Von Wien nach Mekelle und zurück: Impressionen aus Äthiopien
| 29. April 2015Die RechtswissenschafterInnen Christina Binder und Iris Eisenberger von der Universität Wien unterrichteten im Rahmen eines LL.M.-Programms den Kurs "The State and International Constitutionalism" an der Mekelle University. Für uni:view berichten sie über ihre Erfahrungen aus Äthiopien.
Sonntag morgens, 29. März 2015, Ankunft in Addis Abeba: Wir verlassen das internationale Terminal. Der Weg zum nationalen Terminal zum Weiterflug nach Mekelle führt an einem Lattenzaun entlang, gesäumt von unzähligen Händlern und ihr Taxi anpreisenden Fahrern. Wir sind gespannt auf das was uns erwartet. In Mekelle angekommen ist das Bild, das sich uns zeigt, beinahe surreal: Plastikpalmen trennen unser Hotel von der "Dirtroad"; ein unfertiges Fußballstadion ragt zwischen Moschee und orthodoxer Kirche empor; der Esel teilt sich die Straße mit modernen Jeeps; auf dem Weg verweilende Pferde und die Kreuzung querende Schafe lassen sich von den das Straßenbild prägenden blauen Dreirädern nicht aus der Ruhe bringen; Kinder begrüßen einen freudig und Mais röstende Frauen sitzen an beinahe allen Ecken.
350.000 Einwohner, 30.000 Studierende
Erster Tag des Unterrichts an der Mekelle University: Wir betreten das riesige, von privaten Sicherheitsleuten bewachte Universitätsgelände und mischen uns unter die unzähligen Studierenden. Die Law Faculty befindet sich auf einem der insgesamt vier Universitätsareale, die über die gesamte Stadt verteilt sind. Mekelle hat rund 350.000 Einwohner, davon circa 30.000 Studierende. Das Ziel der Mekelle University ist es, in den nächsten Jahren ihre Studierendenzahl auf mindestens 40.000 zu erhöhen. Die Mekelle University zählt damit zu den größten der rund 40 Universitäten Äthiopiens.
In der Fastenzeit werden im überwiegend christlichen Äthiopien hauptsächlich Gemüsespeisen gegessen. |
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Um neun Uhr betreten wir den Hörsaal und wollen die Power-Point-Präsentation für unseren Kurs "The State and International Constitutionalism" installieren. Aber leider, es gibt keinen Strom. Uns wird versichert, dass dies die absolute Ausnahme sei. Im Lauf des Kurses hat sich der Stromausfall allerdings als wiederkehrendes infrastrukturelles Problem entpuppt. Der Kurs war dennoch ein großer Erfolg; vor allem dank der exzellenten und stets umfassend vorbereiteten Studierenden. Sie waren immer bereit mitzuarbeiten und äußerst klug in ihren Diskussionsbeiträgen.
Internationale Kooperation
Der Kurs "The State and International Constitutionalism" ist Teil eines LL.M.-Programms, das die Universität Amsterdam in Kooperation mit dem äthiopischen Justizministerium und der Mekelle University durchführt. Es handelt sich um den ersten Jahrgang eines auf insgesamt drei Jahre angelegten, von der niederländischen Regierung finanzierten Programms. Dabei haben insgesamt 30 Studierende die Möglichkeit, sich in einem von sechs Gebieten – Tax Law, Alternative Dispute Resolution, Legislative Studies and Legal Drafting, Constitutional Law, International Human Rights Law, Criminal Law und Criminal Justice System – zu spezialisieren. Alle TeilnehmerInnen sind Beamte des Justizsektors, vor allem Staatsanwälte, RichterInnen und Verwaltungsbeamte. Das Programm dient dem capacity building. Nach drei Jahren soll die Mekelle University die Programme selbstständig weiterführen.
Gezielte Vorbereitung der Studierenden
Vorwiegend ausländische ProfessorInnen unterschiedlicher europäischer Universitäten unterrichten in den LL.M.-Kursen. Sie werden dabei von lokalen Tutoren unterstützt. Ein Spezialisierungskurs umfasst insgesamt sieben Wochen, wofür – nach thematischen Einheiten gegliedert – bereits im Vorhinein umfassendes Lesematerial zur Verfügung zu stellen ist. Letzteres dient dem lokalen Tutor zur gezielten Vorbereitung der Studierenden im Vorfeld, was zu optimalen Lern- und Lehrerfolgen während der insgesamt 25-Stunden umfassenden "Kernunterrichtszeit" führt, die von den ausländischen ProfessorInnen gehalten wird. Zusätzlich zum Kursmaterial werden die GastprofessorInnen gebeten, Bücher mitzubringen, um die Fakultätsbibliothek sukzessive zu erweitern.
Auf Verfassungsrecht spezialisiert
"Unser" Kurs "The State and International Constitutionalism" wurde von jenen Studierenden besucht, die sich im Verfassungsrecht spezialisiert haben. In hervorragender intellektueller Atmosphäre diskutierten wir über die Wechselwirkungen zwischen nationalem und internationalem Recht, die fortschreitende Konstitutionalisierung der internationalen Gemeinschaft und ihre Auswirkungen auf nationaler Ebene. Die vielfältigen Einblicke in die äthiopische Welt haben unseren Blick auf das Thema maßgeblich erweitert. Spannend war für uns etwa die im Jahr 1995 angenommene äthiopische Verfassung, die unter anderem ein relativ einzigartiges Recht auf Selbstbestimmung und Sezession beinhaltet, auch wenn dieses prozedural so kompliziert angelegt ist, dass es bislang noch nie zur Anwendung kam. Eritrea hat sich schon vor dem Jahr 1995 von Äthiopien abgespalten.
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Skepsis gegenüber den Supermächten
Generell war eine Skepsis der Studierenden gegenüber der internationalen Gemeinschaft im Allgemeinen und den Supermächten im Besonderen spürbar. Dem interamerikanischen Menschenrechtssystem als Beispiel zunehmender regionaler Konstitutionalisierung brachten sie demgegenüber großes Interesse entgegen. Die angeregten Diskussionen setzten sich auch in den traditionellen Kaffeepausen fort. Selbst am Abend wurde beim typisch äthiopischen Essen (Injara), das sich in der Fastenzeit auf Gemüsevariationen beschränkt, hitzig weiter debattiert.
Weiterentwicklung des Lehrprogramms
Den Abschluss unseres akademischen Programms bildete ein Vortrag für wissenschaftliches Personal und interessierte Studierende im Rahmen der fakultätseigenen Lecture Series. Vor rund 100 ZuhörerInnen referierten wir über "Emerging Technologies and Modern Warfare-Legal Challenges". In der rund zweistündigen Veranstaltung wurden zahlreiche Fragen aufgeworfen und heftig diskutiert. Dabei standen die ZuhörerInnen dem Einsatz autonomer Maschinen und insbesondere dem targeted killing durch Drohnen weit weniger kritisch gegenüber als wir.
Die positive Seite des Einsatzes moderner Technologien stand im Vordergrund, utilitaristische Argumentationsstränge wie die Reduzierung von Opferzahlen beherrschten den Diskurs. Die durch den Einsatz autonomer Drohnen erschwerte staatliche und individuelle Verantwortung aufgrund mangelnder Zurechenbarkeit trat demgegenüber in den Hintergrund. Zurück in Wien denken wir gerne an die zehn Tage in Äthiopien zurück und arbeiten bereits an der Weiterentwicklung des Lehrprogramms für unsere Rückkehr im Rahmen des zweiten Jahrgangs des LL.M Kurses.
Christina Binder ist Professorin am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung und stellvertretende Leiterin des Forschungszentrums Menschenrechte. Iris Eisenberger ist Privatdozentin ist am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht.