Inci Dirim: Mehrsprachigkeit im Einwanderungsland Österreich
| 12. Mai 2011Deutsch als Basis für Integration, bilinguale Schulen, Türkisch als Maturafach: Geht es um das Zusammenleben in Österreich, spielt Sprache eine wichtige Rolle. Inci Dirim – aufgewachsen in einem zweisprachigen Elternhaus in der Türkei – beschäftigt sich an der Universität Wien seit März 2010 mit diesen Themen: Am Institut für Germanistik hat sie die Professur für Deutsch als Zweitsprache inne. In ihrer Antrittsvorlesung am Freitag, 20. Mai 2011, spricht Dirim über "Deutsch als Zweitsprache. Ein Fach im Spannungsfeld migrationsgesellschaftlicher Machtverhältnisse".
Inci Dirim kam im Ruhrgebiet zur Welt und wuchs in der Türkei in einem bilingualen Elternhaus auf: "Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Türke. Als ich eineinhalb Jahre alt war, zogen wir von Deutschland in die Türkei. In Ankara schloss ich mein erstes Studium – Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft – ab, danach wollte ich mehr über das Herkunftsland meiner Mutter erfahren." 1986 kehrte Dirim daher nach Deutschland zurück, um in Bremen Linguistik und Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft zu studieren.
Biographische Weichenstellungen
Nach dem Studium in Bremen legte Dirim die staatliche Prüfung für ÜbersetzerInnen ab. Vier Jahre später promovierte sie an der Universität Hamburg in Erziehungswissenschaft. Neben ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Hamburg und Freiburg dolmetschte sie bei Justizbehörden und übersetzte Kinderbücher. Der Postdoc-Stelle im Graduiertenkolleg "Bildungsgangforschung" der Universität Hamburg folgte eine Juniorprofessur für Schulpädagogik der Leibniz Universität Hannover. Als Professorin für Erziehungswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung kultureller, sprachlicher und sozial heterogener Konstellation an der Universität Hamburg wuchs ihr Interesse an Deutsch als Zweitsprache (DaZ).
Damit ist sie österreichweit die erste und einzige Professorin in diesem Fachbereich. Obwohl am Institut für Germanistik beheimatet, sieht sich Dirim nicht als "klassische" Germanistin, denn ihre Forschungsschwerpunkte – u.a. individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit, Erwerb des Deutschen als Zweitsprache und Schulbildung in der Migrationsgesellschaft – erfordern eine stark sozialwissenschaftliche Herangehensweise.
Deutsch im Alltag
DaZ beschäftigt sich mit dem Deutschen in amtlich deutschsprachigen Regionen. Im Gegensatz zu Deutsch als Fremdsprache (DaF), das man z.B. in der Schule oder in Sprachkursen lernt und lehrt, besteht hier ein weitaus größeres Nahverhältnis zwischen Sprache und Alltagsleben: "Deutsch ist in diesem Fall eine Sprache, die täglich präsent ist. Und zwar selbst dann, wenn man in einem Stadtteil lebt, in dem MigrantInnensprachen vorherrschen", erklärt Dirim. Es geht bei DaZ nicht nur um sprachdidaktische Aspekte des Deutscherwerbs im Inland, sondern auch um die sozioökonomischen Lebenskontexte derer, die Deutsch lernen.
Sprache und Integration
Deutsch vor dem Zuzug, Türkisch als Maturafach: Sprache ist ein zentrales Thema in aktuellen Integrationsdebatten. "Schon im Herkunftsland Deutsch zu lernen, ist keine Voraussetzung für Integration. Wenn im Umfeld wenig Deutsch gesprochen wird und sich nicht gleich eine Berufstätigkeit ergibt, in der die Sprachkenntnisse angewendet werden können, ist das Gelernte schnell wieder vergessen", so die Wissenschafterin.
Nachhaltiger sei es, die Sprache im Einwanderungsland zu lernen. Es müssen dabei aber immer auch die Lebenskontexte von MigrantInnen mitgedacht werden. Unter Integration versteht Dirim die Möglichkeit, sich mit dem Land, in dem man lebt, auseinanderzusetzen: "Das funktioniert aber auch dann, wenn man Deutsch noch nicht beherrscht. Nehmen wir z.B. lokale türkischsprachige Zeitungen in Wien, in denen viele Themen – vom Verkehrsunfall bis hin zur ÖVP-Regierungsumbildung – abgedeckt werden. Allerdings wird der Informationsradius natürlich größer, wenn dann das Deutsche dazukommt."
Mehrsprachigkeit in der Schule
Wie Pisa-Studie und Bildungsstatistiken zeigen, scheitert das monolinguale Bildungssystem in Österreich. Mehr als 50 Prozent der Wiener SchülerInnen wachsen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch auf: "Es ist notwendig, mehrsprachige Programme zu erproben. Ich will aber nicht sagen, dass diese automatisch besser sind. Aus Forschungen an Hamburger Schulen weiß ich, dass diese erfolgreich sein können, wenn sie gut gestaltet werden. Die Diskussion um Türkisch als Maturafach setzt viel zu weit oben an: Bis dorthin muss viel geschehen – noch gibt es weder ein Türkischlehramt noch Unterrichtsmaterial."
Forschendes Lehren und Lernen
Zur Stadt Wien hat die neue Professorin ebenfalls einen biographischen Bezug: Ihr Vater kam nach seinem Medizinstudium zuerst hierher, bevor er nach Deutschland zog: "Wenn wir von der Türkei nach Deutschland gereist sind, um die Verwandten meiner Mutter zu besuchen, sind wir oft über Wien gefahren", so die zweifache Mutter, die sich über die Möglichkeit freut, hier Deutsch als Zweitsprache etablieren zu können.
In der Lehre möchte sie "forschendes Lehren bzw. Lernen" durch Methodikseminare, Unterrichtsbeobachtung etc. stärken. Auch sollen die inhaltlichen Unterschiede zwischen DaF und DaZ stärker berücksichtigt werden, um Lehrveranstaltungen gezielter konzipieren zu können. Inci Dirim, die bereits von Schulen und anderen Bildungsinstitutionen kontaktiert wurde, wünscht sich, dass auch andere Universitäten Professuren für Deutsch als Zweitsprache einrichten, damit die Aufgaben gemeinsam bewältigt werden können. (dh)
Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Inci Dirim zum Thema "Deutsch als Zweitsprache. Ein Fach im Spannungsfeld migrationsgesellschaftlicher Machtverhältnisse" findet am Freitag, 20. Mai 2011, um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.
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