischen, liegt der Schluss nahe, dass hier Menschen mit einer kulturellen Affinität zur Levante wohnten", so die Wissenschafterin.
Alltagsgeschichten aus Tell el Dab'a
Archäologisch gesehen ist das Gebiet, das im Zentrum der Untersuchung steht, kein unbeschriebenen Blatt mehr. Die 3.000 m2 große Siedlung im Tell el Dab'a im nordöstlichen Nildelta wurde in den 1960er und 1970er Jahren unter der Leitung von Manfred Bietak, emeritierter Professor am Institut für Ägyptologie, ausgegraben. Dabei konnten unter anderem mehrere Paläste aus der Zeit des Neuen Reiches freigelegt werden.
Die Fundstücke, mit denen sich Bietaks Kollegin Bader beschäftigt, sind zwar weniger spektakulär und auch nicht so gut erhalten, für die Siedlungsarchäologie dennoch von zentraler Bedeutung: "Ihre Analyse ist vor allem für die Rekonstruktion der Sozialgeschichte relevant, denn diese Artefakte geben Auskunft darüber, wie das Leben der BewohnerInnen vor tausenden Jahren ausgesehen haben könnte", sagt die Elise-Richter-Stipendiatin.
Außerdem, so ihre Hypothese, lassen sich dadurch Migrationsprozesse nachweisen: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich in der von mir untersuchten Siedlung zumindest einige MigrantInnen aus der Levante niedergelassen haben, da in zeitgleichen Gräbern Artefakte von levantinischer Herkunft gefunden wurden."
Migriert oder gehandelt?
Genau hier liegt die archäologische Herausforderung: "Es ist nicht so einfach, archäologische Funde mit Migration in Verbindung zu bringen. Die Artefakte könnten ja auch durch Handel in diese Gebiete gelangt sein", so die Wissenschafterin. Denn Tell el Dab'a war, davon gehen ÄgyptologInnen heute aus, zu jener Zeit eine Hafenstadt und somit ein Schnittpunkt zwischen ägyptischer und levantinischer Kultur. "Nachweislich hat es hier umfangreichen Handel mit levantinischen Gebieten, also mit den Ländern des östlichen Mittelmeerraums wie etwa Zypern, Syrien, Libanon oder Palästina gegeben."
Blick in den Privatbereich
Um "migrierte" Gegenstände von "gehandelten" zu unterscheiden, wendet Bader eine besondere Methode an: Sie wirft einen genaueren Blick auf die "internen Sphären", die privaten Bereiche innerhalb der altägyptischen Siedlung. "Ich gehe davon aus, dass archäologische Artefakte, die sich bestimmten Wohnräumen der Häuser zuordnen lassen, auch Indiz für die kulturelle Zugehörigkeit der BewohnerInnen sind", sagt sie: "Ein gutes Beispiel hierfür ist der private Bereich der Küche: Die Zubereitung sowie der Verzehr von Speisen war schon vor tausenden Jahren stark kulturell gefärbt. Davon zeugen neben der Gestaltung der Kochplätze vor allem auch die Koch- und Esswerkzeuge."
Datensammlung und Zuordnung
Zunächst geht es der Ägyptologin jedoch darum, die Funde systematisch zu katalogisieren. Erst danach kann sie beginnen, das Alltagsleben der SiedlungsbewohnerInnen anhand der Artefakte und ihrer Fundorte zu rekonstruieren. Hier sollen auch Themen wie Handel, soziale Stratifizierung oder Genderbeziehungen berücksichtigt werden. "Der Fokus liegt jedoch auf Migration", betont Bader und hofft, mit ihrem Projekt neue archäologische Erkenntnisse in die heutige Migrationsdebatte einbringen zu können. (pp)
Das FWF-Projekt "Ausländer in Ägypten, Archäologie und Kulturkontakt" unter der Leitung von Mag. Dr. Bettina Bader vom Institut für Ägyptologie wird im Rahmen eines Elise-Richter-Stipendiums gefördert und läuft von April 2010 bis März 2012.