Made in Korea

Ob Samsung-Handy in der Hosentasche, Hyundai-Auto in der Garage oder Gangnam-Style auf YouTube – Produkte "Made in Korea" sind Teil unseres Alltags. In einer Digital Lecture analysiert Klaus Marhold vom Institut für Ostasienwissenschaften dieses Phänomen.

"Wenn wir von Korea sprechen, denken wir primär an Südkorea. Und das, obwohl die Demokratische Volksrepublik Korea, besser bekannt als Nordkorea, flächenmäßig sogar größer ist", gibt Ostasien-Experte Klaus Marhold zu bedenken. Das liegt nicht zuletzt an den südkoreanischen Produkten, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind: Dank Samsung und Co. avancierte Südkorea 2012 zur siebtstärksten Exportnation der Welt. Klaus Marhold ist Mitglied der Plattform "Vienna Digital Korean Studies" unter der Leitung von Rainer Dormels von der Universität Wien und gestaltete für das Forschungsnetzwerk eine Digital Lecture, in der er Technikwissen mit Geschichte und aktuellen Entwicklungen verbindet.


Korea "vernetzt": Das internationale Projekt "Vienna Digital Korean Studies Platform" unter der Leitung von Rainer Dormels vereint internationale Forschungsarbeiten rund um Korea – von Subtexten in Volksliedern bis zu Produkten "Made in Korea."



In zwei Generationen vom Entwicklungsland zur Industrienation

In den vergangenen 50 Jahren hat sich Südkorea stark verändert und einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Heutzutage sind es vor allem Autos und IT-Produkte wie Handys und Tablets, die internationale Märkte überschwemmen. In den 1960er Jahren zählten hingegen Textilien, Sperrholz und Perücken zu den Hauptexportgütern – dafür brauchte es keine Technologie: "Günstige Arbeitskräfte – meistens waren es Fabrikarbeiterinnen – reichten aus", so Marhold.

Heute ist es fast nicht mehr vorstellbar, dass Südkoreas Bruttoinlandsprodukt noch Mitte der 1970er Jahre niedriger war als das von Nordkorea. Wie sich Südkorea innerhalb von zwei Generationen vom Entwicklungsland zur Exportnation entwickelt hat, ist eine Frage, die nicht nur die WissenschafterInnen der Universität Wien beschäftigt. "Südkorea ist ein Fallbeispiel, für das sich viele andere Entwicklungsländer interessieren. Vor zwei Jahren wurde ich in meiner Funktion als Koreanologe zu einem Trainingsprogramm für nepalesische Regierungsmitglieder eingeladen, die dem 'Geheimrezept' Koreas auf der Spur waren."


"Made in Nordkorea? Nordkoreas Exportprodukte sind international weniger von Bedeutung, aber es gibt sie doch: "Ein interessantes Geschäft macht Nordkorea mit Prunkstatuen aus Bronze, die vor allem auf dem afrikanischen Markt AbnehmerInnen finden. Auch wurde Nordkorea lange Zeit mit dem internationalen Drogenhandel in Verbindung gebracht, da Opium angebaut und später Meth in Laboren hergestellt wurde. Soju, eine Art klarer Schnaps, wird ebenfalls in Nordkorea destilliert und wurde 2008-10 sogar in die Vereinigten Staaten von Amerika exportiert. Hauptexportgut sind jedoch die Rohstoffe des Landes", erklärt der Koreanologe. (Im Bild: Bronzestatue Kim Il Sungs in Pyongyang/Foto: Peter Enyeart, flickr) 



Ein südkoreanisches Geheimrezept?

Auf die Frage nach dem wirtschaftlichen Aufschwung Südkoreas gibt es viele Antworten. "Zunächst waren die äußeren Umstände günstig, da das Land nach dem Korea-Krieg von den Vereinigten Staaten im Verteidigungsbereich unterstützt wurde", erklärt der Koreanologe: "Weiters richtete die Regierung ein Planungsbüro für Wirtschaftsangelegenheiten ein, um die Konjunktur zu steuern. Noch heute sind Politik und Wirtschaft in Südkorea eng miteinander verflochten." Die Bevölkerung hingegen hätte den Fortschritt teuer bezahlt und viele Entbehrungen hinnehmen müssen, so der Experte.

Kontrolle der Exportprodukte

Das erste Auto "Made in Korea" ging übrigens bereits Mitte der 50er Jahre in Bau und Vertrieb: Der einem Militärfahrzeug nachempfundene Jeep "Sibal", koreanisch für "Neubeginn". Die Regierung schützte fortan die heimische Autoproduktion: "1962 wurde das 'Automotive Industry Promotion Law' verabschiedet und der Import ausländischer Karosserien verboten. Als Korea schließlich die Einfuhr ausländischer Marken gestattete, wurden die Importautos mit hohen Steuern belegt. So stammten noch Ende der 1990er Jahre nur 0,2 Prozent der Autos in Südkorea von nicht-koreanischen Herstellern", berichtet Marhold.

Im Einfluss der Konzerne

"In Südkorea ist jeder Aspekt des Alltags mit einer Firma verbunden", erklärt Marhold. Die Firma Samsung, die hierzulande vor allem für Handys und Tablets bekannt ist, stellt in Südkorea weitaus mehr her: Lebensversicherungen, Schiffswerften, Apartmenthäuser, Vergnügungsparks, Triebwerke für Kampfflugzeuge, Kanonen für die Armee oder Kreditkarten. "Die Konzerne haben einen großen Einfluss. Jeder Firma gehört ein Anteil an einer anderen Firma, so kann dieser Einfluss auch auf Dauer gehalten werden", weiß der gebürtige Wiener.

Leistungsdruck im Kindesalter

"Die Arbeitsbedingungen in den großen Konzernen sind meistens schlecht: 10-Stunden-Tage, bei 15 Urlaubstagen pro Jahr, von denen die Krankheitstage abgezogen werden", sagt Marhold. Dennoch: Viele Menschen in Südkorea möchten für eine dieser prestigeträchtigen Firmen arbeiten. "Es herrscht ein großer Leistungsdruck in der südkoreanischen Gesellschaft, der schon im Kindesalter beginnt. Es gibt standardisierte Aufnahmeprüfungen für die Universität, die je nach Punktzahl den Karriereweg entscheiden. Auch die Firmen arbeiten mit automatisierten Einstellungstests, die so einigen BewerberInnen schlaflose Nächte bescheren. Südkorea führt nicht ohne Grund bereits seit Jahren die Suizid-Statistik der OECD an", so Marholds traurige Beobachtung.

Ein Umbruch liegt in der Luft

"Aber so langsam ist auch in Südkorea ein Umbruch zu spüren", lenkt Marhold ein: "Man möchte den Fortschritt, aber nicht mehr um jeden Preis." Der Koreanologe wird immer wieder Zeuge davon, dass faire Arbeitsbedingungen eingefordert und die Dominanz der großen Firmen in Frage gestellt werden.


PSYs "Gangnam Style" ging dank YouTube um die Welt. Aufgrund der zahlreichen Aufrufe wurde der K-Pop-Song 2012 sogar in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. "Gangnam wurde medial ausgeschlachtet, denn durch diese 'Soft Power' steigt der internationale Bekanntheitsgrad des Landes. Je mehr kulturelle Güter Südkorea exportiert, desto mehr Technologie wird verkauft", so Marhold. (Video: YouTube)



"Der Faktor Billigproduktion spielt in Südkoreas Wirtschaft keine Rolle mehr, denn das kann China – der wohl größte Konkurrent Südkoreas – besser. Viele Firmen versuchen nun den Sprung von der Imitation zur Innovation. So werden zum Beispiel die Kreativwirtschaft oder die Entwicklung von Umwelttechnologien immer wichtiger", sagt Marhold. "Südkorea muss seinen Weg noch finden, gerade das macht die Region als Forschungsfeld so spannend."

Von Seoul nach Wien und zurück

Klaus Marhold arbeitete in der Raumfahrtforschung, bevor er 2005 sein Koreanologie-Studium am Institut für Ostasienwissenschaften begann. Seit 2010 macht der 31-Jährige ein Doktorat in Technologiemanagement an der Seoul National University, hält parallel aber auch immer wieder Kurse an der Universität Wien ab. Aus seiner Wahlheimat Korea bringt er nicht nur Diskussionsstoff für die Wiener Studierenden mit: "Momentan sind in Südkorea die Selfie-Sticks ein großer Trend. Vor jeder Sehenswürdigkeit sind Menschen zu sehen, die mit ihrem Handy an einem Stab befestigt Selbstporträts aufnehmen – den musste ich einfach für meine Familie kaufen", lacht Marhold. (hm)

Die vorgestellte Digital Lecture "Made in Korea" von Klaus Marhold ist Teil der "Vienna Digital Korean Studies Platform". Das Projekt läuft noch bis 2016 und wird von der Academy of Korean Studies finanziert und regelmäßig evaluiert. ForscherInnen der Universität Wien, der Central European University in Budapest und der Sofia University arbeiten an unterschiedlichen Subprojekten, veranstalten regelmäßig Workshops, Symposien und stellen Material digital zur Verfügung.