Waldgebunden

In punkto Artenvielfalt halten die tropischen Bergregenwälder der Anden bei vielen Tiergruppen den Weltrekord. So beherbergt kein anderer Wald der Erde so viele verschiedene Nachtfalterspezies – ein Paradies für den Insektenforscher Konrad Fiedler und sein Team. Im Süden Ecuadors haben die TierökologInnen der Universität Wien alleine von der pfefferfressenden Faltergattung Eois mehr als 150 Arten gezählt. Im Zentrum ihrer Forschung stehen zwei Fragen – eine theoretische und eine angewandte: Warum gibt es hier so viele Arten? Und: Was passiert, wenn der Mensch ihren Lebensraum zerstört?

Die Bergregenwälder der Anden sind in den letzten Jahrzehnten dramatisch geschrumpft. In Ecuador gibt es nur mehr zwei größere zusammenhängende bewaldete Bergregionen, alle anderen Waldflächen wurden weitestgehend abgeholzt: für kurzlebige Viehweiden, auf denen die Bauern nichtheimisches Gras pflanzen, das mehr schlecht als recht wächst und nach ein paar Jahren von Weideunkräutern – allen voran dem Adlerfarn – verdrängt wird. Gibt die Weide nichts mehr her, muss das nächste Regenwaldstück dran glauben.

Als der Wald die Tiere verließ

Wie der massive Waldschwund gestoppt bzw. umgekehrt werden kann, ist eines der Themen, mit denen sich eine internationale Forschergruppe aus BiologInnen, GeowissenschafterInnen und KlimaforscherInnen seit mehr als einem Jahrzehnt auseinandersetzt. Die Universität Wien ist am Großprojekt im Süden Ecuadors, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird, beteiligt: Konrad Fiedler und seine MitarbeiterInnen vom Department für Biodiversität der Tiere sind die TierökologInnen im interdisziplinären Team. Sie untersuchen u.a., welcher Teil der ursprünglichen Artenvielfalt in den aufgelassenen Weiden und anderen Ersatzlebensräumen übrigbleibt: "Leider sehr wenig", konstatiert Fiedler: "Die Mehrzahl der Arten geht verloren."

Im aktuellen Teilprojekt, das bis 2013 läuft, fragen die ForscherInnen nun, welche Arten wiederkehren, wenn versucht wird, Wiederaufforstung zu betreiben – ohne Zutun des Menschen kommt der Wald erst gar nicht zurück. "Leider ist auch hier die Prognose eine pessimistische", so der Ökologe. "Während in Österreich seit 200 Jahren geregelte Forstwirtschaft betrieben wird, mangelt es in Ecuador an elementarem Wissen über Aufzucht und Kultivierung heimischer Bäume. Hier mussten die Forstwissenschafter in unserem Team erst einmal Lehrgeld zahlen. Aber auch wenn es gelingt, den Wald zu rehabilitieren, werden mehrere Jahrzehnte vergehen, bis sich eine Wiederbesiedelung durch die ursprüngliche Tierwelt einstellt."

Inventur im Regenwald

Ob und welche Tiere zurückkehren, hängt jedoch wesentlich davon ab, wie viele nahegelegene Naturwälder (als Quellareale) noch zur Verfügung stehen. Dort wimmelt es nämlich von unterschiedlichen Lebensformen: Fiedler und sein Team konnten nachweisen, dass die Bergwälder Ecuadors zu den artenreichsten überhaupt gehören. "Zu untersuchen, wie sich eine derartige Vielfalt herausbilden konnte, ist der zweite, grundlagenwissenschaftliche Aspekt unserer Forschung", erklärt der Vorstand des Departments für Biodiversität der Tiere.

Da heißt es zunächst einmal "Katalogisieren": Mit speziellen Lichtfallen werden die nachtaktiven Falter angelockt und gezählt, um später morphologisch und genetisch charakterisiert zu werden. Nicht selten treffen die SchmetterlingsexpertInnen dabei auf gänzlich unbeschriebene Arten. Tagsüber werden die Larven, die auf ausgewählten Modellpflanzen sitzen, und ihr Verhalten in verschiedenen Entwicklungsstadien dokumentiert.

Wo der Pfeffer wächst

Die Frage nach dem Ursprung der Artenvielfalt im Bergregenwald hat ökologische und evolutionsbiologische Antwortdimensionen. "Aufschlussreich ist zum einen die Rolle, die ein bestimmtes Tier im Ökosystem einnimmt, etwa wie spezialisiert es ist", erklärt Fiedler: "Je kleiner das Nahrungsspektrum einer pflanzenfressenden Art, umso wahrscheinlicher ist es, dass mit der Herausbildung neuer Pflanzenarten auch neue Pflanzenfresser entstehen – sozusagen in Ko-Evolution." Bei der Faltergattung Eois haben die ForscherInnen einen enorm hohen Spezialisierungsgrad festgestellt: "Jede Art frisst nur jeweils eine ganz bestimmte Pfefferart." Und Pfeffergewächse gibt es in Ecuador in unzähligen Variationen.

Alte Arten

Zum anderen geben molekularbiologische Methoden Hinweise über Artverwandtschaft und stammesgeschichtliche Entwicklungen (Phylogenese) bei Pflanze und Tier. So konnten Fiedler und sein Team zeigen, dass die "Explosion der Arten" in den ecuadorianischen Bergregenwälder nicht wie bisher vermutet in den Eiszeiten vor einer halben Million Jahren liegt: "Die Arten sind viel älter", so der Wissenschafter: "Beispielsweise hat sich herausgestellt, dass die Artbildung bei Eois Hand in Hand mit der Herausbildung neuer Pfeffersorten vor zehn bis 15 Millionen Jahren geht – dem Zeitalter des Beginns der großen Anden-Gebirgsauffaltung." (br)


Die Forschergruppe "Biodiversity and Sustainable Management of a Megadiverse Mountain Ecosystem in South Ecuador" wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die derzeit 21 wissenschaftlichen Teilprojekte und zwei Serviceprojekte sind an 13 Universitäten – elf in Deutschland sowie je eine in Österreich (Wien) und in der Schweiz (Bern) – sowie zwei  außeruniversitären Forschungsinstituten (D) angesiedelt. Kooperationspartner sind vier Universitäten und mehrere Institutionen in Ecuador sowie zahlreiche weitere internationale Partner in den einzelnen Teilprojekten.

Leiter des Teilprojekts an der Universität Wien ist Univ.-Prof. Mag. Dr. Konrad Fiedler vom Department für Biodiversität der Tiere. Projektmitarbeiter sind Mag. Florian Bodner, Dipl.-Biol. Marc-Oliver Adams, Mag. Patrick Strutzenberger sowie als Kooperationspartner Dr. Gunnar Brehm (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland).