Wie Videospiele schwerkranken Kindern helfen
| 16. Juni 2014Nach einer Krebstherapie müssen Kinder oft Monate zuhause bleiben und sich an strenge Regeln halten. Ein multidisziplinäres Projektteam rund um Helmut Hlavacs von der Universität Wien kreiert bunte virtuelle Welten, in denen die jungen PatientInnen ihren Alltag in spielerischer Form meistern können.
"Bei einer Stammzellenbehandlung wird das erkrankte Immunsystem zerstört. Viele Kinder dürfen danach monatelang ihr Zuhause nicht verlassen, weil jeder Kontakt mit Bakterien und Viren sehr gefährlich sein könnte. Während dieser Zeit geht es für sie um Leben oder Tod", erklärt Helmut Hlavacs, Leiter der Forschungsgruppe Entertainment Computing an der Fakultät für Informatik der Universität Wien. Warum der Computerwissenschafter sich mit medizinischen Problemen beschäftigt? Weil er als Projektleiter von INTERACCT ein breit gefächertes Team von ForscherInnen, ÄrztInnen und KünstlerInnen koordiniert, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Leben von Betroffenen in entscheidender Weise zu erleichtern.
"Wir wollen nicht nur die Kommunikation zwischen PatientInnen und ÄrztInnen verbessern, um lebensgefährliche Komplikationen schneller erkennen zu können, sondern auch eine Umgebung erschaffen, die Kinder mit Spielen und Unterhaltung motiviert, ihre strikten Therapieanweisungen einzuhalten", fasst Hlavacs die grundlegenden Eckpfeiler zusammen. Dass sich mittels "Gamifizierung" – also der Anwendung spielerischer Elemente auf einen nicht-spielerischen Kontext – tatsächlich die Motivation steigern lässt, eigentlich eher lästige aber notwendige Dinge zu erledigen, werde heute von vielen Studien belegt, bestätigt der Experte.
"Serious Games"
Im wissenschaftlichen Bereich sind sogenannte "Serious Games" ein etabliertes und innovatives Forschungsfeld. Dieser Umstand zeigt sich nicht zuletzt auch in der Liste von hochkarätigen INTERACCT-Partnern. Darin vertreten sind etwa die St. Anna Kinderkrebsforschung, der Arbeitsbereich Klinische Kinder- und Jugendpsychologie der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, die Universität für Angewandte Kunst Wien, das Kinderbüro der Universität Wien oder der IT-Dienstleister T-Systems. "Das Projekt wird von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft unterstützt und in einem multidisziplinären Ansatz entwickelt. Die Schnittstellen umfassen die klinische Forschung, Design Thinking sowie Informations-und Kommunikationstechnik", erläutert Hlavacs.
Mehr als ein Videospiel
Letztendlich geht es bei INTERACCT aber nicht nur darum, ein einzelnes Videospiel zu entwickeln, sondern vielmehr eine "moderne Unterhaltungsplattform", stellt der Experte klar: "Wir planen eine Website, die Unterhaltung, Herausforderung, Spiele und soziale Aspekte umfasst und es den Kindern gleichzeitig ermöglicht, relevante Gesundheitsdaten in Echtzeit an ihr Behandlungsteam zu schicken." Bislang werden Informationen zu Ess- und Trinkgewohnheiten, Stuhlgang oder Schmerzen von den PatientInnen in Gesundheitstagebüchern festgehalten. "Mittels Online-Kommunikation lässt sich dieser Datenaustausch viel spaßiger und schneller erledigen. Das steigert sowohl die Lebensqualität der Betroffenen als auch die Chance der behandelnden ÄrztInnen, mögliche Probleme frühzeitig erkennen zu können", betont Hlavacs.
Bis die bunte Online-Welt offiziell ihre Tore öffnet, wird aber noch einige Zeit vergehen. "Der entsprechende Programmieraufwand ist enorm. Wir müssen alles von Null weg entwickeln", schildert Masterstudent Daniel Martinek, Lead Programmer des Projekts. Aber das Grundgerüst stehe bereits. "Nun geht es darum, erste Praxistests durchzuführen, um zu sehen, wie unsere Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen ankommt", meint Hlavacs. Ein Vorab-Testlauf bei Volksschulkindern habe schon sehr positive Ergebnisse geliefert. "Ein umfassender Test wird dann ca. in einem halben Jahr erfolgen", kündigt der Projektleiter an.
Partnerprojekt "Tröstgeschichten"
Eine andere Entwicklung der Forschungsgruppe Entertainment Computing an der Fakultät für Informatik ist aber schon jetzt einsatzbereit: die Website Tröstgeschichten. Als Partnerprojekt von INTERACCT angelegt, bietet sie Kindern die Möglichkeit, selbst Geschichten zu erfinden und einzusenden, um damit jungen PatientInnen ein wenig Trost zu spenden.
"Diese Website ist eigentlich für Schulklassen gedacht, wo solche Inhalte gemeinsam mit den LehrerInnen erarbeitet werden sollen. Die Kinder können sich aber auch so auf der Seite anmelden und ihre Beiträge – Geschichten oder auch Zeichnungen – einschicken", verrät Hlavacs. Bis zum 30. Juni läuft sogar ein eigener Wettbewerb, bei dem eine Jury die besten Einsendungen kürt. "Die Gewinnergeschichten sollen in einem eigens gestalteten Sammelband zusammengefasst und veröffentlicht werden", so der Informatiker. (ms)
Das Projekt INTERACCT von Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Helmut Hlavacs, Leiter der Forschungsgruppe Entertainment Computing an der Fakultät für Informatik, wird von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unterstützt und läuft von Mai 2013 bis Oktober 2015. Als Partner fungieren der Arbeitsbereich Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien (Univ.-Prof. Dr. Manuel Sprung, Mag. Marisa Silbernagl), die St. Anna Kinderkrebsforschung (Leitung Dr. Anita Lawitschka), die Universität für Angewandte Kunst Wien (Leitung A.o. Univ.-Prof. Dr. Ruth Mateus-Berr) und T-Systems (Leitung Ing. Michael Nebel). ProjektmitarbeiterInnen an der Fakultät für Informatik der Universität Wien sind Daniel Martinek, BSc (Programmierung), DI Konrad Peters, BSc (Krankenhausinformationssystem) und Rebecca Wölfle, BSc (Grafikdesign).