In memoriam Marian Heitger (1927-2012)
| 11. April 2012Die Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft trauert um Marian Heitger, emeritierter Professor für Allgemeine Pädagogik, der am 7. April 2012 im Alter von 84 Jahren verstorben ist. Die heilige Seelenmesse findet am Samstag, 21. April 2012, 18 Uhr, in der Pfarre Glanzing statt.
Ein streitbarer Geist und unbequemer Denker ist verstummt. Für Schüler, Freunde, Weggefährten geht eine akademische Ära zu Ende. Die Öffentlichkeit wird einen unbequemen Mahner vermissen. Die Disziplin hat einen im gesamten deutschsprachigen Raum bekannten und mit seiner transzendental-philosophisch fundierten Pädagogik exponierten Vertreter verloren.
Marian Heitger (1927-2012)
Seit 1. Februar 1967 war der am 18. August 1927 in Hamm (Deutschland) geborene Westfale an der Universität Wien tätig. Nach dem Studium der Pädagogik, Philosophie und Theologie an den Universitäten Paderborn und Münster, nach ersten beruflichen Erfahrungen am Pädagogischen Seminar der Universität Münster, am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster und an der Pädagogischen Hochschule München, sowie nach wenigen Jahren Tätigkeit an der Universität Würzburg, wählte er – trotz ehrenvoller Rufe – für 30 Jahre die Universität Wien als Zentrum seiner Tätigkeit als Ordinarius für Allgemeine Pädagogik und seines nationalen und internationalen öffentlichen Wirkens. Noch weit über seine Emeritierung am 30. September 1995 hinaus blieb er seinem Institut, das er lange Zeit als Institutsvorstand prägte, verbunden. Mit Studierenden zu arbeiten, mit ihnen Schiller, Kant, Platon zu lesen, Fragen der Schule und des Lehrerseins zu diskutieren, machte ihm – wie seinen HörerInnen – noch bis in die Gegenwart Freude. Die Wahl der Themen bezeugt noch heute, dass er Allgemeine Pädagogik auf philosophischer Basis betrieb und dass er mit allgemeinpädagogischen, und das heißt auf Grundsätzliches und Grundlegendes zielenden Fragen auch angrenzende, z.B. schulpädagogische, Themen in den Blick nahm.
Doch nicht nur Fragen der Allgemeinen (Systematischen) Pädagogik haben Marian Heitger in Forschung und Lehre beschäftigt. Maßgeblichen Einfluss nahm er auch auf die Entwicklung der Disziplin Sonder-und Heilpädagogik an der Universität Wien, die zwar aus interdisziplinärer Kooperation hervorgegangen ist, aber seitens der Pädagogik durch ihn einen unmissverständlich humanistischen (und nicht therapeutischen) Begründungsboden in der Würde des Menschen bekam. Der Pädagoge tritt für Integrative/inklusive Bildung nicht ein, weil er sich damit in Übereinstimmung mit bildungspolitischem Wollen weiß, sondern, weil es die Würde des Menschen verlangt.
Sehr früh erkannte Heitger die Herausforderungen und Chancen des Lernens mit "Neuen Medien" und nahm Kooperationsangebote seitens des ORF und des Unterrichtsministeriums an. Mit den sogenannten Medienverbundprogrammen des ORF, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ein besonderer Leistungsausweis des öffentlichen Rundfunks, suchte er zunächst mit Fragen des "Erziehens, Lehrens und Lernens" und des richtigen deutschen Sprachgebrauchs, später mit Fragen religiöser Bildung, arbeits- und sozialrechtlichen Fragen u.a.m. eine weit über die Universität hinausgehende Öffentlichkeit zu erreichen. Er nahm damit vorweg, was 30 Jahre später Blended Learning genannt werden sollte, und es stand für ihn außer Frage, dass das Gelingen dieser Versuche mit Evaluationsforschung empirisch abzusichern war.
Beide Beispiele können als Ausdruck einer besonderen Fähigkeit von Marian Heitger gelesen werden, innovative Ideen durch Gewinnen von Kooperationspartnern auf den Weg zu bringen im Dienste der Verbindung von disziplinpolitischem mit öffentlichem Interesse. Diese Fähigkeit war in verschiedensten Funktionen gefragt, sei es in jener als Direktoriumsmitglied bei den Salzburger Hochschulwochen, als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Universität Klagenfurt, als Vizepräsident der Katholischen Akademie, als Vorsitzender der Pädagogischen Sektion der Görres-Gesellschaft, um nur einige wenige zu nennen.
Das Motiv, seiner fachlichen Sicht auch öffentlich Gehör zu verschaffen, hat Marian Heitger immer wieder auch zu Gastkommentaren zu tagespolitischen Themen veranlasst. Im Zuge der Universitätsreform galt seine Sorge der Degradierung von Bildung zur bloßen Ware und der Überschätzung der Evaluationen als Instrumenten der Qualitätssicherung; dem Bildungsvolksbegehren setzte er ein "scharfes Nein" entgegen und kritisierte dessen Beliebigkeit und Gefälligkeit sowie die Reduktion des Bildungsbegriffes auf gesellschaftlich-wirtschaftliche Engführung; angesichts das "Elends unserer Schulreform und -reformer" forderte er ein, die Reformgedanken darauf zu konzentrieren, dass die Schule ein Ort des Lernens sei u.a.m.
Gerade das entschiedene öffentliche Auftreten hat zu einigen Missverständnissen hinsichtlich der Normativität dieser Pädagogik Anlass gegeben. Dabei kommt in seiner letzten Monographie "Systematische Pädagogik – wozu?", die zu schreiben er erst nach seiner Emeritierung Zeit fand, in einem Gedanken von Rousseau zum Ausdruck, wie man das systematische Denken von Marian Heitger lesen muss: "Aber wer bin ich, und mit welchem Recht urteile ich über Dinge, und wer bestimmt meine Urteile?" Diese Frage könnte man leitmotivisch dem systematischen Denken von Marian Heitger voranstellen. Wenn man in systematischer Weise über Pädagogik sprechen will, sieht man sich genötigt, eine Gewissheit zu beanspruchen, die man erst argumentierend als berechtigt ausweisen muss. Gewissheit kann man nur beanspruchen für jene allgemeingültigen und notwendigen Voraussetzungen, die man annehmen muss, wenn man von und über Pädagogik sprechen möchte. Solchen Voraussetzungen kommt der Status eines Prinzips zu. So ist eines dieser Prinzipien die "Selbstbestimmung" des Menschen, ein anderes die Erkennbarkeit des Gegenstandes. Heitgers pädagogisches Werk wurde daher vielfach als normativ missverstanden, wo es als transzendentalkritisch-erkenntnistheoretisch hätte verstanden werden müssen.
Recht verstanden kann man daher durchaus sagen, dass Marian Heitger im Anschluss an seinen akademischen Lehrer Alfred Petzelt sowie dessen Doktorvater Richard Hönigswald eine prinzipienwissenschaftliche Pädagogik vertreten hat. Ihr hat er durch zahlreiche Aktivitäten und Publikationen starke Resonanz verschafft, sie hat er im politischen und gesellschaftlichen Raum mit Engagement vertreten. Diese Sorge um Gewissheit pädagogischer Urteile hat er seinen zahlreichen akademischen Schülerinnen und Schülern eingepflanzt. Und sie ist auch in der aktuellen Form Allgemeiner Pädagogik virulent.
Es ist nicht möglich, alle Ehrungen zu nennen, die ihm im Laufe seines langjährigen akademischen und öffentlichen Wirkens zuteil wurden. In mehreren Festschriften wurde sein Lebenswerk gewürdigt, die Titel brachten zentrale Motive seines Denkens zum Ausdruck: "Erziehungswissenschaft oder Pädagogik" (Hrsg. W. Böhm, 1998), Gefährdung der Bildung-Gefährdung des Menschen" (Hrsg. I. M. Breinbauer / M. Langer, 1987). Zuletzt nahm der Titel des Symposiums zum 80. Geburtstag im Herbst 2007 "Einmaligkeit, Selbigkeit, Individualität – zur Problematik pädagogischer Leitbegriffe" noch einmal in charakteristischer Weise Grundlagenfragen auf, die in Gefahr stehen, von normativ eingesetzter empirisch-pädagogischer Forschung marginalisiert zu werden, wo sie doch als nicht wegzudenkende Voraussetzung von Geltungsansprüchen anzuerkennen sind. Die TeilnehmerInnen dieser Veranstaltung an der Universität Wien einte der Dank an Marian Heitger für die Strenge in der Sache und das Wohlwollen im Umgang mit seinen SchülerInnen, und die Hoffnung, sie noch lange erfahren zu dürfen. Sie durfte bis zum Karsamstag, dem 7. April 2012, währen.
Dekanin Univ.-Prof. Mag. Dr. Ines Maria Breinbauer für die Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft
Die heilige Seelenmesse findet am Samstag, dem 21. April 2012 um 18.00 Uhr in der Pfarre Glanzing, Krottenbachstraße 120, 1190 Wien statt.