Dieter Schweizer: Vom Gastforscher zum Ehrenbürger
| 04. April 2016Pionier der Chromosomenbiologie, Gründer und Leiter von Forschungseinrichtungen und bald auch Ehrenbürger der Universität Wien. Dennoch ist Dieter Schweizer zurückhaltend geblieben. Wir blicken auf das Lebenswerk eines außergewöhnlichen Forschers und Universitätslehrers.
Es ist ein besonderes Ereignis, wenn die Universität Wien einen Wissenschafter aufgrund seiner Verdienste zum Ehrenbürger ernennt. Seit dem Jahr 2000 wurde diese Auszeichnung bislang nur viermal vergeben. Im April ist es nun zum fünften Mal soweit: Dieter Schweizer, inzwischen emeritierter Professor für Cytologie und Genetik (Botanik), wird für sein Lebenswerk geehrt.
Sezieren und anatomisches Zeichnen bereits als kleiner Knirps
Dass Dieter Schweizer den Weg in die Naturwissenschaften einschlagen wird, zeichnete sich – im wahrsten Sinne des Wortes – bereits in seiner Kindheit ab: "Gemeinsam mit einem Bekannten meiner Eltern, einem wissenschaftlichen Zeichner für medizinische Bücher, habe ich schon als kleiner Bub zum Beispiel eine tote Schnecke mit Skalpell auseinandergeschnitten und dann unter seiner Anleitung das Herz gezeichnet", erinnert sich der Wissenschafter.
Als es dann aber wirklich ernst um die Wahl des Studiums wurde, habe er dennoch zwischen Architektur, Kunstgeschichte und den Naturwissenschaften geschwankt und sich letztlich zugunsten der Biologie entschieden. Aus damaliger Sicht eine riskante Entscheidung, da die Biologie nicht als exakte Wissenschaft galt und die begabtesten StudentInnen in die aussichtsreichere Atomphysik strebten. "Im Rückblick muss ich sagen, dass die Biologie ein Glücksfall für mich war", sagt Dieter Schweizer heute.
Studieren im intimen Kreis
Sein Studium mit Schwerpunkt Botanik und den Nebenfächern Physik, Physikalische Chemie und Chemie absolvierte der heute 77-Jährige in Basel, wobei die Studienbedingungen Ende der 1950er Jahre kaum mit heute zu vergleichen waren: "In meinem Jahrgang waren wir zwei Studenten der Botanik, die neu begonnen haben", erinnert sich Dieter Schweizer. "Und das Studium hat etwas gekostet: Zu Beginn des Semesters Kollegiengeld. Bei jeder Prüfung musste man außerdem Gebühren und in jedem Praktikum die Chemikalien und die zerbrochenen Glaswaren bezahlen. Deshalb habe ich daneben noch gearbeitet. Aber es war eine glückliche Zeit."
Da er in Basel nicht Genetik studieren konnte, schrieb Dieter Schweizer seine Dissertation in Zürich, ein frühes Zentrum für genetische und molekularbiologische Forschungen. Für ihn eine sehr wertvolle Erweiterung seines Studiums, das er 1970 mit Summa cum laude abschloss und dafür mit dem Forschungspreis des Schweizer Nationalfonds ausgezeichnet wurde. "Das war damals eine Menge Geld", die es dem jungen Biologen ermöglichte, eine wissenschaftliche Karriere zu starten.
Nach Postdoc-Weiterbildungen in Oxford und Norwich ereilte ihn schließlich 1973 eine Einladung des Direktors des Botanischen Gartens und Vorstands des Botanischen Instituts, Friedrich Ehrendorfer, für ein Jahr als Gastforscher an der Universität Wien zu arbeiten. Schweizer hatte nämlich in England eine neue Methodik in der Chromosomenforschung mit Anwendung in der Taxonomie entwickelt: "Man bat mich, diese Technik auch an der Biologie in Wien einzuführen."
Dieter Schweizer (erste Reihe, 2. v. li.) mit Mitgliedern der Botany School der Universität Oxford während seines Postdocs 1971. "Zu meiner Zeit in Oxford hat es hat geregnet und geregnet", erinnert sich der Botaniker, "worauf mein Mentor, Prof. Cyril D. Darlington (erste Reihe, 3. V. re.), der weltbekannte Chromosomenforscher, entschuldigend meinte: 'I apologize for the rain, but it's good for the trees'." (Foto: privat)
"Immigration" nach Österreich
Ursprünglich wollte der Schweizer Wissenschafter eigentlich nur "auf einen Sprung" nach Wien, aber dann sei er irgendwie hängen geblieben, u.a. auch, weil es seiner Frau und den drei Kindern in der österreichischen Hauptstadt sehr gut gefallen habe. Allerdings herrschten Mitte der 1970er Jahre noch völlig andere Aufenthalts- und Beschäftigungsbestimmungen als heute in der EU: "Eigentlich war ich ein Gastarbeiter an der Universität und als Nicht-Österreicher von einer regulären Assistenten-Anstellung ausgeschlossen. Sogar die Fremdenpolizei kam zu mir an den Arbeitsplatz und zu uns nach Hause. Einmal im Jahr musste die Arbeitsbewilligung 'amtswegig' erneuert werden“, erinnert sich Dieter Schweizer.
Spätestens 1986, mit seiner Berufung zum Ordentlichen Professor für Cytologie und Genetik und der Bestellung zum Leiter gleichnamiger Abteilung am Institut für Botanik an der Universität Wien in Verbindung mit Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "im besonderen Interesse der Republik", waren diese Unsicherheiten kein Thema mehr. Dennoch ist der Österreicher Dieter Schweizer bis heute seinen Wurzeln treu geblieben und hat sich seine "etwas sture schweizerische Art" behalten: "Und ich bin nicht schlecht damit gefahren."
Wirken an der Universität Wien – die Molekularbiologie in die Zukunft bringen
Dass in Österreich die Molekularbiologie vergleichsweise früh in die Phylogenetik und Cytogenetik Eingang gefunden hat, ist vor allem der Aufbauarbeit und dem Einsatz Dieter Schweizers zu verdanken. Denn als er 1974 nach Österreich kam, steckte diese hier noch in den Kinderschuhen. "Jetzt gibt es eine neue Generation von WissenschafterInnen", freut sich der Biologe, "die die Molekularbiologie schon mit der Muttermilch aufgenommen hat."
Dafür hat Dieter Schweizer gesorgt, u.a. als Gründungsdirektor des Gregor Mendel Instituts (GMI) für Molekulare Pflanzenbiologie der ÖAW von 2000 bis 2007 und als Leiter des Departments für Chromosomenbiologie der Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und der MedUni Wien von 2004 bis 2006. Seine "subversiven" Ideen – wie etwa die Einführung der DNA-Forschung in der Botanik – stießen allerdings nicht immer auf Begeisterung: "Im Laufe der Jahre gab es wohl immer wieder Befürchtungen, ich würde als 'Laborbiologe' die Scientia amabilis verraten. Gegen diese musste ich mich behaupten", zieht Dieter Schweizer Bilanz.
Inmitten des Grün des Botanischen Gartens der Universität Wien: Dieter Schweizer (ganz li.) mit seinem "Chromosomen-Biologie"-Team am Institut für Botanik vor rund 15 Jahren. (Foto: privat)
Zu den wichtigsten Erlebnissen seiner wissenschaftlichen Karriere zählen für Dieter Schweizer unter anderem unerwartete Entdeckungen: "Ein paar Mal hat es so richtig geblitzt in meinem Leben." Der Pflanzenforscher spricht damit Forschungsergebnisse im Bereich der Chromosomenbiologie und der Humangenetik an, die auf ihn zurückgehen. Etwa eine Technik, die sich bei der Analyse von Chromosomenanomalien als sehr nützlich erwiesen hat. Glücklich ist er auch über seinen Beitrag zur Etablierung eines weltweiten pflanzlichen Modellsystems, dem die erste Genom-Durchsequenzierung der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) zugrunde liegt. Oder die Begründung einer maßgeblichen Schule der Meioseforschung. Um nur zwei für ihn wichtige Entwicklungen zu nennen.
Besonders erfüllend war für Dieter Schweizer außerdem das Zusammenarbeiten mit begeisterten und begabten Studierenden, deren Namen er mit großem Stolz zahlreich aufzählt und deren Förderer und Mentor er war. Im gleichen Atemzug verrät er uns auch das Geheimnis seines Erfolges: "Ich habe nach Möglichkeit versucht, dass ich die begabtesten jungen Leute um mich herum habe. Das regt an. Daran wächst man."
Aus dem "Hades der Pensionisten" hinein ins Jubiläumsjahr
Eigentlich befindet sich Dieter Schweizer seit 2006 als Emeritus in seinem wohlverdienten Ruhestand. Aber das auch nur auf dem Papier, denn Stillstand ist nicht die Sache des umtriebigen Pflanzenforschers. War er noch bis 2009 als Berater für das GMI tätig, ereilte ihn bereits zwei Jahre später die Berufung zum wissenschaftlichen Leiter des Projekts "650 Jahre Universität Wien".
"Zum Glück hat mich Rektor Engl aus dem Hades der Pensionisten herausgeholt", schmunzelt Dieter Schweizer. Und es hat sich gelohnt: Das Jubiläumsjahr, in dem gefeiert, aber auch kritisch in die Geschichte zurück geblickt sowie die Forschungsleistungen der Universität Wien präsentiert wurden, war – basierend auf Schweizers Konzept – ein großer Erfolg.
Für ihn eines der wichtigsten Projekte im Jubiläumsjahr war die Ausstellung "Bedrohte Intelligenz", die die institutionellen und persönlichen Veränderungen nach dem "Anschluss", die Nazifizierung des Hochschulbetriebs sowie die Leidenswege der NS-Opfer der Universität Wien thematisierte. Im Bild Dieter Schweizer (2.v.re.) mit dem Projektteam der Ausstellung. (Foto: Universität Wien)
"In Übereinstimmung mit den Vorgaben des Rektors und den Vorschlägen der beratenden Gremien, war es mir ein besonderes Anliegen, dass im Jubiläumsjahr der Universität Wien 2015 neben der Öffnung nach außen und der Stärkung des inneren Zusammenhalts der Universität auch kulturelle Signale gesetzt wurden und man Projekte anstieß, die eine Nachhaltigkeit haben." Das ist ihm mit seinem Team und den vielen Helfern, u. a. mit der Idee des Campus Festivals, mit der Initiierung von Ausstellungen, von Buchpublikationen oder des Aufbaus einer digitalen Universitäts-Geschichte durch das Archiv der Universität überzeugend gelungen.
Den Titel eines Ehrenbürgers oder einer Ehrenbürgerin verleiht die Universität Wien an Personen, die sich um die Ausgestaltung oder Ausstattung der Universität Wien oder durch ihr Wirken um die von der Universität Wien zu erfüllenden Aufgaben besondere Verdienste erworben haben. "Dieter Schweizer hat sich vor allem durch seinen Einsatz im 650. Jubiläumsjahr der Universität Wien, in dem er die inhaltliche und wissenschaftliche Leitung des Jubiläumsbüros innehat, besondere Verdienste um die Universität Wien erworben", so ein Auszug aus der Begründung. Man darf gespannt sein, welchen Projekten er sich als nächstes zuwenden wird. (kb)
Und auch nach dem Jubiläumsjahr wird es Dieter Schweizer nicht langweilig. Er ist Kurator der historisch-biografischen Schau über bedeutende Ergebnisse der Grundlagenforschung, die an der Universität Wien ihren Ausgang nahmen. Die Ausstellung ist bis 23. April 2016 in der Aula der Universität Wien zu sehen, danach wandert sie durch die verschiedenen Standorte. (Artikel in uni:view)
Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Universität Wien an Dieter Johannes Schweizer
Donnerstag, 7. April 2016, 11 Uhr
Senatssaal der Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien
Einladung und Programm
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