Wer lehrt, hat auch einmal studiert (Teil 10)
| 13. Oktober 2015Stundenlanges Warten, langjährige Freundschaften – passend zum neuen Semester erzählen in uni:view unsere Lehrenden aus ihrer eigenen Studienzeit. Den Anfang macht Japanologe Wolfram Manzenreiter, der u.a. rät "nichts zu glauben, ohne es zu prüfen und in Frage zu stellen."
uni:view: Erinnern Sie sich zurück: Was haben Sie damals an Ihrem ersten Tag an der Universität (Studium Japanologie) erlebt?
Wolfram Manzenreiter: Der erste Tag an der Universität war ein Lehrstück in Ineffizienz und bestand im stundenlangen Warten in einer Schlange, um sich in einen Kurs mit begrenzter TeilnehmerInnenzahl eintragen zu können. Mir waren Kurs und ProfessorIn eigentlich egal, andere hatten die ganze Nacht vor der Glastür im NIG gewartet. Das Positive war, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich hatte keine Ahnung, dass sich an dem Tag langjährige Freundschaften bilden würden.
Wolfram Manzenreiter im Jahr 1992. Der 28-jährige war damals außer Student vor allem Vater von zwei Kleinkindern. (Foto: Privat)
uni:view: Welches Motto hat Sie während Ihres Studiums begleitet?
Manzenreiter: Das Wichtigste ist der Abschluss – alles andere kommt dann. Ich war ja schon relativ alt, als ich mich mit 24 inskribierte und verfolgte tatsächlich in erster Linie das Ziel, einmal wieder etwas fertigzustellen. Dem Motto bin ich treu geblieben: Mindeststudienzeit plus Toleranzsemester für das gesamte Diplomstudium, das hat es nur ein zweites Mal gegeben, und zwar bei einer Japanerin. Vater bin ich während meines Studiums auch zweimal geworden.
uni:view: Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Studienzeit?
Manzenreiter: Die Leichtigkeit, mit der man lernt, und die Unbekümmertheit, mit der man Wissen akzeptiert, die Freiheit in den Entscheidungen für Fächerkombinationen im Nebenfach und Lehrveranstaltungen aus den unterschiedlichsten Studienfächern. Sogar für ein Zweitstudium (Handelswirtschaft) konnte ich mich eine Zeit lang begeistern. Das Studium an der WU habe ich aber nicht beendet.
uni:view: Welche Tipps geben Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg?
Manzenreiter: Kritisch zu sein: nichts zu glauben, ohne es zu prüfen und in Frage zu stellen. Kritik braucht eine Basis, die kann ja auch moralischer Natur sein, aber sie kommt nicht ohne Wissensbestände aus: Dafür heißt es lesen, denken, nochmals nachdenken. Woher stammt unser Wissen, wieso dürfen wir es nicht als gegeben hinnehmen? Dafür konfrontiere ich StudienanfängerInnen gerne mit alten Weltkarten, auf denen Japan natürlich nicht zu finden ist, dafür aber Seeungeheuer. Auf einer rein praktischen Ebene empfehle ich allen Studierenden sich mit soliden methodischen Kenntnissen zu versorgen und die universitären Angebote, für ein Jahr zum Studium nach Japan zu gehen, bloß nicht zu vernachlässigen. (red)
Wolfram Manzenreiter studierte von 1989 bis 1993 Japanologie an der Universität Wien. Er promovierte 1998 und war als Assistent an der Uni Wien sowie später als Vertretungsprofessor an der Universität Duisburg-Essen und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätig. In Paris und Kyoto war er Gastprofessor, seit Mai 2013 ist er Professor für Japanologie am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien.