Vom Potenzial flüssiger Salze

Aktuell geht ein von Othmar Steinhauser geleitetes FWF-Projekt ins letzte Jahr, im Rahmen dessen sich ein Forschungsteam über fünf Jahre hinweg mit den besonderen Eigenschaften eines neuen, umweltfreundlichen Lösungsmittels – den Ionischen Flüssigkeiten – beschäftigt.

Ob im menschlichen Körper, im wissenschaftlichen Labor oder bei der Herstellung von Waren: Es sind Lösungsmittel, in denen sich wichtige chemische Prozesse abspielen. Dabei handelt es sich jedoch nicht immer um einen so "unproblematischen" Stoff wie Wasser. Viele im Alltag verwendete Lösungsmittel sind leichtflüchtige chemische Substanzen, die die Umwelt beeinflussen.

"Ionic liquids" (IL) besitzen nun physikalische Eigenschaften, die sie zu einem besonders umweltfreundlichen Solvens (Lösungsmittel) machen: Sie verdunsten kaum, sind hitzeresistent und eignen sich zum Lösen verschiedenster Substanzen. "Als Lösungsmittel finden sie nicht nur in der Biochemie, sondern auch in zahlreichen anderen Bereichen Anwendung: Man kann damit beispielsweise Schwefel aus dem Erdöl extrahieren, Cellulose veredeln oder sie als Trägerflüssigkeit in Solarzellen verwenden", erklärt der Vorstand des Instituts für Computergestützte Biologische Chemie, Othmar Steinhauser. Gemeinsam mit seinem Team erforscht der Chemiker die Eigenschaften von "reinen" Ionischen Flüssigkeiten, Mischungen mit Wasser sowie die Solvatation von Biomolekülen – z.B. Enzyme – in diesen Flüssigkeiten.

Flüssiges Salz bei Zimmertemperatur

Das "weiße Gold" ist die chemische Grundlage des zu Ende gehenden FWF-Projekts "Simulationsstudien zu Ionic Liquids": Denn Ionische Flüssigkeiten sind Salze, die bei Temperaturen unter 100 Grad Celsius flüssig sind. Salze bestehen aus Anionen und Kationen, also positiv und negativ geladenen Ionen. Bei Kochsalz bewirken die starken elektrostatischen Kräfte zwischen den Ionen (Natrium und Chlorid) eine regelmäßige räumliche Anordnung. Wird das Salz erhitzt, so bricht das stabile Kristallgitter auf. Allerdings erst bei sehr hohen Temperaturen: Der Schmelzpunkt von Natriumchlorid liegt bei 801 Grad Celsius. 
Projektleiter Othmar Steinhauser


"Anders ist das nun bei Ionischen Flüssigkeiten. Ersetzt man das Kation durch ein organisches Molekül, beispielsweise Ethylmethylimidazolium, so sinkt der Schmelzpunkt auf unter 100 Grad. Tauscht man auch das Chlorid-Ion aus, wird es möglich, bereits bei Raumtemperatur flüssige Salze zu erhalten", zeigt sich der Chemiker vom "grünen Lösungsmittel" begeistert. Die Fluidität kommt dadurch zustande, dass sich die Moleküle räumlich ausdehnen – somit schlecht in ein strikt symmetrisches Gitter passen – und sich die positive bzw. negative Ladung nicht mehr wie bei Natriumchlorid auf ein Atom konzentriert, sondern über mehrere verteilt.

Das Verhalten von Biomolekülen

Neben den reinen Ionischen Flüssigkeiten sind es insbesondere Mischungen mit Wasser, die am Institut für Computergestützte Biologische Chemie erforscht werden. Elektrostatische Wechselwirkungen bewirken, dass Ionische Flüssigkeiten Netzwerkstrukturen ausbilden. In Wassermischungen interagieren diese mit Wasserstoffbrückennetzwerken. Wie sich ein Biomolekül, das üblicherweise im "klassischen Lösungsmittel" Wasser arbeitet, nun in diesen Mischungen verhält, hängt u.a. mit den Wasserstoffbrückenbindungen zum Lösungsmittel zusammen.Das Bemerkenswerte ist, dass Enzyme wie Lyasen – die viele biochemische Reaktionen im Körper steuern – in mit Wasser gemischten Ionic Liquids effizienter arbeiten. Relevant ist das u.a. auch für Arzneistoffe, da diese in der Regel an Proteine anbinden und erst dort ihre Wirkung entfalten: Dieser Prozess des Anbindens passiert nicht im Trockenen. Vielmehr braucht es Wassermoleküle, also ein Lösungsmittel, um an das Protein "anzudocken".

Simulationsstudien: Technik …


Um diese molekulardynamischen Prozesse zu verstehen, arbeiten die Wissenschafter mit Computersimulationen von sehr hohem Aufwand: Damit sie repräsentative Ergebnisse erhalten, studieren die Chemiker zum einen mehrere hunderte Ionenpaare – um bestimmte Eigenschaften zu eruieren, sogar bis zu Tausende. Zum anderen bewirkt die Zähflüssigkeit der Ionischen Flüssigkeiten, dass dynamische Prozesse sehr langsam ablaufen und das System daher über einen langen Zeitraum hinweg beobachtet werden muss. Würde man die Simulation in Bildern festhalten, ergäbe das eine Abfolge von rund 20 Millionen Schnappschüssen.

Für das Erstellen und Speichern der Daten sind leistungsstarke Rechner und sensible Geräte zur Organisation der Festplatten nötig. "Ein System piepst jämmerlich, da ist eine Platte defekt", bemerkt Steinhauser, bevor wir eine der laut surrenden und auf 20 Grad gekühlten "Rechenzentralen" des Instituts betreten. Im Raum befinden sich mehrere leistungsstarke Rechner und so genannte RAID-Systeme. Diese erzeugen redundante Informationen, um einem Datenverlust vorzubeugen: "Geht eine der Platten kaputt – beispielsweise bei einem Stromausfall – kann man sie während des Betriebs herausziehen und ersetzen, ohne dabei Daten zu verlieren." Da auf den parallel rechnenden Computern riesige Datenmengen verarbeitet werden, sind RAIDs unentbehrlich.

… und Theorie

Der nächste Schritt ist die Auswertung. Die Herausforderung liegt darin, Größen zu berechnen, die experimentell gemessen werden können, d.h. einen Übergang von der molekularen zur makroskopischen Welt zu schaffen. Eine Rolle spielen dabei die "dielektrischen Eigenschaften" des Systems: "Die Ergebnisse der Berechnung von dielektrischen Eigenschaften – deren theoretische Grundlagen wir am Institut sehr erfolgreich entwickelt haben – geben uns Aufschluss über das "mesoskopische" Verhalten von Ionischen Flüssigkeiten. Es geht dabei nicht um das Verhalten von tausend Ionenpaaren im Detail, sondern wie sich diese insgesamt als "ein Stück Materie" in elektrischen Feldern verhalten. Am Institut forschen mehrere DoktorandInnen sowie Christian Schröder im Rahmen seiner kürzlich fertiggestellten Habilitation zu Ionischen Flüssigkeiten", so Steinhauser.

Abschließend betont der Wissenschafter: "Was unsere Simulationen ergeben, muss sich auch im Experiment wiederfinden. Wir arbeiten daher eng mit experimentellen Gruppen zusammen. Mit neuen Erkenntnissen zu 'optimalen Lösungsmitteln' tragen wir gemeinsam zum Fortschritt der Chemie bei." (dh)

Univ.-Prof. Dr. Othmar Steinhauser ist Vorstand des Instituts für Computergestützte Biologische Chemie. Das FWF-Projekt "Simulationsstudien zu Ionic Liquids" startete im Juni 2007 und läuft noch bis Ende Mai 2012.