"Ziel der Kunst ist es einfach, eine Stimmung zu erzeugen" (Oscar Wilde)

Trauer, Entsetzen oder einfach nichts – was empfinden Sie beim Betrachten des Gemäldes "Die Batterie der Toten" aus dem Heeresgeschichtlichen Museum? PsychologInnen um Helmut Leder von der Universität Wien gehen seit längerem der Frage nach, welche Emotionen Kunst in uns auslösen kann und wieso.

Gemälde, aber auch Musik und Filme können bei jedem Menschen unterschiedliche Gefühle auslösen. Man spricht hierbei von ästhetischen Emotionen, d.h. durch den Kontext bedingte Gefühlsreaktionen, die häufig positiv besetzt sind, und auch auftreten können, wenn der eigentliche Inhalt objektiv betrachtet negativ besetzt sein müsste. Solche ästhetische Emotionen zeichnen sich vermutlich durch eine stärkere gedankliche Komponente aus und haben oft schwächere körperliche Reaktionen, das heißt zum Beispiel, dass ein negativer Inhalt – wie in Sochors Gemälde – keine Fluchtreaktion auslöst.

Grauen ohne direkte Bedrohung erleben

Bei Gemälden funktioniert das Wecken von komplexen ästhetischen Emotionen besonders gut, erklärt Helmut Leder, Leiter des Forschungsbereichs der empirisch visuellen Ästhetik an der Universität Wien: "Beim Anschauen von Bildern wie z.B. einem Kriegsgemälde können verschiedene Facetten des Grauens durchlebt werden, ohne selbst einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt zu sein. Kunstwerke ermöglichen es uns also, alle Facetten des Emotionalen ohne direkte Konsequenzen erleben zu können." Ästhetische Emotionen sind demnach äquivalent zu sogenannten Alltagsemotionen, nur aufgrund der oftmals fehlenden direkten Handlungsaufforderung weniger handlungsrelevant, wohl auch weniger intensiv, und bieten damit eine ausgezeichnete Spielwiese um den Umgang mit "echten", alltäglichen Emotionen zu erproben.

Helmut Leder (rechts) und Patrick Markey von der Universität Wien untersuchen, was in uns passiert, wenn wir uns ein Kunstwerk anschauen. Das Bild im Hintergrund stammt von Helmut Leder selbst. Was er beim Anblick seines Bildes empfindet? "Die Schatten auf dem Bild sind aufgeklebt, dadurch freue ich mich immer wieder an diesem kleinen paradoxen Trick". (Foto: Universität Wien)

Ein Blick in unser Gehirn

Denn während wir ein Gemälde betrachten, laufen in unserem Gehirn mehrere dynamische Prozesse ab. Die erste Wahrnehmung steuert der Hirnstamm gemeinsam mit Bereichen der Sehrinde, während das Zwischenhirn mit Bereichen des Schläfenlappens für das Wiedererkennen von bekannten Merkmalen verantwortlich ist. Der Bereich des Hippocampus und Teile des Scheitellappens sorgen dann dafür, dass Merkmale ausdrücklich erkannt und benannt werden können. Schließlich liefern hauptsächlich Bereiche des Stirnlappens und der Inselrinde eine automatische emotionale Bewertung des Gesehenen.

Modell des Kunsterlebens

Die WissenschafterInnen der Universität Wien erarbeiten aktuell ein Modell, das die einzelnen Stufen der Verarbeitung von Informationen und Emotionen während der Kunstbetrachtung zueinander in Beziehung setzt und aufzeigt, welche Bereiche des Hirns wann aktiv sein müssen. "Dabei interessiert uns auch die Frage, was ästhetische von alltäglichen Emotionen unterscheidet", erläutert Universitätsassistent Patrick Markey vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden: "Denn die Traurigkeit, die Menschen möglicherweise bei der Betrachtung eines Kunstwerkes erleben, ist ja unterschiedlich zu der intensiven Trauer, die wir beispielsweise bei dem Verlust einer geliebten Person empfinden."



Wieso gibt es überhaupt Kunst?

Die Ästhetikforscher arbeiten eng mit anderen Disziplinen wie z.B. der Kunstgeschichte sowie mit einigen Wiener Museen zusammen, um die Wirkung von Kunstwerken näher untersuchen zu können. Denn besonders die grundsätzliche Frage, wieso – evolutionär gesehen – Kunst überhaupt existiert, ist für die Psychologen von Interesse: "Kunst ist für mich ein Beispiel, dass wir Menschen unsere Umwelt gestalten. Unser ästhetisches Empfinden hat viel mit der Bezugnahme der Relevanz von äußeren Einflüssen auf das eigene Selbst zu tun", erklärt Helmut Leder.

Kunst kann uns also die Möglichkeit geben, über uns selbst nachzudenken – und wirkt doch bei jedem Menschen anders. Denn während für manche Menschen ein Leben ohne Kunst unvorstellbar wäre, zieht es andere doch eher selten in ein Museum. Gerade hier sind noch viele Forschungsfragen offen, denen Helmut Leder und Patrick Markey in ihrer Forschung auf den Grund gehen möchten. (mw)