Von Krakau nach Kiew
| 18. Mai 2016Auf dem Weg von Krakau über Lemberg und Czernowitz nach Kiew beschäftigen sich 24 Studierende der Universität Wien mit Themen wie Stadt- und Regionalentwicklung, EU-Integration und Geopolitik. Für uni:view berichten sie von ihrer Exkursion.
Tag 1: Die verschiedenen Gesichter Krakaus
Treffpunkt Krakau. Neuland für die meisten von uns Studierenden des Instituts für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Vor uns liegen zehn Tage Exkursion, die uns – unter der Leitung von Martin Heintel und Gerhard Strohmeier – bis nach Kiew führen wird. Gut vorbereitet sind wir: In einem Proseminar haben sich einige von uns mit geopolitischen Leitbildern, wirtschaftlichen Entwicklungen und mit der Rolle und den Einflussbereichen der EU auseinandergesetzt und dazu Poster-Präsentationen erarbeitet. Andere wiederum fokussierten auf die historischen Grundlagen und länderspezifischen Entwicklungsgeschichten grenzüberschreitender Zusammenarbeit, Grenzverschiebungen und Zwangsumsiedlungen oder die aktuelle Rolle österreichischer Unternehmen in der Regionalentwicklung.
Soviel zu Theorie: Nun stehen wir vor der Herausforderung, die bislang nur in unseren Köpfen erzeugten Bilder mit neuen Fragestellungen vor Ort in Einklang zu bringen.
An der Jagiellonian University
Keine 20 Minuten mit der Straßenbahn vom Krakauer Zentrum entfernt befindet sich der neu errichtete Campus der Jagiellonian University. Lektoren und der Institutsvorstand des Geographieinstituts Jacek Kozak führen uns durch das Uni-Areal und die Umgebung. Wegen Planungsfehlern von Stadtplanung und Bauträgern gleichermaßen liegt heute eine Schnellstraße zwischen Wohnanlagen und Uni, eine kaum überwindbare Hürde. Wir diskutieren über die Immobilienentwicklung und den insgesamt angespannten Wohnungsmarkt.
Vom Südwesten der Stadt folgen wir dem Thema Stadtentwicklung in den nordöstlich gelegenen Stadtteil Nova Huta, einer während der kommunistischen Ära errichteten Satellitenstadt. Obwohl die grauen Fassaden zunächst wenig einladend wirken, erleben wir den Stadtteil als lebenswerten, grünen Ort, der durch günstige Miet- und Wohnungspreise Einwohner anlockt und gegenwärtig auch zur Gentrifizierung beiträgt. Viele Studierende haben sich hier angesiedelt.
Zur Vorbereitung auf den nächsten Tag besuchen wir zum Abschluss das galizisch-jüdische Museum, das mit einer berührenden Fotoausstellung verbliebene Spuren jüdischen Lebens in der Region zeigt.
Tag 2: "Verbrechen an der Menschheit verjähren nicht"
Dieses Zitat begleitet uns am 14. Mai 2016 an vielen Orten der Erinnerung. Nach einer kurzen Anreise aus Krakau besichtigen wir am zweiten Exkursionstag das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, in dem zwischen 1941-1945 mehr als 1,3 Millionen Menschen "vernichtet" wurden, zum Großteil jüdische Männer, Frauen und Kinder.
Anschließend, nach für uns befremdlichen und äußerst strengen Sicherheitskontrollen, besichtigen wir für die nächsten sechs Stunden ehemalige Wohnbarracken, Arbeitsstätte und andere Orte des Grauens. Der Anblick gesammelter abgeschnittener Haare, ein Raum voller Schuhe oder auch die Bilder der damaligen Zeit sowie das Durchschreiten der Gaskammer machen uns sprachlos. Worte sind nicht in der Lage, die entsetzliche Qual auszudrücken, welche die Häftlinge in Auschwitz durchmachten.
Tag 3: Wo Schengen endet
Im Gegensatz zur mehrheitlich gläubigen Bevölkerung Polens verbringen wir den Pfingstsonntag nicht in der Kirche, sondern im Bus. Allerdings kommt uns der Feiertag an der Grenze zu Gute, so dass die Einreise in die Ukraine wegen des geringen Reiseaufkommens unerwartet rasch und problemlos erfolgen kann. Aufgrund der Erfahrungsberichte unseres ukrainischen Guides Paul waren wir darauf gefasst, im Zuge einer hochbürokratisierten Prozedur mehrere Stunden zu warten. So hat sich die Grenzsituation zwischen den beiden Staaten seit dem EU-Beitritt Polens 2004 gelockert und durch ein gesondertes Grenzabkommen weiter entspannt. In der Folge nahmen auch der Warenverkehr und gleichermaßen die Anzahl der Grenzübergänge zu.
Eine besondere Rolle spielt dabei der tägliche Güterverkehr über die Fußübergänge der Grenze. Zahlreiche BewohnerInnen der strukturschwächeren Grenzgegend verdienen sich über diesen Weg ihr Haupteinkommen. Für die BewohnerInnen der polnischen Seite ist es z.B. von Vorteil, extrem günstige Genussmittel und Treibstoffe aus der Ukraine zu importieren und zu vertreiben.
Die AnwohnerInnen der ukrainischen Seite dagegen erzielen v.a. dann Gewinne, wenn westliche Waren importiert werden, da diese mit der gegenwärtigen Inflationsrate fast nicht mehr bezahlbar sind. Spürbar werden die Preisunterschiede für uns gleich am ersten Abend in Lemberg (Lwiw), als wir alle in einem traditionellen ukrainischen Restaurant zu Abend essen und sich die Rechnung dabei pro Kopf auf nicht einmal 10 Euro beläuft.
Morgen steht uns dann ein programmintensiver Tag in Lemberg bevor, an dem sowohl die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und Österreich, als auch die Stadtentwicklung der historischen Altstadt thematisiert werden.
Fortsetzung folgt …
AutorInnen: Bernhard Baldinger, Joachim Wawerda, Larissa Schad, Antonio Mazuré, Wolfgang Wiener, Stefan Maleschitz, Samet Gedik, Georg Obermeier und David Spielbüchler. Fotos: Marlene Ecker, Bernhard Baldinger und Benedikt Gebert.
Die Fachexkursion "Polen-Ukraine: Stadt- und Regionalentwicklung, EU-Integration und Geopolitik" führt 24 Studierende des Instituts für Geographie und Regionalforschung von 12. bis 22. Mai 2016 unter der Leitung von Martin Heintel und Gerhard Strohmeier von Krakau nach Kiew.