Brigitta Schmidt-Lauber: Nahwelten erforschen

Ob das "soziale Drama" Weihnachten, die Fangemeinde des FC St. Pauli, Mittelstädte oder der neue Trend, den Sonntags-"Tatort" kollektiv zu schauen: Bei Brigitta Schmidt-Lauber, Vorständin des Instituts für Europäische Ethnologie, steht die Alltagskultur im Forschungsmittelpunkt.

Die gebürtige Norddeutsche Brigitta Schmidt-Lauber ist bereits das zweite Mitglied ihrer Familie, das an der Universität Wien lehrt und forscht. Ihr Vater folgte 1977 einem Ruf als Professor für Praktische Theologie an die Evangelisch-Theologische Fakultät, weshalb die damals Zwölfjährige einen Teil ihrer Jugend in Wien verbrachte. Nach der Matura zog es sie zum Studium zunächst einmal wieder nach Deutschland, wo sie Philosophie, Volkskunde, Ethnologie sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an den Universitäten Kiel, Hamburg und Köln studierte.


1977 zog Brigitta Schmidt-Lauber mit ihrer Familie nach Wien. Geboren und aufgewachsen ist sie in Kiel (im Bild ist sie zwei Jahre alt). Schon in ihrer eigenen Biographie findet sich die Dialektik aus Eigenem und Fremdem, die sie in der Forschung so fasziniert: "Ich kenne Wien aus meiner Jugendzeit. Durch meine Erfahrungen in anderen Ländern habe ich aber zugleich eine vergleichende, kontextualisierende Perspektive." (Foto: privat)



Feldforschung in Afrika

Die Faszination, das "Eigene im Fremden" – und umgekehrt das "Fremde im Eigenen" – zu suchen, zeichnete sich bereits zu Studienzeiten ab. Brigitta Schmidt-Lauber beschäftigte sich in ihrer Magister- und Doktorarbeit mit dem kulturellen Selbstverständnis und Alltagsleben deutschsprachiger NamibierInnen. Die Idee entsprang einem Feldforschungspraktikum in Namibia.


Von Juli bis Dezember 1988 war die damalige Studentin Brigitta Schmidt-Lauber (links) zur Feldforschung in Namibia. "Die meisten meiner StudienkollegInnen gingen damals nach Österreich, aber ich kam ja quasi gerade von dort her", schmunzelt sie. Das Bild zeigt sie auf einer Exkursion in den Caprivi. (Foto: privat)



Zurück nach Wien

2003 folgten nach ihrer Habilitation an der Universität Hamburg die klassischen, wie Brigitta Schmidt-Lauber sie bezeichnet, "Lehr- und Wanderjahre" an europäischen Universitäten, u.a. in Basel, Zürich und Göttingen. Seit September 2009 ist sie Professorin für Europäische Ethnologie an der Universität Wien. "Diese Stelle war für mich sehr reizvoll wegen des herausragenden Forschungsfelds, das sich hier eröffnet, und wegen der hervorragenden Kooperationsmöglichkeiten mit unterschiedlichsten Institutionen, Forschungszweigen und WissenschafterInnen", verrät die Institutsvorständin.

Das Institut für Europäische Ethnologie: Ein "bunter Strauß" an Forschung

An ihrem Institut gefallen der Wissenschafterin vor allem die Heterogenität an Persönlichkeiten und Forschungsschwerpunkten: "Obwohl wir eines der kleineren Institute der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät sind, schaffen wir es, einen 'bunten Strauß' an Forschung zu produzieren." Schmidt-Lauber ist die einzige Universitätsprofessorin am Institut für Europäische Ethnologie; besonders am Herzen liegt ihr die Verbesserung der Personal- und Lehrsituation. Ihr Ziel ist es, das kleine Fach in seinen Kooperationen und Projekten zu expandieren.

Tipp an Studierende: Den eigenen Interessen folgen

Ihren StudentInnen empfiehlt die engagierte Lehrende, in ihrem Studium nicht nur Vorgegebenes anzunehmen, sondern immer zu überlegen, was sie selbst an einem Thema interessiert. Hierbei setzt sie verschiedene didaktische Methoden ein, um frontale Lehrstrukturen zu vermeiden: "Ich arbeite zum Beispiel viel nach dem Prinzip des forschenden Lernens, bei dem Studierende eigene Themen wissenschaftlich erarbeiten und Methoden erproben können. So schätze ich zweisemestrigen Studienprojekte, die für beide Seiten sehr arbeitsintensiv sind, aber am besten fachliche Begeisterung wecken und auch Perspektiven eröffnen."

Tatort, Mittelstädte, Sommerfrische

Diese Begeisterung merkt man Brigitta Schmidt-Lauber an, wenn sie über ihre eigene Forschung spricht. Migration und Ethnisierungsprozesse spielen dabei ebenso eine Rolle wie methodisch-theoretische Konzeptualisierungen von Gesellschafts- und Alltagskultur. "Ich verfolge einen ethnographischen Zugang. Für eine ForscherInnengruppe in Deutschland haben wir beispielsweise anhand von Public Viewing-Events der Fernsehserie 'Tatort' die Frage gestellt, wie Popularität und Populärkultur über bestimmte Ritualisierungen und gemeinsame Abläufe entstehen."

Aktuell forscht sie z.B. in einem FWF-Projekt zu mittelstädtischen Urbanitäten am Beispiel der Städte Wels und Hildesheim sowie in einem Studienprojekt zu Transformationen einer Kulturpraxis am Beispiel der Sommergestaltung: "Hier setzen wir aktuelle Trends, wie z.B. das Wochenendhaus im Waldviertel, das Dauercampen oder den mehrwöchtigen 'Heimaturlaub' im Kosovo, in Bezug mit dem historischen Phänomen 'Sommerfrische'".


Das Team des FWF-Projekts "Mittelstädtische Urbanitäten. Ethnographische Stadtforschung in Wels und Hildesheim": Projektleiterin Brigitta Schmidt-Lauber (Mitte) und ProjektmitarbeiterInnen Georg Wolfmayr und Wiebke Reinert. Zum Artikel "Zwischen Dorf und Metropole" in uni:view



Hinterfragen und Verstehen

Oftmals sind es irritierende Alltagsbeobachtungen, die die 48-jährige inspirieren: "In meiner Forschung leitet mich vielfach die Befremdung des Eigenen an – also die eigene Alltagsroutine einer kulturwissenschaftlichen Reflexion zu unterziehen und mit anderen Augen zu sehen. Das können z.B. Fragen nach Szenen, Lebensformen, Mobilität, biographischen Narrationen oder sozialen Beziehungen sein – in einem Seminar haben wir beispielsweise einmal das Thema 'Weihnachten – ein soziales Drama' untersucht und familiäre Rituale der eigenen Gesellschaft reflektiert, in einem anderen die 'Kultur des Grillens' erkundet. Genauso interessiert mich jedoch auch das Verstehen des Anderen, des vielleicht sogar leicht Befremdlichen wie es für mich anfangs Fußballfankulturen waren. Diese Mischung macht für mich unser Fach aus."

Die gesellschaftliche Relevanz spielt dabei eine entscheidende Rolle: "In der Europäischen Ethnologie geht es darum, Kultur und Gesellschaft zu verstehen. Wir bieten Grundlagenwissen. Auf den ersten Blick mögen viele Themen vielleicht marginal wirken, aber sie führen alle in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und größere Zusammenhänge z.B. ökonomische Faktoren oder Geschlechterverhältnisse." (mw)

Univ.-Prof. Dr. Brigitta Schmidt-Lauber, M.A, Vorständin des Instituts für Europäische Ethnologie, hält am Montag, 10. Juni 2013, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien eine Public Lecture zum Thema "Urbanitäten: Über kulturwissenschaftliche Aussichten in Wien".