Verwandtschaft von Musik- und Sprachwahrnehmung
| 16. September 2011Der Frage, inwieweit die kognitiven Grundlagen für Sprache und Musik miteinander verbunden sind, widmet sich ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien im Rahmen des Forschungsclusters "Imaging & Kognitionsbiologie". Das Projekt, das als eines von insgesamt sechs fächer- und universitätsübergreifenden, translationalen Forschungsvorhaben von beiden Universitäten gemeinsam gefördert wird, möchte zum tieferen Verständnis neuronaler Verarbeitungsmuster im menschlichen Gehirn beitragen.
"Viele Forscher und Forscherinnen, die auf diesem Gebiet tätig sind, vermuten, dass die Wahrnehmung und Verarbeitung von Sprache und Musik in einigen Punkten miteinander verwandt sind", sagt Tecumseh Fitch, Leiter des Departments für Kognitionsbiologie, der den neuen Forschungscluster zusammen mit Roland Beisteiner, Universitätsklinik für Neurologie (Medizinische Universität Wien), leitet. Eine Gemeinsamkeit wäre zum Beispiel, dass sowohl Sprache als auch Musik auf einer relativ kleinen Anzahl an Grundelementen – also Phonemen oder Noten – basieren, aus denen dann eine unendliche Anzahl an Sätzen oder Musikstücken entwickelt werden kann.
Direkte und indirekte Blicke ins Gehirn
Der spezifische Fokus des Projekts mit dem Titel "Shared Neural Resources for Music and Language: Verification and Clinical Exploitation" liegt auf der Ebene des Syntax, also auf den wahrnehmbaren Strukturen in gesprochenen Sätzen oder in der Musik. Für das Projektteam stellt sich die Frage, ob "hier auf neuronaler Ebene ähnliche Grundprozesse ablaufen, die bei der Zuordnung von Signalen zu Strukturen helfen". Um sich diesen Fragestellungen anzunähern, versuchen die Wissenschafter, sowohl mit bildgebenden Verfahren einen direkten Blick auf die Vorgänge im Gehirn zu werfen, als auch über Verhaltensexperimente indirekte Einsichten in neuronale Prozesse zu erhalten.
Zu diesem Zweck werden den VersuchsteilnehmerInnen in ihrer Struktur gleichartige musikalische und sprachliche Stimuli vorgegeben. "Dabei kann es sich um eine Melodie oder eine spezielle Abfolge von Silben handeln", erklärt Fitch: "Mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) beobachten wir die Personen dann bei der Verarbeitung dieser Reize." Dabei wird zum einen untersucht, welche Hirnregionen daran beteiligt sind, und zum anderen, in welchem Maß sich die Gehirnaktivitäten gleichen.
Potenzial für die Behandlung von Menschen mit Sprachproblemen
Fitch, der 2009 einen "Advanced Grant" des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten hat, betont zwar, dass der Fokus des Projekts auf der Verbesserung des Verständnisses von Sprach- und Musikwahrnehmung liege, sieht aber auch Potenzial für die Behandlung von Menschen, die die Fähigkeit zu sprechen ganz oder teilweise verloren haben. "Ein interessanter Aspekt ist hier, dass es in der Therapie sogenannter Aphasien oft sehr hilfreich ist, musikalische Aufgaben einzusetzen." So hätten Menschen, denen zwar das Aussprechen ganzer Sätze schwer falle, oft gar keine Probleme damit, ein Lied zu singen. Für sie könnte die sogenannte "melodische Intonationstherapie" möglicherweise eine effektive Therapieform sein. "Ein verbessertes Grundverständnis für die Zusammenhänge zwischen Musik und Sprache könnte von großer Bedeutung für musiktherapeutische Ansätze aller Art sein", so Fitch.
Musikalisch oder nicht?
Weiters hätten Forschungsergebnisse der vergangenen 20 Jahre gezeigt, dass sich die Verarbeitungsmechanismen von Musik sowohl bei hochmusikalischen Menschen als auch bei solchen, die sich selbst als "unmusikalisch" ansehen, prinzipiell stark gleichen. In diesem Zusammenhang weist der Kognitionsbiologe darauf hin, dass sich Menschen zwar in ihren Fähigkeiten, Musik selbst zu produzieren, stark unterscheiden können, in der Wahrnehmung jedoch fundamentale Übereinstimmungen zu finden seien. "Das lässt die Idee, dass manche Menschen musikalisch sind und andere nicht, sehr unrealistisch erscheinen", resümiert Fitch. (APA/red)
Im Rahmen der Forschungscluster fördern die Universität Wien und die Medizinische Universität Wien Projekte zwischen ForscherInnen der beiden Universitäten mit fächerübergreifendem Charakter. Das Projekt von Tecumseh Fitch (Fakultät für Lebenswissenschaften) und Roland Beisteiner (Universitätsklinik für Neurologie), ist eines von sechs Forschungsvorhaben, die mit insgesamt 1,3 Millionen Euro unterstützt werden. Ziel der Forschungskooperation ist es, neue Brücken zwischen Grundlagen- und patientenorientierter Forschung zu schlagen.