Die Universität im Spätmittelalter und die Universitätsreformen von Ferdinand I.

Thomas Maisel, der Leiter des Archivs der Universität Wien, berichtet in seinem Beitrag zur Jubiläumsringvorlesung über die große Krise der Universitäten zu Beginn der Reformationszeit bis zur Berufung des Jesuitenordens 1551 und dem Ende der intensiven Reformphase unter Ferdinand I. im Jahre 1554.

Von den ersten Anfängen des Renaissance-Humanismus in Wien im 15. Jahrhundert über die große allgemeine Krise der Universitäten zu Beginn der Reformationszeit bis zur Berufung des Jesuitenordens 1551 und dem Ende der intensiven Reformphase unter Ferdinand I. im Jahre 1554 vollzog sich ein beträchtlicher Wandel der Universität: Die Entwicklung führte von der spätmittelalterlichen, kirchennahen Korporation, welche die habsburgischen Stifter mit großen Freiheiten und Rechten ausgestattet hatten, zur frühneuzeitlichen Landesuniversität, die nach den politischen Zielen und Vorstellungen des frühabsolutistischen katholischen Territorialfürsten modernisiert und instrumentalisiert wurde.

Zunehmende landesfürstliche Eingriffe unter Maximilian I.

Die Universität Wien zählte im 15. Jahrhundert zu den meistfrequentierten Hochschulen im Heiligen Römischen Reich. Mit Ausnahme von Zeiten politischer Krisen und grassierender Seuchen wurden in der Universitätsmatrikel jährlich mehrere hundert neue Universitätsbesucher verzeichnet. Charakteristisch für eine nach dem Pariser Modell gestaltete Universität war die deutlich überwiegende Zahl von Studenten und Magistern an der Artistenfakultät (Fakultät der Artes liberales – freien Künste, später Philosophische Fakultät genannt). Sie war am stärksten von den Neuerungen der humanistischen Bildungsbewegung betroffen, deren Schwerpunkte (Poetik, Rhetorik, Suche nach den authentischen Texten antiker Autoren) direkt das Lehrprogramm der Artistenfakultät berührten.

Obwohl sich die Fakultät bemühte, humanistische Lehrinhalte zu berücksichtigen, und in der Vergangenheit sogar höchst renommierte Gelehrte aufweisen konnte, wie die humanistisch gebildeten Astronomen Georg Aunpekh von Peuerbach (1423-1461) und Johannes Müller von Königsberg (in Franken), genannt Regiomontanus (1436-1476), geriet sie gegen Ende des 15. Jahrhunderts verstärkt unter Reformdruck, dessen treibende Kräfte die Hofhumanisten Maximilians I. waren. Das Problem waren nicht nur die neuen Bildungsziele, sondern auch die neuen Lebens- und Sozialformen, welche mit dem Humanismus Einzug hielten: Humanisten bevorzugten einen weltlichen, fürstennahen Lebensstil, und bedachten die noch immer dem scholastischen Lehrbetrieb verhafteten Artistenfakultäten mit beißendem Spott. In dieser Situation erschien die Universität, welche an den tradierten klerikalen Sozialformen und korporativen Strukturen festhalten wollte, zögerlich und defensiv.


Die Universität Wien feiert 2015 ihr 650-Jahre-Jubiläum. Im Wintersemester widmet sich eine eigene Ringvorlesung der Geschichte der ältesten Universität im deutschsprachigen Raum: "Die Wiener Universität 1365-2015. Tradition als Innovation und Ort der Begegnung" LV-LeiterInnen: Marianne Klemun und Martin Scheutz.
Termine



Der Lösungsweg, den der landesfürstliche Hof beschritt, war die Umgehung der mittelalterlichen korporativen Fakultätsstrukturen mittels Errichtung neuer Lehrkanzeln, deren Inhaber vom Landesfürsten bestellt und besoldet wurden. Der erste von Maximilian I. an die Universität berufene Humanist war der Italiener Hieronymus Balbus (Girolamo Balbi, ca. 1450-1535), der zunächst Rhetorik (1493), kurz darauf jedoch vor allem Römisches Recht an der juridischen Fakultät lehrte. Für die Rhetorik-Lektur gewann der landesfürstlichen Hof schließlich den renommierten deutschen Humanisten Konrad Celtis (1459-1508), welcher 1497 von Kaiser Maximilian I. an die Universität Wien berufen wurde.

Celtis war in humanistischen Kreisen bestens vernetzt, und zog bald eine Reihe weiterer Humanisten nach Wien. Als institutionelle Basis diente das 1501 von Maximilian I. an der Universität begründete Collegium Poetarum et Mathematicorum, welches vier besoldete Lehrkanzeln umfasste. Damit waren die humanistischen Studienfächer zunächst außerhalb der Artistenfakultät etabliert worden.

Existenzgefährdende Krise der Universität

Bis ca. 1519/20 schienen die Ergebnisse der landesfürstlichen "Berufungspolitik" äußerst erfolgreich zu sein. Bis zu 700 neue Immatrikulationen jährlich wurden verbucht, mehr als an jeder anderen Universität im Heiligen Römischen Reich. Die Vorboten einer Krise zeichneten sich jedoch schon ab: 1513/14 erschütterte eine studentische Rebellion die Universität und die Stadt ("Lateinischer Krieg"); im selben Jahrzehnt nahm die Zahl der Graduierungen an der Artistenfakultät trotz hoher Besucherfrequenz merkbar ab. Die Studenten wollten sich nicht mehr in die mittelalterlichen akademischen Sozialformen integrieren, und die Promotion an der Artistenfakultät, welche vor allem der Selbstergänzung des fakultären Lehrkörpers diente, erlebte einen deutlichen Attraktivitätsverlust.

Es kam jedoch noch schlimmer: Im Laufe der 1520er Jahre fielen die Immatrikulationszahlen an der Universität Wien ins Bodenlose. Trotz einiger landesfürstlicher Dotationen und Einkünften aus Stiftungen "lebte" die Universität vor allem von den Taxen, Kollegiengeldern und Gebühren, welche sie von Studenten einhob. Blieben diese aus, stand ihre Existenz auf dem Spiel.

Es gibt mehrere Gründe für den Verfall der Universität. Hier ist zunächst die militärische Expansion des Osmanischen Reiches zu nennen; 1529 kam es zur ersten Türkenbelagerung Wiens. Neben den kriegerischen Ereignissen spielten wohl auch politische Krisen zu Beginn der Herrschaft Ferdinands I. in Österreich eine Rolle, aber auch Seuchen, der Stadtbrand 1525 und die allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage.

Die größten Auswirkungen hatte jedoch der Beginn der Reformation, von der sehr bald auch die habsburgischen Länder betroffen waren. Die frühen Reformatoren polemisierten heftig gegen die Universitäten, welche sie als Einrichtungen der römischen Kirche und des Papstes verdammten. So hieß es etwa: "Niemals sei etwas Verderblicheres, Gottloseres erfunden worden, als die Universitäten; nicht die Päpste, der Teufel selbst sei ihr Urheber" (Philipp Melanchthon 1521). Doch schon bald erkannten die Reformatoren, dass schulische und universitäre Erziehung zum "rechten Glauben" das wirksamste Mittel in den einsetzenden konfessionellen Auseinandersetzungen darstellte.

Die Reformen der Universität Wien unter Ferdinand I.

Die gleichen Überlegungen waren es, die Ferdinand I. und seinen Hof dazu bewogen, mit geeigneten Reformen die Wiener Universität am Leben zu erhalten und zu einer Ausbildungsstätte umzuformen, welche konfessionell an Rom orientierte sowie philologisch-humanistisch und juristisch geschulte Absolventen produzierte, die am Hof, im landesfürstlichen Dienst und in der Kirche Verwendung finden konnten. Zunächst setzte er 1523/24 eine Kommission ein, welche den Zustand der Universität untersuchen sollte. Das Ergebnis war niederschmetternd: Die Zahl der Studenten war gering und ihre Disziplin unzureichend, die Finanzen waren zerrüttet, die Lehre befand sich im Niedergang, und sogar reformatorisches Gedankengut hatte sich in der Universität breit gemacht.

Als Folge dieser Untersuchungen ergingen eine Reihe von Einzelverfügungen und "Reformgesetze" (1533, 1537), welche 1554 in der "Reformatio Nova" ihren zusammenfassenden Abschluss fanden. Der von Maximilian I. begonnene Weg, die Lehre auf landesfürstlich besoldete und besetzte Lehrkanzeln zu konzentrieren, wurde fortgesetzt. Die landesfürstliche Berufungspolitik sollte "häretische" Professoren verhindern. In diesem System wurde das seit dem Mittelalter bestehende Amt des landesfürstlichen Superintendenten an der Universität massiv aufgewertet. Als Kontrollorgan des Herrschers spielte er die führende Rolle an der Universität, und kontrollierte auch die Lehre der Professoren.

Der finanziellen Notlage der Universität sollte mit zusätzlichen Dotationen abgeholfen werden, und auch die geistlichen Herren wurden zu einer jährlichen Zahlung angehalten ("Prälatenkontribution"). In der Praxis erwies es sich jedoch, dass diese Gelder nur schwer einzubringen waren. Die ausstehenden Zahlungen, damit auch die Forderungen der Universität an das Ärar, summierten sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf die gewaltige Summe von über 500.000 Gulden.

Die Reformen Ferdinands I. sicherten den Bestand der Universität. Die Erfolge waren jedoch nicht die erhofften: Während an den übrigen Universitäten im Heiligen Römischen Reich, insbesondere an den protestantischen, die Studentenzahlen ab den 1530er Jahren wieder stark anstiegen, wurden in Wien die Immatrikulationszahlen des 15. Jahrhunderts erst wieder im 18. Jahrhundert erreicht. Der geringe Zuzug ging mit einer Regionalisierung des Einzugsbereichs einher: Während im Mittelalter Studenten aus oberdeutschen Ländern (Oberrhein, Schwaben, Bayern, Franken) die Mehrheit stellten, waren es nunmehr die "Landeskinder" aus den habsburgischen Territorien.

Auch die "konfessionelle Gleichschaltung" wurde nicht im erwünschten Ausmaß erreicht. Zur Abhilfe berief 1551 Ferdinand I. den Jesuitenorden nach Wien, und übertrug ihm zwei Lehrkanzeln an der theologischen Fakultät. Der Orden errichtete jedoch auch eine eigene Unterrichtsanstalt (Kolleg), welche vor allem der Artistenfakultät Konkurrenz und damit der Universität Studenten abspenstig machte. Es folgten jahrzehntelange Streitigkeiten zwischen Universität und Jesuitenorden, welche erst 1623 mit der von Kaiser Ferdinand II. befohlenen Inkorporierung des Jesuitenkollegs in die Universität beendet wurden.

HR Mag. Thomas Maisel, MAS, ist Leiter des Archivs der Universität Wien, eine Abteilung des Bibliotheks- und Archivwesens.