6 Fragen an Dekanin Ulrike Felt (2014-16)

Ab 1. Oktober 2014 folgt Ulrike Felt ihrem Vorgänger Rudolf Richter als Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien. Im Interview spricht die neue Dekanin über ihre Erwartungen und Ziele – und zeigt uns ein Foto aus ihrer Zeit als Dissertantin.

1) Welche Erwartungen haben Sie an Ihre neue Position?
Die Fakultät hatte im letzten Jahr eine umfassende Evaluierung durchlaufen und befindet sich gleichzeitig gerade in einer Phase der intensiven personellen Erneuerung. Ich konnte einiges davon schon als Vize-Dekanin für Forschung und Nachwuchsförderung begleiten. Die nächsten beiden Jahre werden daher sicherlich bedeutsam für die Umsetzung des erhaltenen Feedbacks und damit für die weitere Entwicklung der Fakultät sein. Es wird darum gehen, ein gemeinsames Arbeitsklima zu schaffen, in dem wir Schwächen ansprechen und an ihnen arbeiten, aber vor allem auch unsere Stärken deutlicher herausarbeiten und sichtbar machen können. Es geht also um gemeinsame Gestaltungsmöglichkeiten.

Gleichzeitig ist es sicher eine große persönliche Herausforderung. Ich habe mir das Ziel gesteckt dafür Sorge zu tragen, dass meine Forschung und meine Arbeit mit den Studierenden im Rahmen des Möglichen nicht zu kurz kommen. Das ist für mich bedeutsam, da ich sehr viel meiner persönlichen Energie und Befriedigung aus den beiden letztgenannten Tätigkeiten beziehe. Da wird wohl einiges an Zeitmanagement gefragt sein.

2) Was sehen Sie als größte Herausforderung an?
Ich sehe im Moment drei große Herausforderungen für die Sozialwissenschaften. Erstens geht es darum, die neuen Möglichkeitsräume, die etwa durch das EU-Programm "Horizon 2020" aufgehen, entsprechend auszugestalten und zu nutzen. Die Sozialwissenschaften sind mehr denn je aufgefordert sich aktiv in der gesellschaftlichen Gestaltung zu engagieren und hier auch über die Disziplinengrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Es gilt aber eine Balance zu finden zwischen zwei Aufgaben; jene mit der Zeit zu denken, Probleme zu analysieren und Lösungen zu erarbeiten, und jene gegen die Zeit zu denken, Fehlentwicklungen aufzuzeigen und alternative Entwicklungsszenarien zu entwerfen.



BIOGRAPHISCHES:


Ulrike Felt studierte Physik, Mathematik und Astronomie und promovierte 1983 in theoretischer Physik an der Universität Wien. Anschließend forschte sie von 1983 bis 1988 am CERN in Genf. In dieser Zeit vertiefte sich ihr Interesse an der sozialwissenschaftlichen Forschung und sie kehrte 1989 an die Universität Wien zurück und ist seither am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung tätig. 1997 habilitierte Felt, seit 1999 ist sie Vorständin des Instituts. Ulrike Felt war Gastprofessorin an der Université du Québec à Montréal, am Maison des Sciences de l'Homme in Paris, an der Universität Straßburg und an der ETH Zürich. Von 1994 bis 1999 war sie Mitglied im Vorstand der European Association for the Study of Science and Technology (EASST) sowie von 2002 bis 2004 in der Society for the Social Studies of Science. Von Juli 2002 bis Juni 2007 war sie Herausgeberin des internationalen peer-reviewten Journals "Science, Technology, & Human Values". Felt war Mitgründerin des 2009 gestarteten Masterprogrammes "Science - Technology – Society" an der Universität Wien. Neben der Leitung des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung ist sie außerdem Vizestudienprogrammleiterin Soziologie sowie Vizedekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften. Ab 1. Oktober 2014 ist sie Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften.


Zweitens, geht es darum die Fakultät nach innen zu stärken, also das Gefühl der Gemeinsamkeit trotz der Vielfalt und differenten Perspektiven auch über konkrete Zusammenarbeit und Schwerpunktbildungen zu verstärken. Schließlich ist mir der Nachwuchs ein großes Anliegen, der auf Grund der derzeitigen Budgetlage oft nicht die optimalen Voraussetzungen für eine (Aus)Bildung vorfindet. Hier wird es wesentlich sein, bessere Rahmenbedingungen für eine wissenschaftliche Entfaltung zu schaffen. Dies ist gerade für Fächer wichtig, die – im Gegensatz zu den Labors in den Naturwissenschaften – kaum räumliche Anbindung bieten (können).


3) Wo sehen Sie die Universität Wien in zehn Jahren, und was ist auf dem Weg dorthin wichtig?
Ich glaube, dass die Universität in einem Jahrzehnt anders aussehen wird. Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, dass wir in einigen Bereichen durchaus "ganz oben" mitmischen können. Ich gehe davon aus, dass sich die Zahl der erfolgreichen Felder erweitern und wir dadurch eine wesentlich offenere Institution im Sinne internationaler Bewegungen (von und in anderen Länder der Welt) werden. Auf dem Weg dorthin ist es wichtig, über institutions-interne Kriterien von "guter Wissenschaft" nachzudenken – die unbedingt breiter sein müssen als die klassischen "Indikatoren" –, diese umsichtig anzuwenden um auch eine gesellschaftlich verantwortliche Forschung zu fördern und eine eigene Form der internationalen Positionierung zu entwickeln. Nachahmen ist ein Weg nach oben, aber nicht unbedingt der Beste. Es geht eben darum eigene Imaginationen und Spezifitäten zu entwickeln.

4) Ihr wissenschaftliches Vorbild?
Ich hatte eigentlich nie so ein großes Vorbild. Während meines akademischen Lebens hatte ich das Privileg mit ForscherInnen zu arbeiten, die eine spezifische Eigenschaft hatten, die mich besonders beeindruckt hat. Mein Vorbild ist also ein wildes Patchwork aus verschiedenen Eigenschaften, Erfahrungen und Eindrücken. Und es verändert sich immer wieder. Das hält einen lebendig und hinterlässt immer das Gefühl noch etwas Neues, Herausforderndes vor sich zu haben.

BLICK INS FOTOALBUM:

"Lunch after midnight" heisst das Foto, das uns Ulrike Felt aus ihrer Studienzeit geschickt hat. Es stammt aus ihrer Dissertationsfertigschreib-Phase im Frühjahr 1983. (Foto: Privat)


5) Ihr Lieblingsplatz an der Universität Wien?
Ich liebe den Arkadenhof im Hauptgebäude. Er hat mich als Ort der Erinnerung seit meinem Studium begleitet. Mein Institutsgebäude war während meines Studiums in der Boltzmanngasse. Als ich als 17-jährige (1975) das erste Mal durch die Arkaden gegangen bin, war ich beeindruckt über die vielen Naturwissenschafter, die ich aus meinen Büchern kannte und deren Lebenslinien sich hier kreuzen. Später, im Laufe meines Studiums ist mir klar geworden, wie "speziell" diese Erinnerungspraxis ist, für wen es Platz gibt und für wen nicht, und wie viel einfach unsichtbar gemacht wird. Wenn ich heute manchmal dort für ein paar Minuten sitze und die Ruhe genieße, dann erinnert es mich auch, wie viel es noch in dieser Institution zu verändern gilt – trotz der vielen Schritte, die schon gemacht sind.

6) Welches Buch liegt zurzeit auf Ihrem Nachtkästchen?
Ich schaffe es nach vielen Stunden lesen kaum mehr noch abends ein Buch aufzuschlagen. Aber ich liebe Hörbücher und derzeit ist es Rebecca Skloots "The Immortal Life of Henrietta Lacks".