Die Quelle als widerständige Akteurin
| 02. April 2013Unter dem Titel "Die Quelle als widerständige Akteurin" fand am Donnerstag, 7. März 2013, der 5. Workshop des Fakultätsschwerpunktes Frauen- und Geschlechtergeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät statt.
Bereits während der Eröffnung wurden von Dekanin Claudia Theune-Vogt die Relevanz und der disziplinenübergreifende Ansatz des Fakultätsschwerpunktes betont. Dieser beschäftigt sich mit dem geschichtlichen Wandel und den Ausprägungen von Geschlechterverhältnissen.
Nachwuchsförderung
Die Sprecherinnen des FFG-Schwerpunkts, Johanna Gehmacher (Institut für Zeitgeschichte) und Gabriella Hauch (Institut für Geschichte), hoben die Nachwuchsförderung als wichtigen Punkt hervor. So wurde neben der inhaltlichen Konzeption und Organisation, die von Nachwuchswissenschafterinnen (Aylin Basaran, Linda Erker, Veronika Helfert, Christina Linsboth und Irida Vorpsi) bestritten wurde, auch während des Workshops Wert darauf gelegt, dass junge WissenschafterInnen ihre Forschungen zur Diskussion stellen können.
Quellen liefern meist mehr Fragen als Antworten
Gleich zu Beginn des Tages setzte sich die deutsche Historikerin Claudia Opitz-Belakhal von der Universität Basel in ihrer Keynote mit der titelgebenden Quelle als widerständiger Akteurin auseinander. Ausgehend von eigenen Forschungsarbeiten zeigte sie auf, dass sich aus einer vermeintlichen Unterdrückungsthese sehr wohl eine Heldinnengeschichte erzeugen lässt. Weiters sprach sie über ihren Zugang zur Männlichkeitsforschung am Beispiel des französischen Philosophen Jean Bodin (1529-1596) und schloss mit der Feststellung, dass Quellen im besten Fall mehr Fragen als Antworten liefern können.
Suizid und österreichischer Adel
Im Anschluss an eine rege Diskussion widmete sich das erste Panel Abschiedsbriefen und Tagzetteln. Michaela Maria Hintermayr referierte über den geschlechterspezifischen Suiziddiskurs in Österreich seit 1870. Ihr Augenmerk richtete sich dabei auf Ego-Dokumente. Sie hinterfragte in ihrem Vortrag die Machtverhältnisse, die den Diskursen zum Thema Suizid eingeschrieben sind.
Elke Meyer untersuchte Tagzettel als Ausdrucksform der frühen Neuzeit am Beispiel von nachgelassenen Schriftstücken der Adeligen Johanna Theresia Harrach. Meyer stellte fest, dass sich bei Ihrer Forschungsarbeit die Widerständigkeit der Quelle allein schon durch die schiere Masse an Quellen zeigte und unterstrich somit die Möglichkeit, Einblicke in die Lebenswelt um 1700 aus einer weiblichen Perspektive zu erhalten.
Spuren der Geschichte in Film und Fernsehen
Bewegte Bilder standen im Zentrum des zweiten Panels des Tages. Monika Bernold befragte am Beispiel von Suffragetten-Filmen der 1920er die bewegten Bilder nach Spuren der Vergangenheit. Der historische Index, der dem Filmbild immanent ist, offenbart in diesem Vortrag exemplarisch am Filmmaterial die visuellen Waffen des Feminismus.
Die anschließende Präsentation von Renée Winter richtete ihren Blick auf das – dem ersten Anschein nach – wenig emanzipative Fernsehformat Ehekrieg- und Frieden, das erstmals 1962 im ORF ausgestrahlt wurde. Winter ging der Frage nach, wie dabei Geschlechterrollen produziert werden und ob dieses Format eine Dekonstruktion von Männlichkeit in sich birgt.
In ihrem Beitrag setzte Julia Köhne den Fokus auf den Zeitkern von fiktionalem Filmmaterial am Beispiel von Boys from Brazil (1978). Dieser Film schreibt sich in den Diskurs rund um Bioethik und Reproduktionsthematiken ein und reagiert über das Hilfsmittel von – in diesem Fall wörtlich zu nehmender – Science Fiction auf Naturwissenschaftsgeschichte.
Die erste Kaiserin Roms
Der Vortrag von Kerstin Sänger-Böhm thematisierte Frauen in der Antike. Sänger-Böhm schilderte am Beispiel von Livia, der ersten römischen Kaiserin, die weibliche Rolle in einer Herrschaftsschicht, in der Frauen zwar als Bindeglieder der Dynastie fungierten, jedoch keinerlei staatsrechtliche Belange besaßen. Sänger-Böhm wies darauf hin, dass Livia als angesehene Diplomatin wirkte und durchaus großen politschen Einfluss besaß.
Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus
Das abschließende Panel wurde von Roman Birke und Johann Karl Kirchknopf bestritten und thematisierte Gerichtsakten aus dem Nationalsozialismus als historische Quellen. Während Birke anhand einer Fallstudie die "freiwillige Entmannung" von Homosexuellen in den Blick nahm, die im nationalsozialistischen Denken der Stabilisierung von Heterosexualität dienen sollte, befasste sich Kirchknopf mit Gerichtsakten zum §129b, der die strafrechtliche Verfolgung von (vermeintlich) lesbischen Frauen ahndete. Kirchknopf legte dar, wie ein von Männern definiertes Rechtssystem ein Zerrbild lesbischen Lebens wieder gab und unschuldige Frauen zu Unrecht verfolgte.
Aktuelle Ansätze der Frauen- und Geschlechtergeschichte
Die Veranstaltung bot zahlreiche Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten für WissenschafterInnen. In der Abschlussdiskussion wurde über den eigenen Umgang mit Quellen in der Forschungspraxis und über das Thema "Die Quelle als widerständige Akteurin" hinaus aktuelle Ansätze der Frauen- und Geschlechtergeschichte debattiert. Die interessanten Vorträge mit ihren diversen Zugängen sowie die angeregten Diskussionen zeigten, dass der interdisziplinäre Ansatz, den der Fakultätsschwerpunkt Frauen- und Geschlechtergeschichte verfolgt, sehr gut aufgenommen wird. (red)
Mag.a Sara Vorwalder, studierte Theater-, Film und Medienwissenschaft und schloss ihr Studium 2012 mit einer Diplomarbeit über Walter Benjamin und Jean-Luc Godard zum Thema Geschichts- und Erzähltheorie ab. Ihr Forschungsschwerpunkt ist u.a. das Verhältnis von Film und Geschichte. Sie ist Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.