Auf "Field School" im Lande Moab (1)

Seit 2003 ist die Universität Wien mit Michael Weigl am internationalen archäologischen Großprojekt "Wadi ath-Tamad" im biblischen "Land Moab" – einer Region Zentraljordaniens – beteiligt. Zurzeit ist Weigl wie jedes Jahr mit Studierenden vor Ort. Für uni:view berichten die NachwuchsarchäologInnen regelmäßig aus dem Feld.

Ziel der "Wadi ath-Tamad"-Projekts ist die systematische archäologische Erforschung eines Gesamtareals von ca. 110 Quadratkilometern, das auf dem zentraljordanischen Hochland (dem Plateau von Diban nördlich des Wadi Mujib) gelegen ist. Dieser Teil des Hochplateaus wurde in der Antike als "Land Moab" bezeichnet, das uns sowohl aus moabitischen Inschriften als auch aus der hebräischen Bibel bekannt ist. Seinen Namen erhielt das Projekt vom Wadi ath-Thamad, einem System von "Wadis" (Trockentäler), die sich von Ost nach West durch die Hochebene von Diban winden.


Das "Wadi ath-Thamad Project" ist ein archäologisches Projekt, das 1996 von Michèle Daviau (Wilfrid Laurier University, Kanada) begründet wurde. Seit 2003 ist die Universität Wien durch Michael Weigl (Institut für Bibelwissenschaft) beteiligt, der die Grabungs- und Forschungstätigkeit koordiniert. Im Bild: Google Earth-Blick auf die wichtigsten Stätten des Surveys. Mittig erkennt man das "Wadi" – ein Trockental, das im Winter Wasser führt und den Beduinen im Sommer als Wasservorrat dient.



Zwei entscheidende Komponenten bestimmen unser Projekt: ein regionaler "Survey", der die ausgesprochen intensive menschliche (Siedlungs-)Aktivität in dieser Region dokumentiert – vom Epipaläolithikum bis hin zur frühislamischen Zeit – und die Ausgrabung der zentralen und größten antiken Siedlung der Region, eines namentlich noch unbekannten Orts mit der modernen Bezeichnung "Khirbat al-Mudayna ath-Thamad".

Eisenzeitliche Grenzstadt

Khirbat al-Mudayna ath-Thamad, etwa 25 Kilometer südöstlich der modernen Stadt Madaba gelegen, existierte nur während der Eisen-II-Zeit (ca. 900 bis 550 v. Chr.). Es handelt sich dabei um eine durch eine Kasemattenmauer und ein Sechskammer-Tor schwer befestigte Stadt, die an einer strategisch wichtigen Verkehrsverbindung zwischen den eisenzeitlichen Königreichen Moab und Ammon auf einem natürlichen Hügel errichtet wurde. Wahrscheinlich war Khirbat al-Mudayna auch eine Grenzstadt, die im System der syro-palästinischen Klientelstaaten des neuassyrischen Reiches eine wichtige Rolle spielte.

Das Stadtgebiet umfasst neben zwei Tempeln, Vierteln mit häuslicher Architektur und einem Gebäudekomplex mit Elite-Status vor allem ein "Industrieviertel", in dem mehrere, aneinandergereihte hallenähnliche Gebäude der Produktion von Handelsgütern, insbesondere der Textilindustrie, dienten. Die materielle Kultur der zentralen Ausgrabungsstätte, deren historische Identifikation in der Forschung heftig diskutiert wird, zeigt neben indigenen Traditionen auch starke kulturelle Einflüsse aus den neuassyrischen, phönizischen, aramäischen, syro-palästinischen und ägyptischen Kulturbereichen.

Archäologisches Neuland

Das "Wadi ath-Thamad Project" ist das bisher größte archäologische Projekt im sonst wenig erforschten zentralen moabitischen Hochland. Da Grabungen an anderen, ausgedehnteren und auch inschriftlich bezeugten Orten bis dato nur sehr begrenzt möglich waren, ist das Material aus Khirbat al-Mudayna für das Verständnis der eisenzeitlichen Besiedlung Jordaniens besonders wichtig. Das Projekt hat mit seiner Begründung 1996 wissenschaftliches Neuland betreten.

Ausgrabungen und Survey in vollem Gange

Aufgrund seiner lokalen Nähe zu Palästina und der zeitlichen Nähe zu den eisenzeitlichen Königreichen Israel und Juda bietet es außerdem die einmalige Chance, die Erforschung der eng benachbarten Kulturen ohne jedes wissenschaftliche Präjudiz im großen Stil voranzutreiben. Das bislang ergrabene und teilweise auch schon publizierte Material (Architektur, Artefakte, Keramik usw.) stellt eine wesentliche Ressource für die Archäologie der Levante in der Eisenzeit bereit. Sowohl die Ausgrabungen als auch der Survey sind in vollem Gange. Gleichzeitig bereite ich gemeinsam mit Michèle Daviau die Publikation der bisherigen Ergebnisse des Projekts in mehreren Bänden vor – ein Unterfangen, das angesichts des Umfangs und der Komplexität des Datenmaterials eine große wissenschaftliche Herausforderung darstellt.

Studierende der Universität Wien in Jordanien

Seit 1996 haben ForscherInnen in fünfzehn Kampagnen gemeinsam mit hunderten qualifizierten Studierenden aus aller Herren Länder unter dem Schirm des Projekts erfolgreich zusammengearbeitet. Im Jahre 2004 nahmen zum ersten Mal auch Studierende der Universität Wien an der Grabung teil – ein Engagement, das in Zukunft noch weiter verstärkt werden soll.

Die Kampagnen werden jeweils als Kombination zwischen einer sogenannten "Field School" und einer spezifischen Detailuntersuchung bestimmter Areale organisiert. Wir möchten unseren Studierenden aller Studienrichtungen eine Grundausbildung in den Methoden angewandter Feldarchäologie anbieten, gleichzeitig aber auch Fragestellungen bearbeiten, die nur gemeinsam mit erfahrenen ArchäologInnen abgeklärt werden können.

Für die TeilnehmerInnen der "Field School" bieten wir ein Grundlagentraining an. Sie lernen im Laufe von sechs bis sieben Wochen (jeweils in den Sommerferien) die wichtigsten Arbeitsschritte einer Feldgrabung kennen, und üben diese auch gleich vor Ort: stratifiziertes Ausgraben, Vermessen, Zeichnen und Dokumentieren in unserem projektspezifischen Dokumentationssystem; Umgang mit Keramik (reinigen, sortieren, photographieren, dokumentieren) und Interpretation derselben; Umgang mit Tier- und Menschenknochen; Objekte ausgraben, vermessen und zeichnen; Pläne von Quadranten und Arealen zeichnen usw. Zweimal in der Woche halten wir Vorträge, in denen wir die Studierenden in die wissenschaftlichen Fragestellungen unseres Projektes einführen oder Teilaspekte diskutieren.

Jede Woche veranstalten wir außerdem einen Ausflug zu ausgewählten, besonders bedeutenden archäologischen und kunsthistorischen Stätten in Jordanien. Unsere erfahrenen Doktoranden leiten meist je eine diese Führungen. Auch benachbarte aktive Ausgrabungen werden regelmäßig besucht.


Regelmäßige Exkursionen ermöglichen den Studierenden, neben dem harten Grabungsalltag auch das reiche kulturelle Erbe des Landes kennenzulernen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den verschiedenen religiösen Einflüssen, die in Jordanien spürbar sind. Im Bild: Blick aus dem Flugzeug auf die größte antike Siedlung der Region, heute heißt die Gegend "Khirbat al-Mudayna ath-Thamad".



Am Ende jeder Kampagne kehren unsere Studierenden mit einer Menge an neu erworbenem Wissen in ihre Heimatländer zurück. Sie können es dort für ihren jeweiligen Studiengang oder ihren zukünftigen Beruf einsetzen. Nicht selten kommen viele auch wieder – gleich im nächsten Jahr oder auch später. Und zu Hause fängt ja die wichtigste Arbeit erst an: die Aufarbeitung des Fundmaterials an den Heimatuniversitäten des Leitungsteams.

Neugierig geworden? Im uni:view-Sommerdossier "Auf Field School im Land Moab" erfahren Sie regelmäßig, was die Studierenden der Universität Wien unter der Leitung von Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Michael Weigl, M.A. vom Institut für Bibelwissenschaft bei den Ausgrabungen in Jordanien lernen und erleben.