Julio Mendívil: Musik(-wissenschaft) in seinen Ohren

Mit den klanglichen, kulturellen und sozialen Aspekten von Musik beschäftigt sich Uni Wien-Musikethnologe Julio Mendívil. Warum das Ticketverkäufer im Mozartkostüm, die Imagination von "Inkamusik" und den deutschen Schlager gleichermaßen einschließt, gibt es im Porträt zum Nachlesen.

1990 in Köln: Auf der Bühne am Domplatz covert die Mundartband Bläck Fööss den Beatles-Klassiker Sgt. Pepper mit Marschmusikelementen. Der musikaffine Julio Mendívil, damals 27 Jahre alt und gerade aus Lima angereist, erlebte an diesem Tag einen "Kulturschock". Mit der Kölschen Karnevalsmusik hat sich der heutige Musikethnologe immer noch nicht angefreundet, in Europa ist er aber geblieben. Seine Forscherzelte hat Mendívil mittlerweile in Österreich aufgeschlagen: Seit September 2017 ist er am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien tätig.

Ein "fünfter Beatle" für Andenmusik

Die Ethnomusikologie – eine Disziplin innerhalb der Musikwissenschaft, die sich den klanglichen, kulturellen und sozialen Aspekten von Musik widmet – hat Mendívil in Peru entdeckt. Sein Interesse galt anfangs der traditionellen Musik seiner Heimat, die er auch praktisch erprobte: An der Nationalen Folkloreschule José María Arguedas in Lima studierte er Zampoña, eine Art Panflöte, und das Saiteninstrument Charango. Letzteres begleitet Julio Mendívil noch immer. In Wien unterstützt er regelmäßig das Andenrepertoire der Band PURO PERÚ als Charangospieler: "Ich bin sozusagen der Billy Preston – der 'fünfte Beatle' – der Musikgruppe."

Die Band PURO PERÚ spielt Musik aus Peru. Wenn die Gruppe Stücke aus der Andenregion zum Besten geben, ist Julio Mendívil als Charangospieler mit von der Partie. (© privat)

Musikwissenschaft politisch gefärbt

Julio Mendívils aktuelles Forschungsthema und Gegenstand seiner Antrittsvorlesung ist die Imagination der "Inkamusik": "Das Inkareich erstreckte sich über sechs Länder und umfasste rund 200 ethnische Gruppen. Das Reich und seine unterschiedlichen Musikkulturen waren vielfältig, nichts desto trotz gingen die Musikwissenschafter des 19. Jahrhunderts von einer homogenen 'Inkamusik' aus – diese Vorstellung hielt sich bis in die 1960er Jahre", so Mendívil und erklärt: "Bei dieser systematischen Reduktion von Komplexität ging es häufig um politische Programme gegen die indigene Bevölkerung."

Eine Stadt zum "Niederlassen"

Nach zahlreichen Forschungsaufenthalten im Andenraum und langjähriger Tätigkeit am musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln, nach Leitung des Center for World Music der Stiftung Universität Hildesheim und Gastdozenturen in Chile oder Uruguay, hat der 55-jährige Globetrotter mit Wien seine Stadt zum "Niederlassen" gefunden. "Wien ist toll und das Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien – das älteste in Europa – ist renommiert, sehr gut vernetzt und verfügt über ausgezeichnete Ressourcen, um sich musikwissenschaftlichen Fragestellungen zu widmen."

Im Gepäck hat Musikethnologe Mendívil ein breites Spektrum an Forschungsthemen: vom deutschen Schlager als musikalisches Stück Heimat (mehr dazu u.a. in seinem Open Access Buchbeitrag "Rocking granny's living room: The new voices of the German Schlager") über deutschsprachige Musik in Blumenau – eine 1850 von deutschen EinwanderInnen gegründete Siedlung in Brasilien – bis zu den Musikinstrumenten indigener Kulturen aus dem Andenraum. Hier gibt es den kompletten wissenschaftlichen Werdegang von Julio Mendívi

Musikethnologische Beobachtungen in Wien

Wer kennt sie nicht, die Mozartimitatoren in Barockkleidern, die TouristInnen vor dem Stephansdom Konzerttickets verkaufen: Für die meisten StadtbewohnerInnen ist dieser Anblick wohl eher unspektakulär, für Mendívil jedoch ist es ein musikwissenschaftlich höchst spannendes Thema. "Wie hier ein vergangenes Österreich für TouristInnen inszeniert wird, überwiegend von Menschen, die nicht aus Österreich stammen, beeindruckt mich. Alle Beteiligten scheinen mit dieser Repräsentation zufrieden zu sein, die wenig mit der realen Vergangenheit zu tun hat."

Anhaltende Begeisterung


Dass musikwissenschaftliche Themen hinter jeder Straßenbiegung lauern, fasziniert Julio Mendívil nach wie vor. Diese Begeisterung teilt er mit seinen Studierenden in Lehrveranstaltungen zu Cumbia, Progressive Rock und Counterculture der 1970er oder Schlagermusik: "Wenn jemand Lust auf Neues hat, ist die Musikethnologie die richtige Fächerwahl."

Hammerschläge im Ohr


Sich auf Unbekanntes einlassen, gehört in der Musikethnologie zum "guten Ton". Aus Mendívils Boxen dröhnen daher Protestmusik aus Lateinamerika und persische Musik, Klassik, Kompositionen, die nahezu nur aus Pausen bestehen, oder zweistimmiger kroatischer Kirchengesang, der einem "Hammer im Ohr" gleicht. Während sich der Musikwissenschafter über Neuentdeckungen freut, "beklagen" sich andere: "Meine Kinder – jetzt erwachsen – haben sich damals oft beschwert, wenn ich meine Musik aufgedreht habe", schmunzelt Julio Mendívil. Ihrer Musikaffinität hat die frühkindliche Beschallung jedoch nicht geschadet – im Gegenteil: Seine Tochter ist mittlerweile Bauchtänzerin, sein Sohn Gitarrist und begeisterter Breakdancer. (hm)

Die Antrittsvorlesung "Männersache. Über die Konstruktion von Männlichkeit in der Musikwissenschaft über die Anden" von Univ.-Prof. Dr. Julio César Mendívil Trelles, M.A. findet am Mittwoch, 24. Oktober 2018, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.