SeniorInnen: Ein Netzwerk für die Bildung
| 08. November 2010Wie das Konzept des "Lebenslangen Lernens" in die Praxis umgesetzt werden kann, verdeutlichen die Ergebnisse des kürzlich abgeschlossenen EU-Bildungsprojekts "SEELERNETZ": Im österreichischen Teilprojekt zeigen der Soziologe Franz Kolland und sein Team, dass bildungsferne SeniorInnen durch die Einbindung in soziale Netzwerke zur Teilnahme an Lernprozessen animiert werden können - v.a. dann, wenn auch die Inhalte des Bildungsangebots aus dem sozialen Umfeld der älteren Menschen stammen.
"Lernen hält jung und geistig fit - und es beugt nachweislich Alterserscheinungen wie Demenz vor", sagt Franz Kolland vom Institut für Soziologie. Der Wissenschafter weiß jedoch auch, dass vor allem SeniorInnen mit niedrigem Einkommen (weniger als 800 Euro im Monat) und geringem Bildungsgrad selten Zugang zu Weiterbildung finden. "Zudem fördert dieser Umstand gerade bei bildungsschwachen Personen, die schon länger nicht mehr im Erwerbsleben stehen, die Vereinsamung", fügt Kolland hinzu.
In den kürzlich abgeschlossenen Forschungen im österreichischen Teil des EU-Projekts "SeniorInnen in Europa Lernen in Netzwerken" - kurz "SEELERNETZ" -, zeigen der Soziologe und sein sechsköpfiges Team, wie bildungsbenachteiligte ältere Personen langsam an den Lern- bzw. Bildungsprozess herangeführt werden können. Neben Österreich wurden im Rahmen des Projekts Forschungen in Deutschland, Bulgarien, Rumänien und Griechenland durchgeführt.
1. Schritt: Aufbau eines sozialen Netzwerks ...
Das "soziale Netzwerk" - also die Einbindung in soziale Gemeinschaften - ist, so auch die Grundannahme des österreichischen Projektteams, der Schlüssel zum Erfolg: "Wir sind davon ausgegangen, dass ältere Menschen, die bislang nur wenig mit Bildung zu tun hatten, soziale Kontakte mit Gleichgesinnten benötigen, um sich dem Lernprozess dauerhaft öffnen zu können", erklärt Kolland.
Diese Annahme konnten die WissenschafterInnen im Zuge eines empirischen Feldversuchs im 20. Wiener Gemeindebezirk Brigittenau bestätigen: Sie haben ein solches Bildungsnetzwerk mit SeniorInnen aufgebaut: "Die soziale Bindung unter den ProjektteilnehmerInnen wurde durch die verschiedenen Workshops, die wir mit den SeniorInnen veranstaltet haben, immer weiter gestärkt", erläutert der Forscher. Das Bildungsangebot wurde von durchschnittlich sechs bis fühnzehn Personen in Anspruch genommen. "Einige SeniorInnen sind erst später dazu gestoßen. Auch diese haben sich in die Workshops und somit in das Netzwerk sehr rasch eingefügt."
Im Zuge dieses Pilotprojekts hat sich herausgestellt, dass ältere Menschen mit geringer Vorbildung tatsächlich vom Gemeinschaftsgefühl im Netzwerk profitieren und sich so leichter in den Lernprozess einbinden lassen.
... und Einbindung relevanter Akteure
Ganz einfach war der Aufbau des Netzwerks in der Praxis allerdings nicht: "So etwas benötigt zunächst einmal die Zustimmung und aktive Mitarbeit von lokalen EntscheidungsträgerInnen wie PolitikerInnen und BildungsexpertInnen", sagt Kolland. Nur so sei es möglich, die Betroffenen wirklich zu erreichen und zur dauerhaften Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen zu animieren: "Auch wir haben zu Beginn sowie während unseres Projekts versucht, nicht nur die TeilnehmerInnen selbst, sondern auch die EntscheidungsträgerInnen aktiv miteinzubinden." So konnte etwa die Volkshochschule "Brigittenau" als Projektpartner gewonnen werden.
2. Schritt: Ein adäquates Bildungsangebot
"Schon bei den ersten Interviews, die wir in Brigittenau durchgeführt haben, hat sich herauskristallisiert, dass sich unsere Zielgruppe vor allem für Themen aus ihrem unmittelbaren sozialen Lebensraum interessiert", fährt Kolland fort. Deshalb wurde es den ProjektteilnehmerInnen ermöglicht, die Inhalte ihrer Weiterbildung selbst auszuwählen: Die Themenpalette der insgesamt sechs Workshops reichte vom altersgerechten Wohnen über die Pflege bis hin zur Sicherheit im eigenen Wohnbezirk.
"Durch die aktive Mitgestaltungsmöglichkeit des Bildungsangebots haben die TeilnehmerInnen auch an Selbstbewusstsein gewonnen", freut sich der Forscher. Etwa wurden im Zuge des Projekts auch Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten im eigenen Wohnumfeld thematisiert.
Die Zukunft der Bildungsnetzwerke
Um den Aufbau bildungbezogener sozialer Netzwerke auch in anderen europäischen Gebieten zu forcieren, werden aus den Forschungsergebnissen aller fünf Teilprojekte im Rahmen von "SEELERNETZ" Handlungsempfehlungen, etwa für PolitikerInnen oder Bildungsinstitutionen, erstellt. Auch das wissenschaftliche Know-How, das im Zuge der Befragung der älteren Menschen verwendet wurde, soll an die zuständigen Akteure weitergegeben werden. "Uns ist es besonders wichtig, dass Bildungsinstitutionen künftig wissen, wie sie die Themen ihrer Zielgruppe evaluieren können", hebt Kolland hervor. (pp)
Das EU-Projekt "SeniorInnen in Europa lernen in Netzwerken" ("SEELERNETZ") startete am 1. Oktober 2008 und lief bis 30. September 2010. Es wurde vom Lifelong Learning Programm der Europäischen Union finanziert und neben Österreich auch in Deutschland, Griechenland, Rumänien und Bulgarien durchgeführt.
Dieser Artikel ist als Gastbeitrag im aktuellen univie - dem Magazin des Alumniverbands der Universität Wien - erschienen.