Neue Zeitmessung für Gesteine
| 07. Februar 2012ErdwissenschafterInnen stehen vor der Herausforderung, Gesteinsschichten genauen Zeiten zuzuordnen. Eine neue, an der Universität Wien erprobte Methode erlaubt es, erdgeschichtliche Ereignisse mit Hilfe von astronomischen Zyklen zu datieren. Kürzlich wurden die Ergebnisse publiziert.
Seit dem 19. Jahrhundert besuchen PaläontologInnenen und GeologInnen das Wiener Becken, um Gesteinsabfolgen des Neogens ("Jungtertiär") zu untersuchen. Besonders vielbesuchte und mittlerweile klassische Fundstellen in der Gegend von Baden/Sooß haben dazu geführt, dass eine regionale Stufe der Erdzeitaltergliederung heute als "Badenium" bezeichnet wird. Die typische Gesteinsabfolge (Stratotyp) dieser Stufe war in der heute verfüllten Ziegelei Baden/Sooß zugänglich. Diese mehr als 13 Mio. alten Sedimentschichten genau zu datieren stellt allerdings ein Problem dar, da direkte Altersbestimmungsmethoden – wie durch radioaktiven Zerfall datierbare vulkanische Kristalle – kaum anwendbar sind.
Änderungen der Erdbahnparameter herangezogen
Michael Wagreich vom Department für Geodynamik und Sedimentologie und Johann Hohenegger vom Institut für Paläontologie haben nun eine neue Methode angewandt, die zur Datierung der Sedimentschichten periodische Schwankungen der Erdbahnparameter heranzieht: Erdbahnparameter – wie Exzentrizität (Variation der Ellipsenform der Erdumlaufbahn um die Sonne), Schiefe (Änderung des Neigungswinkels der Erdachse) und Präzession (Kreiselbewegung der Erdrotationsachse) – ändern sich periodisch im Laufe von mehreren 10.000 bis 100.000 Jahren. "Diese Änderungen der Erdbahnparameter wirken sich durch Änderungen der Sonneneinstrahlung direkt und langfristig auf das Klima der Erde aus und haben nicht nur die jüngsten Eiszeiten gesteuert, sondern beeinflussten generell das Klima der Vergangenheit", sagt Michael Wagreich.
Sedimentarchive genau datiert
Diese Klimazyklen können in – möglichst kompletten – Sedimentabfolgen mit Hilfe der hochauflösenden Messung klimasensitiver Gesteinsparameter wie Karbonatgehalt, organischer Kohlenstoffgehalt oder magnetischer Gesteinseigenschaften rekonstruiert werden. "Der hochpräzise Vergleich mit der rückgerechneten theoretischen Erdeinstrahlungskurve auf der Basis der periodischen Schwankungen der Erdbahnparameter erlaubt es, Sedimentarchive der Erdgeschichte mit einer Genauigkeit zu datieren, die vorher nicht möglich war", erklärt Wagreich.
"Kritisch ist dabei eine möglichst genaue statistische Korrelation der Messergebnisse mit der Intensität der Sonneneinstrahlung", fügt Johann Hohenegger vom Institut für Paläontologie und Erstautor der Studie hinzu: "Mit den neuen Regressions- und Korrelationsmethoden haben wir Übereinstimmungen der Kurven herausgefiltert und deren statistische Signifikanz überprüft."
Proben aus späterer Mülldeponie
Um möglichst komplette und unverwitterte Proben des Zeitabschnitts "Badenium" zu erhalten, wurde im Rahmen eines FWF-Projekts eine 102 Meter tiefe Bohrung nahe der Ziegelgrube von Sooß bei Baden unternommen. Weiters zogen die Forscher Gesteinsproben heran, die bereits in den 1990er Jahren – noch vor der Auffüllung der früheren Ziegelgrube als Mülldeponie – genommen wurden. "Ohne diese archivierten Proben hätten wir nie eine derartige Genauigkeit der Zeiteinstufung für das Badenium erhalten", sagt Michael Wagreich.
700.000 Jahre Unterschied
Das kombinierte Ergebnis dieser Datierungen von Bohrkernmaterial und alten Feldproben ändert die regionale Zeiteinteilung erheblich: War man früher von einem Alter der fraglichen Sedimentschichten von etwa 15 bis 14,5 Millionen Jahren ausgegangen, lässt sich die untersuchte Schichtabfolge jetzt auf 14.221 bis 13.964 Millionen Jahre eingrenzen – "ein Unterschied von nahezu 700.000 Jahren!", so Wagreich.
"Diese Ergebnisse sind für den weiten Bereich des Wiener Beckens bedeutend und haben beispieleisweise Auswirkungen auf die Einstufung von Erdölreservoirs. Weiters ist eine Korrelation zu fast altersglchen Salzgesteinen in Polen möglich und damit die Zeiteinteilung des Badeniums insgesamt neu zu überdenken", schlussfolgert der Forscher. (ad/red)
Das Paper "Time calibration of sedimentary sections based on insolation cycles using combined cross-correlation: dating the gone Badenian stratotype (Middle Miocene, Paratethys, Vienna Basin, Austria) as an example (PDF)" (Autoren: J. Hohenegger und M. Wagreich) erschien im Journal "International Journal of Earth Sciences".