Spenden und Stiften im Griechenviertel

Unweit vom historischen Griechenviertel befindet sich das Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien. Hier erforschen Maria A. Stassinopoulou und ihr Team das soziale Engagement der griechischen Gemeinde im 18. Jh. – und sichten wieder entdecktes Archivmaterial.

"Als 'Griechen' bezeichnete die Habsburger Verwaltung alle Griechisch-Orthodoxen, die nach Wien kamen – egal, ob Griechen, Aromunen (in der damaligen Amtssprache als Wallachen bekannt) oder Albaner", erklärt Maria A. Stassinopoulou, Neogräzistin an der Universität Wien: "Wien war im 18. Jh. als Haupt- und Residenzstadt das Endziel für Kaufleute aus dem Osmanischen Reich, die hier und anderswo erworbenes Kapital in Finanzgeschäfte investierten."

"Ab etwa 1770 setzte allmählich die Phase der permanenten Niederlassung ein. Neben der von Osmanischen Untertanen organisierten Bruderschaft zum Heiligen Georg (1723/26) entstand nun auch eine Gemeinde der Österreichischen Untertanen zur Heiligen Dreifaltigkeit (1787)", erzählt die Historikerin.

Vom Rotenturmtor bis zum Stubentor

Zur Blütezeit der Migration, von etwa 1750 bis etwa 1820, lebten um die 500 GriechInnen in dem Gebiet zwischen Rotenturmtor und Stubentor – zunächst vorwiegend Männer, später auch ihre Familien. "Es war die Nähe zu den Ladestationen am Donauarm, die das Viertel so attraktiv machte", erklärt die Forscherin: "Hier fanden Handel, religiöses Leben und Familienalltag statt."

Im Bild eine in Österreich angefertigte Papierikone des Hl. Georg, Namensgeber für die noch heute existierende Kirche am Hafnersteig. Sie ist eine der beiden griechisch-orthodoxen Gemeinden in Wien, die 2005 ihre Archive der Wissenschaft öffneten. 

Noch immer präsent

Auch knapp 200 Jahre später ist das "Griechenviertel" eine gängige Bezeichnung für die engen Straßen zwischen Alte Universität und Schwedenplatz. Doch warum ist die Erinnerungskultur an das griechische Leben in Wien so prominent? Das Team rund um Maria A. Stassinopoulou vermutet die Antwort auf diese Frage unter anderem in den zahlreichen Stiftungen, die nun in den Archivbeständen der zwei Wiener griechisch-orthodoxen Gemeinden auftauchen: "Wir gehen davon aus, dass Erinnerungen an die griechische Niederlassung in Wien noch immer präsent sind, da sie sich durch Stiftungen und Mäzenatentum zum Wohl der Herkunfts- und der Gastgesellschaft ihre Memoria aufrecht erhalten konnten."

Vom Mäzenatentum…

Stifter gab es viele: Georg Karajan, Textilhändler und Inhaber von Manufakturen in Sachsen, stiftete das Grundstück am Hafnersteig, auf dem um 1800 die Kirche zum Heiligen Georg gebaut wurde. Simon Georg Freiherr von Sina, Bankier und Investor, stiftete von 1857 bis 1859 den Umbau der Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit durch Theophil Hansen. Spenden lag in der Familie: Es war sein Vater, der bereits 1813 den Bau des neuen Gebäudes des k.k. polytechnischen Instituts (heute: TU Wien) ermöglichte und Spitalsbetten in Wien stiftete.

Testament aus dem Jahre 1852. (Foto: Projekt Soziales Engagement, Archiv der Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit, AHD)


Nikolaus Dumba, ebenfalls Bankier und Förderer des kulturellen Lebens in Wien, ist heute vor allem wegen seiner Bedeutung für den Musikverein bekannt. Er stiftete aber unter anderem auch den Umbau der Kirche zum Heiligen Georg 1898 und spendete regelmäßig für seine Heimatgemeinde Tattendorf an der Triesting.


…zur kleinen memorialen Stiftung


Es sind aber nicht nur die namhaften Geldgeber, die für die WissenschafterInnen von Interesse sind: "Wir untersuchen auch kleine Legate, wie zum Beispiel jene, um den eigenen Namen im sonntäglichen Gottesdienst anlässlich des Namenstages eines Verstorbenen verlesen zu lassen", so Stassinopoulou.

Stiftungsgelder flossen in das Habsburgerreich, aber auch in das Osmanische Reich und nach und nach in die neuen Nationalstaaten Südosteuropas – diese dienten vor allem der Gründung oder Unterstützung von Schulen, Bibliotheken und Spitälern sowie der Vergabe von Stipendien. Um die 200 Stiftungen und die entsprechende Dokumentation der Verwaltung durch die beiden griechisch-orthodoxen Gemeinden in Wien wurden bisher in den Archiven registriert.

Nach fünf Jahren Katalogisierungsarbeit


Für das Projekt analysiert das Forschungsteam soziale, wirtschaftshistorische und kulturelle Aspekte des sozialen Engagements: Warum stifteten die Griechen? Wie verwalteten die Gemeinden die Gelder? Welche Rolle spielten die Almosen für die religiöse und ethnische Identitätsbildung? Zwischen 2005 und 2010 haben Studierende des Instituts für Byzantinistik und Neogräzistik unter der Leitung von Stassinopoulou und Absolventinnen des Archivlehrgangs der Universität Wien mit Unterstützung des Vereins ICARUS (International Centre for Archival Research) die lange Zeit verloren oder verlegt geglaubten Materialien der beiden griechisch-orthodoxen Gemeinden geordnet und katalogisiert.

Griechische Übersetzung des Robinson des Jüngeren von Joachim Heinrich Campe durch Konstantin Bellio, Wien 1792 (Foto: Wikimedia)


Für Stassinopoulou ist es wichtig, die Stiftungstätigkeit und deren Wirkung als Teil der österreichischen Geschichte zu erforschen: "Migration ist nicht separat zu betrachten, diese Wiener prägten die Finanzen und das kulturelle Leben der Stadt – das beeinflusste die österreichische Geschichte nachhaltig."


Als Stassinopoulou in Wien promovierte, war der Zugang zu den Gemeinde-Archiven noch nicht möglich, daher freut sie sich umso mehr, die Bestände nun der Öffentlichkeit und anderen WissenschafterInnen zugänglich machen zu können: "Nun können wir, aber auch andere KollegInnen, die sich mit der griechischen Diaspora in der Habsburgermonarchie auseinandersetzen, endlich mit den Archivdokumenten arbeiten und an diese mit komplexeren Fragen herantreten."

In unmittelbarer Nähe


Maria A. Stassinopoulou studierte Klassische Philologie, Sprachwissenschaft und Geschichte in Athen. 1984 kam sie an die Universität Wien, wo sie bei Gunnar Hering und Richard Georg Plaschka promovierte und sich 2001 für das Fach Neogräzistik habilitierte. Ihre Forschungsarbeit fokussierte zunächst auf die Ideengeschichte und den Kulturtransfer in der Zeit der Aufklärung sowie die Filmgeschichte, doch: "Wenn man in unmittelbarer Nähe des Griechenviertels arbeitet, dann findet einen das Thema der griechischen Diaspora einfach – früher oder später". (hm)

Das FWF-Projekt (P 27140-G16) "Social commitment in the Greek Communities of Vienna (18th-20th century)" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Maria Stassinopoulou und der Mitarbeit Dr. Stefano Saracino und MMag. Nathalie Patricia Soursos läuft vom 01.11.2014 - 31.10.2017.