Rektor Engl: "Zukunft gestalten"

Porträtfoto von Rektor Heinz W. Engl

Heinz W. Engl geht als Rektor der Universität Wien in seine dritte Amtsperiode. Im Interview berichtet er über Meilensteine am Weg, weitere Ziele und welche Forschungsfelder er in Zukunft stärken möchte.

uni:view: Herr Rektor Engl, wenn Sie Ihre vergangenen zwei Funktionsperioden Revue passieren lassen, auf welche Meilensteine blicken Sie zurück?
Heinz W. Engl: Auf die deutliche Budgetsteigerung, die wir kürzlich hatten! Durch diese können wir insgesamt 70 neue Professuren und Tenure Track-Professuren an die Uni Wien holen. Dieser Prozess ist am Laufen, und die ersten Berufungsverfahren sind bereits abgeschlossen. Ein weiterer Meilenstein sind unsere neuen Gebäude, denn die neuen Professorinnen und Professoren brauchen natürlich Platz. Mit einem neuen Standort im 9. Bezirk will sich die Universität noch mehr zur Innenstadtuniversität entwickeln. Im 3. Bezirk ist der Neubau des Biologiezentrums im Gange, der 2021 von der Fakultät für Lebenswissenschaften bezogen wird. Das ist immerhin ein 140 Millionen Euro-Projekt. Hier wird der existierende Biocluster – Max Perutz Labs, Akademieinstitute und IMP – im 3. Bezirk als Forschungsstandort gestärkt.

uni:view: Was sind die Meilensteine im "täglichen Geschäft"?
Engl: Inhaltlich sind in meinem täglichen Geschäft die Berufungen das Allerwichtigste. Im Normalbetrieb berufen wir pro Jahr zwischen 30 und 40 Professoren und Professorinnen neu, zusätzlich fast dieselbe Anzahl an Tenure Tracks. Auf diese Weise gestalten wir die Zukunft der nächsten 20 bis 30 Jahre an der Universität Wien.


uni:view: Apropos Zukunft: Welche Bereiche wollen Sie in den nächsten Jahren besonders stärken?
Engl: Wir haben fünf Entwicklungsfelder definiert. Dabei setzen wir besonders auf den Ausbau der Stärken in Feldern, die interdisziplinär vernetzt, international sichtbar sowie gesellschaftlich relevant sind. Konkret sind das: Data Science und Digital Humanities, Gesundheit und Mikrobiom, Gesellschaft und Kommunikation, Molekulare Biologie und kognitive Neurowissenschaften sowie Quanten und Materialien.

uni:view: Können Sie einige wichtige Punkte der Entwicklungsfelder kurz erläutern?
Engl: Data Science ist natürlich ein enorm wichtiges Gebiet. Hier sind uns bereits sehr gute Berufungen gelungen, und das nicht nur in den Kernfächern. Im Bereich Gesundheit kooperieren wir bereits jetzt mit der MedUni Wien und diese Kooperation soll weiter verstärkt werden. Hier ist die Mikrobiomforschung zu nennen – eines unserer Stärkefelder – geleitet vom diesjährigen Wittgenstein-Preisträger Michael Wagner und mit vier laufenden ERC-Grants am neuen Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft.

uni:view: Die kognitiven Neurowissenschaften zählen derzeit zu den großen Forschungsfeldern weltweit. Auch die Uni Wien ist hier gut aufgestellt.
Engl: Wir haben in der Kognitionsforschung bereits einen Schwerpunkt, der sehr profiliert ist. Hier müssen wir genau überlegen, in welche Teilgebiete wir investieren, um international einen Impact zu haben. Wir können mit 20 Professuren nicht dasselbe erreichen, was andere mit 200 schaffen. Die Quantenforschung ist natürlich auch eines der Stärkefelder der Universität Wien. Zurückgehend auf Anton Zeilinger ist der Bereich heute durch die nächste Generation bereits sehr stark vertreten.

uni:view: Kommen wir von der Forschung zum Bereich Studium und Lehre. Welche Ziele verfolgen Sie hier in der neuen Funktionsperiode?
Engl: Ein Ziel, das mit dem Ministerium vereinbart und auch budgetwirksam ist, ist die Erhöhung der Prüfungsaktivität. Diese ist mit 16 positiv absolvierten ECTS pro Studienjahr definiert. Das ist eigentlich nicht sehr viel und würde heißen, ein Bachelorstudium in etwa elf Jahren abzuschließen. Die Prüfungsaktivität ist viel zu gering – da ist noch viel Luft nach oben. Mit Projekten für die einzelnen Zentren und Fakultäten wollen wir die Prüfungsaktivität erhöhen. Das lässt sich nur über Motivation und Information erreichen. Gelingt es uns nicht, die Prüfungsaktivität zu steigern, werden wir in dieser Leistungsvereinbarungsperiode bis zu 15 Millionen Budgetabzug haben. Das ist eine ernste Sache.

Ein weiteres Ziel ist es, die vielen neuen geplanten Professuren auch im Studienbereich zu verankern. Das bietet uns viele neue Möglichkeiten, insbesondere für Masterstudien.

uni:view: Wie international ist die Universität Wien?
Engl: Die Universität Wien ist eine sehr internationale Universität. Zwei Drittel, in manchen Jahren drei Viertel, der neuen ProfessorInnen sind nicht aus Österreich; davon kommt etwa die Hälfte aus dem deutschsprachigen Raum und die andere Hälfte sozusagen aus aller Welt. Die Studierenden sind auch recht international, jedoch könnte das im Masterbereich etwas mehr sein.
Gerade in letzter Zeit haben wir einige wichtige strategische Partnerschaften mit internationalen Spitzenunis abgeschlossen, darunter mit der University of Chicago, der Peking University, der Fudan University in Shanghai und der Kyoto University.

uni:view: Was sind Ihre persönlichen Ziele für die dritte Amtsperiode?
Engl: Zunächst, dass die Dinge, die wir jetzt am Laufen haben, auch wirklich gut funktionieren. Wir müssen die 70 Professuren nicht nur berufen, sondern auch in die Universität Wien integrieren, ihre Expertise in Forschung und Lehre wirken lassen – das ist entscheidend.

Eine weitere Herausforderung ist die Finanzierung des FWF. Er muss deutlich mehr Budget zur Verfügung haben. Nicht nur wir, auch andere Universitäten bauen aus, und die Zahl der Anträge an den FWF wird weiter steigen. Schon jetzt ist die Genehmigungsquote viel zu gering; da muss wirklich viel passieren. Der FWF finanziert pro Jahr mit 230 Millionen Euro neue Projekte, der Schweizer Nationalfonds mit einer Milliarde. Das sagt alles.

uni:view: Ist die Schweiz ein Vorbild?
Engl: Natürlich! Die Schweiz fördert Grundlagenforschung enorm. Das ist auch einer der Gründe, warum die Schweizer Industrie so stark ist. Der Bund finanziert dort kaum angewandte Forschung, das machen die Firmen.

Bei der Förderung durch Organisationen wie den FWF ist nicht nur entscheidend, dass konkrete Projekte gefördert werden, sondern dass in diesen Projekten junge Leute als DissertantInnen oder Postdocs angestellt werden. Diese können dadurch den Schritt nach vorne in den wissenschaftlichen, aber auch industriellen Arbeitsmarkt gehen. Natürlich werden wir die Schweiz nicht so schnell einholen, aber wir sollten sie im Auge haben. Neue Ideen, die Grundlagenforschung erfordern, müssen von den Universitäten kommen. In diese Richtung wollen wir gehen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (td)

Heinz W. Engl ist seit 2011 Rektor der Universität Wien. Seit 2003 ist er wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; bis 2011 war er Direktor des Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics (RICAM). 1977 hat Heinz W. Engl sein Doktorat als Dr. techn. sub auspiciis praesidentis verliehen bekommen, und 1988 wurde er zum ordentlichen Professor für Industriemathematik in Linz ernannt. Für seine Forschungen in den Bereichen der Angewandten Mathematik erhielt Heinz W. Engl zahlreiche Preise, etwa den Pioneer Prize des International Committee for Industrial and Applied Mathematics, eine Ehrenprofessur der Fudan University Shanghai und das Ehrendoktorat der Universität Saarbrücken.