"Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt"
| 03. Oktober 20192017 startete an der Universität Wien der neue Masterstudiengang Lebensmittelchemie. Im Gespräch mit uni:view blicken Leiterin Doris Marko und Absolvent Raphael Steinschaden auf den ersten Durchgang des Studiengangs zurück und erklären, warum Lebensmittelforschung immer aktuell ist.
uni:view: Frau Prof. Marko, warum brauchen wir gut ausgebildete LebensmittelforscherInnen
Doris Marko: Aufreger, Mythen und falsches Wissen um Ernährung sind eine Konstante und eines ist gewiss: Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt. Es braucht dann versierte ExpertInnen, die betroffene Lebensmittel analysieren und auswerten – diese Leute bilden wir aus. LebensmittelchemikerInnen untersuchen Ernährungstrends, zum Beispiel Nutzen, Wirken und mögliche Veränderungen von veganen Ersatzprodukten. Ein anderes brisantes Thema ist die Toxizität von Glyphosat. Ebenso beschäftigen uns aktuell Nahrungsergänzungsmittel: Wie gut oder schlecht sind solche "Nährstoffe in Pillenform"? Was muss bei der Supplementierung berücksichtigt werden?
uni:view: Sie sprechen die Lebensmittelüberwachung und -kontrolle an. Was sind weitere Berufsfelder und Jobs für AbsolventInnen des Masterstudiums Lebensmittelchemie?
Marko: LebensmittelchemikerInnen haben ein klares Berufsbild; die Perspektiven in der Industrie sind vielfältig. Weitere Einsatzbereiche sind zum Beispiel die Ernährungsindustrie, die Qualitätskontrolle, die Produktentwicklung, Mitarbeit in Forschungsprojekten, aber auch die Pharmaindustrie, LebensmittelchemikerInnen arbeiten etwa bei der Zulassung von Arzneimitteln mit.
uni:view: Herr Steinschaden, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Abschluss als erster Absolvent des neuen Lehrgangs! Was hat Sie motiviert, den Master Lebensmittelchemie an der Uni Wien zu inskribieren?
Raphael Steinschaden: Ich habe im Bachelor Ernährungswissenschaften an der Universität Wien studiert, der neue Master wurde quasi pünktlich zu meinem Abschluss gegründet. Für mich bot dieser Studiengang die Möglichkeit, meine beiden Interessen, Chemie und Ernährung, miteinander zu verbinden. Gereizt hat mich auch die Verschränkung von Praxis und Theorie: Neben der Arbeit im Labor gehört die Auseinandersetzung mit der allgemeinen Lebensmittelchemie, Toxikologie oder mit aktuellen Themen der Lebensmittelforschung zum Studienplan.
uni:view: Wie geht es jetzt bei Ihnen weiter, Herr Steinschaden?
Steinschaden: Ich bin sehr offen: Das PhD-Studium ist eine Option, die Lebensmittelindustrie ist aber auch ein sehr spannender Bereich. Für mich steht nur fest, dass ich bald schon mit dem Bewerbungsschreiben loslegen möchte.
Nach nur vier Semestern ist Raphael Steinschaden der erste Absolvent des neuen Masterstudiengangs Lebensmittelchemie. Seine Masterarbeit schrieb er über mögliche Wege, kaltgepresste Speiseöle oxidativ stabiler, also länger haltbar und für KonsumentInnen gesünder zu machen. Im Bild: Raphael Steinschaden in einem persönlich bedruckten Sweatshirt, ein Abschiedsgeschenk der Leiterin des Studiengangs Doris Marko. (© Universität Wien)
uni:view: Frau Marko, was hat Sie eigentlich dazu bewogen, diesen Masterstudiengang am Department of Food Chemistry and Toxicology ins Leben zu rufen?
Doris Marko: Ich habe selbst Lebensmittelchemie studiert, in Kaiserslautern. In Deutschland ist das ein extrem erfolgreicher Studiengang, der an 15 verschiedenen Standorten absolviert werden kann. Als ich 2009 nach Österreich kam, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass die Lebensmittelchemie im Studienangebot fehlt. Also habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sie hier an der Uni Wien zu etablieren – was mir 2017 mit tatkräftiger Unterstützung des Rektorats und der Fakultät für Chemie gelungen ist.
uni:view: Was gibt es, rückblickend auf den ersten Durchgang des Masterstudiums, für Verbesserungsvorschläge?
Steinschaden: Ich bin sehr zufrieden, wie der erste Durchgang gelaufen ist. Ein Ziel für die Zukunft wäre das breiteres Angebot an freien Wahlfächern – es handelt sich um ein interdisziplinäres Fach und weitere Vertiefungsmöglichkeiten wären sicher eine Bereicherung.
Marko: Ein weiterer Aspekt ist die Entwicklung der praktischen Ausbildung – hier müssen wir in Zukunft noch mehr investieren. Wir sind eigentlich schon sehr gut ausgerüstet und werden weiterhin unsere Vernetzung mit der Industrie als auch mit internationalen Forschungsinstituten ausbauen, um unseren Studierenden ein möglichst breites Spektrum an Perspektiven zu eröffnen.
Das Masterstudium Lebensmittelchemie wurde im WS 2017 an der Universität Wien initiiert. Das Studium erstreckt sich über vier Semester, umfasst 120 ECTS und schließt mit einem Master of Science ab. Neben den theoretischen Grundlagen lernen Studierende die praktische Laborarbeit kennen. Für Kurzentschlossene: Die Zulassung zum Master Lebensmittelchemie ist noch bis zum 30. November 2019 möglich. Mehr Infos (© Universität Wien/Barbara Mair)
uni:view: Noch einmal zusammengefasst: Warum empfehlen Sie Studierenden den Master "Lebensmittelchemie"?
Marko: Der Studiengang vermittelt Wissen über die Chemie, aber auch über die Physiologie, Toxikologie oder Analytik. So vielfältig wie die Inhalte sind die Arbeit und Forschung. Das Tätigkeitsfeld von LebensmittelchemikerInnen ist divers, und AbsolventInnen haben sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben den Studiengang so konzipiert, dass er an die deutschen Studiengänge andockt – also ein Forschen über nationale Grenzen hinweg möglich ist. Wir sind aber nicht nur in Europa, sondern auch global gut vernetzt und davon profitieren unsere Studierenden.
uni:view: Vielen Dank für das Interview! (hm)
Doris Marko leitet seit 2010 das Department of Food Chemistry and Toxicology an der Universität Wien. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Nutzen und Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln, Wirkung von Schimmelpilzgiften und die Bedeutung der gleichzeitigen Belastung des Menschen durch multiple Giftstoffe.
Raphael Steinschaden schloss am 13. September 2019 als erster Absolvent das Masterstudium Lebensmittelchemie ab. Seine Interessen liegen im Bereich der Lebensmittelanalytik und Lebensmittelsicherheit.