Sabine Einwiller: Kommunikation in der Krise

Wie und warum beschweren sich Personen über Unternehmen in sozialen Onlinemedien und warum reagieren amerikanische VW-KundInnen negativer auf den Abgasskandal als deutsche? Die PR-Forscherin Sabine Einwiller untersucht anhand konkreter Unternehmensbeispiele wissenschaftliche Fragestellungen.

"Während meines Psychologiestudiums habe ich mich quasi blind für ein Praktikum bei einem großen Chemie-Unternehmen beworben. Ich wollte in die Abteilung, in der man das Image des Unternehmens untersucht", erinnert sich Sabine Einwiller und meint lachend: "Damals wusste ich gar nicht genau, wo man das im Unternehmen macht, und ich habe die Bewerbung kurzerhand an die zentrale Personalabteilung des riesigen Konzerns geschickt. Zu meiner großen Freude erhielt ich daraufhin eine Einladung zum Vorstellungsgespräch und landete genau dort, wo ich die Wirkung der Unternehmenskommunikation analysieren konnte: In der Public Relations Abteilung – zuerst als Praktikantin und nach Studienabschluss als Mitarbeiterin."

"Lust auf Wissenschaft"

Anscheinend hatte die Personalabteilung des Chemie-Unternehmens ein gutes Händchen. Denn heute, zwanzig Jahre später, ist Sabine Einwiller Professorin am Institut Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien – mit dem Schwerpunkt Public Relations-Forschung. "Bereits während des Studiums habe ich mich für Wirtschafts- und Sozialpsychologie, insbesondere für Einstellungen zu Unternehmen und Marken interessiert – da war der Weg in die PR nicht weit", erzählt sie.

Richtig "Lust auf Wissenschaft" bekam die Professorin dann vor allem durch ihre praktische Erfahrung in der Unternehmenskommunikation: "Das war mein Motivator, in die Forschung zu gehen und an einer Universität die Fragestellungen, die ich in der Praxis bearbeitete, wissenschaftlich und in der vollen Tiefe zu behandeln."

Forscherische Freiheit

Das machte sie zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin sowie schließlich als Leiterin des Zentrums für Unternehmenskommunikation am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen – wo sie 2003 promovierte. Nach Auslandsaufenthalten in den USA erhielt sie eine Professur an der Fachhochschule Nordwestschweiz und habilitierte sich währenddessen an der Universität St. Gallen. Nach der Habilitation wurde sie Professorin für Publizistik an der Universität Mainz.

2014 kam der Ruf nach Wien und so forscht und lehrt Sabine Einwiller nun am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. "Es ist ein sehr dynamisches Institut und ich habe hier viel forscherische Freiheit, meine Themen weiterzuentwickeln", freut sie sich.

Sabine Einwiller untersucht u.a. die Unterschiede zwischen westlicher und asiatischer Beschwerdekultur. Ein Ort, wo beide Kulturen aufeinandertreffen und dem Sabine Einwiller im Jahr 2013 einen Besuch abstattete, ist Chinatown in Manhattan, New York City. (Foto: Privat)

Wenn das Unternehmen in die Kritik kommt

Eines ihrer Themen ist die Unternehmenskommunikation in Krisensituationen: "Stakeholder von Unternehmen werden immer kritischer – Stichwort Nachhaltigkeit oder faire Produktion – und Unternehmen müssen mit dieser immer lauter und digitaler werdenden Kritik umgehen können." Wie sie das machen – und wie die Krisenkommunikation wirkt – untersucht Einwiller in verschiedenen Projekten.

"Die Wirkung von Kommunikation hängt auch von der Beziehung ab, die ein Unternehmen bereits im Vorfeld zu den MitarbeiterInnen, der Öffentlichkeit und natürlich den KundInnen aufgebaut hat." Ist diese gefestigt, so ist das Wohlwollen dem Unternehmen gegenüber auch in Krisenzeiten größer.
 
VW-Krise als Forschungsgegenstand

"Das sehen wir auch am Beispiel von VW", erklärt die Forscherin, die in einem aktuellen Projekt die Reaktionen deutscher und amerikanischer KundInnen auf den Abgasskandal untersucht hat: "Unsere Studie zeigt, dass die Identifikation mit dem Unternehmen eine große Rolle dabei spielt, wie der Skandal wahrgenommen wird."
 
So reagieren amerikanische VW-BesitzerInnen negativer auf den Skandal als deutsche, da sie sich weniger stark mit der Marke verbunden fühlen. "Auch sehen sie die Verantwortung für den Skandal stärker beim Unternehmen selbst, während deutsche KundInnen zu 70 Prozent annehmen: 'Andere Unternehmen machen das ja auch'", verrät Einwiller von den Forschungsergebnissen und schmunzelt: "Aber mehr dazu gibt es bei meiner Public Lecture am 23. Mai."

Es ist der Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis, der für Sabine Einwiller die PR-Forschung so spannend macht. "Anhand unserer wissenschaftlichen Untersuchungen können wir Unternehmen konkrete Hinweise geben, wie sie ihre Kommunikation in der Praxis verbessern können", so Einwiller. Im Bild bei einem Vortrag vor PraxisvertreterInnen in Frankfurt im Jahr 2009. (Foto: Privat)

Kritik frühzeitig erkennen

In einem anderen Projekt untersucht sie, wie Unternehmen auf Beschwerden reagieren, die in Social Media, wie Twitter und Facebook, geäußert werden. "Durch die Öffentlichkeit, die Beschwerden im Internet erhalten, und die Gefahr, dass andere diese Beschwerden aufgreifen und ein Shitstorm entsteht, erhöht sich der Druck, schnell und adäquat zu reagieren", sagt sie und betont, dass lange interne Kommunikationsabstimmungsprozesse passé sind: "Gerade KundInnen, die ihre Beschwerde über Social Media vorbringen, erwarten innerhalb weniger Stunden eine angemessene Antwort."

Dabei könnten Online-Beschwerdestürme oft rechtzeitig entschärft werden: "Es zeigt sich, dass sich Personen oft erst dann über Social Media beschweren, wenn sie es bereits auf anderen Wegen erfolglos versucht haben und sich eine große Unzufriedenheit aufgebaut hat."

Internationale Unterschiede

Auch die Internationalisierung spielt eine immer größere Rolle in der Unternehmenskommunikation. Firmen, die in verschiedenen Ländern auftreten, sollten laut Einwiller ihre (Krisen-)Kommunikation entsprechend anpassen. "Sie müssen verstehen, wie sich die Beschwerdekultur in den verschiedenen Regionen unterscheidet. So ist im asiatischen Raum ein anderes Beschwerdemanagement als in Europa gefragt", betont die PR-Professorin, die diese Unterschiede nun genauer untersuchen will: "Natürlich anhand konkreter Fälle bzw. Unternehmen. Denn so wird PR-Forschung noch spannender und für die Praxis anwendbarer." (ps)

Univ.-Prof. Dr. Sabine Einwiller, Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Public Relations-Forschung an der Fakultät für Sozialwissenschaften, hält am Montag, 23. Mai 2016, um 18 Uhr ihre Public Lecture zum Thema "Unternehmen in der Kritik. Kommunikation und Wirkung" im Kleinen Festsaal der Universität Wien.