Quantenwelt: "Unabhängig von Raum und Zeit"

Laut Einsteins Relativitätstheorie kann eine Ursache nie schneller als die Lichtgeschwindigkeit sein und Wirkung erzeugen. In der Quantenwelt wäre dies möglich. Physiker rund um Anton Zeilinger haben den bisherigen Unsicherheitsfaktor im Experiment ausgeschlossen und die "Kausalität" ausgeschaltet.

Wenn ein Stein ein Fenster einschlägt, ist der Steinwurf die "Ursache", die zerborstene Fensterscheibe die "Wirkung" - man spricht auch von "Kausalität". Diese Beziehung zwischen Ursache und Wirkung gilt auch in der klassischen Physik, und gemäß Einsteins Relativitätstheorie kann eine Ursache nie schneller als die Lichtgeschwindigkeit "unterwegs" sein und eine Wirkung "erzeugen". Die seltsam anmutenden Gesetze der Quantenwelt würden dies allerdings erlauben - doch in bisherigen Experimenten gab es immer noch einen Unsicherheitsfaktor: Irgendeine Art der Informationsübertragung langsamer als Licht wäre dabei möglich gewesen. Dies haben Physiker der Universität Wien nun ausgeschlossen - sie haben in ihrem Experiment den Faktor Kausalität ausgeschaltet.

Ob sich ein Quantenobjekt - etwa ein Photon (Lichtteilchen) - wie eine Welle oder ein Teilchen verhält, hängt nach der 1927 von Niels Bohr und Werner Heisenberg formulierten "Kopenhagener Interpretation" der Quantenmechanik von der Auswahl des Messgerätes ab, mit dem man das System beobachtet. "Es hängt also davon ab, welche Art Messung man durchführt", erklärt Experimentalphysiker Anton Zeilinger von der Universität Wien. Zusammen mit seinem Team hat er diesen Grundsatz nun auf die Spitze getrieben und die Ergebnisse in der Fachzeitschrift "PNAS" veröffentlicht.

Welle und Teilchen

Sie haben ein Experiment entworfen, bei dem die Aussage, ob sich ein bestimmtes Photon wie ein Teilchen oder eine Welle verhält, von der Messung an einem zweiten Photon abhängt. Dieses ist im neuen Experiment vom ersten Photon so weit entfernt, dass keine Übertragung von Information, die ja maximal mit Lichtgeschwindigkeit erfolgen kann, schnell genug wäre. Das erste Photon verhält sich trotzdem wie eine Welle oder ein Teilchen je nach der Messung am zweiten. Zeilinger betont, dass die Ergebnisse des Experimentes in vollem Einklang mit der Quantenphysik sind, eine anschauliche Erklärung im Sinne einer Ursache, die ja nie schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen wird, ausgeschlossen ist.

"Delayed-Choice-Experiment"


Grundlage der nun veröffentlichten Arbeit ist ein Gedankenexperiment des US-Physikers John Wheeler ("Delayed-Choice-Experiment"): Dabei kann ein einzelnes Photon zwei Wege verfolgen. Verhält es sich wie eine Welle, nimmt es beide Wege. Verhält es sich wie ein Teilchen, muss es sich entscheiden, welchen der beiden Wege es nimmt. Wheeler zeigte, dass gemäß der Quantenmechanik die Entscheidung, ob das Photon Wellen- oder Teilchencharakter zeigt, getroffen werden kann, nachdem es die Wege bereits durchlaufen hat. Eine später realisierte Versuchsanordnung - der sogenannte "Quantenradierer" - zeigt, dass man durch eine bestimmte Form der Messung die Weginformation regelrecht ausradieren und damit im Nachhinein entscheiden kann, ob sich ein Quantenobjekt wie eine Welle oder wie ein Teilchen verhält.

Bei allen bisherigen derartigen Delayed-Choice- und Quantenradierer-Experimenten sei es aber nicht ausgeschlossen gewesen, dass die Wahl der Messung die Beobachtung kausal beeinflussen konnte, eben durch Informationsübertragung langsamer als die Lichtgeschwindigkeit, betonte Zeilinger. Sein Team hat nun in zwei Experimenten, einem in Wien und einem auf den Kanarischen Inseln, diese Möglichkeit dieser anschaulichen Erklärung ausgeschlossen. Selbst in einer Entfernung von 144 Kilometern zwischen La Palma und Teneriffa verhielt sich das Photon auf La Palma als Teilchen oder Welle je nach der Messung, die am Photon auf Teneriffa durchgeführt wurde.

Kein physikalisches Signal


"Das bedeutet, dass kein physikalisches Signal zwischen den beiden Photonen laufen kann. Die Einführung dieser nicht-kausalen Wahl ist ein substanzieller Schritt über die existierenden Quantenradierer-Experimente hinaus, in denen eine derartige Kommunikation im Prinzip möglich wäre", erklärt der Quantenphysiker Xia-Song Ma, Erstautor der Studie.

Zeilinger ist sich sicher, dass die Ansicht, ein Quantensystem trete zu einem gewissen Zeitpunkt definitiv als Welle oder definitiv als Teilchen in Erscheinung, aufgegeben werden muss - denn dies würde einer Kommunikation schneller als Licht bedürfen, was wiederum Einsteins Relativitätstheorie widersprechen würde. "In einem gewissen Sinne sind Quantenereignisse unabhängig von Raum und Zeit", so Zeilinger. (APA)

Die Publikation "Quantum erasure with causally disconnected choice" (Autoren: Xiao-Song Ma, Johannes Kofler, Angie Qarry, Nuray Tetik, Thomas Scheidl, Rupert Ursin, Sven Ramelow, Thomas Herbst, Lothar Ratschbacher, Alessandro Fedrizzi, Thomas Jennewein und Anton Zeilinger) erschien am 3. Jänner 2013 in "PNAS".