Sai Khaing Myo Tun – erster Gastprofessor Myanmars im Ausland
| 10. Februar 2016Sai Khaing Myo Tun ist der erste Professor aus Myanmar, der eine Ausreiseerlaubnis für eine Gastprofessur erhalten hat. Politikwissenschafter Wolfram Schaffar erzählt in seinem Gastbeitrag, warum die Universität Wien mit dieser "revolutionären Berufung" auch ein klein wenig Geschichte geschrieben hat.
Auch nach Beginn der politischen und wirtschaftlichen Öffnung blieb das Bildungsministerium Myanmars bzw. Birmas mit Hardlinern besetzt. Mit der Gastprofessur für Sai Khaing Myo Tun am Institut für Internationale Entwicklung, dem ersten Professor Myanmars im Ausland, hat die Universität Wien ein klein wenig Geschichte geschrieben.
Eine revolutionäre Berufung
Die Universitäten in Myanmar waren immer ein Hort der Opposition. Sie waren auch Impulsgeberinnen für die Demokratiebewegung von 1988, an deren Spitze sich Aung San Suu Kyi stellte.
Ab 1990 wurden die Universitäten zunächst geschlossen, dann politischer Kontrolle unterstellt. Notorisch gefährliche Fächer wie Politikwissenschaft wurden abgeschafft. Das Bildungsministerium wurde zu einem Schlüsselministerium und verblieb auch nach Beginn der Reformen seit 2010 in den Händen der Hardliner.
Somit ist es ein kleines Wunder, dass es dem Institut für Internationale Entwicklung gelungen ist, den Politikwissenschafter und Gewerkschaftsaktivisten Sai Khaing Myo Tun auf eine Gastprofessur zu berufen. Er ist der erste Professor aus Myanmar, der eine Ausreiseerlaubnis für eine solche Position erhielt.
Am Demokratisierungsprozess teilnehmen
Die Kooperation zwischen dem Institut für Internationale Entwicklung und Universitäten in Myanmar begann 2012. Durch meine frühere Arbeit an der Chulalongkorn Universität in Bangkok verfügte ich über Kontakte zu myanmarische AktivistInnen.
Sie halfen mir, 2012 als einer der ersten westlichen Wissenschafter nach der Öffnung Myanmars an die Universität Yangon eingeladen zu werden, um dort zu lehren und zum Prozess der politischen Öffnung zu forschen. 2013 unterstützte ich die nationale Curricular-Kommission in dem Prozess, das Fach Politikwissenschaft wieder einzuführen.
Demokratischer Wissenschafter und Aktivist
An der Yangon Universität lernte ich den damaligen Lecturer Sai kennen. Seine Doktorarbeit hatte dieser zwischen 2006 und 2011 zum Konzept von Entwicklungsstaaten angefertigt – in Japan, dem einzigen Land, das während der internationalen Isolationspolitik seine Kooperation im Bildungsbereich aufrechterhalten hatte.
Zurück in Myanmar wurde Sai schon früh politisch aktiv. Kurz nach der Legalisierung von Gewerkschaften im Jahr 2012 gründete er eine LehrerInnenvertretung, stieg zum Repräsentanten eines neu entstehenden landesweiten Gewerkschaftsbundes auf und vertrat Myanmar bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen.
Ausweg Ausschreibung
Er unterstützte auch die Gründung von Studierendenvertretungen (Student Unions). Durch seine Arbeit wurde er zu einer zentralen Figur der entstehenden Zivilgesellschaft und als Aktivist von der Universität Yangon an die Universität im entlegenen Monywa strafversetzt.
In dieser Situation war die Ausschreibung einer von der Austrian Development Agency (ADA) finanzierten Gastprofessur an der Universität Wien mehr als willkommen. Dank seines politikwissenschaftlichen Hintergrunds, seiner Spezialisierung auf Entwicklungsstaaten und seines politischen Engagements setzte sich Sai im Auswahlprozess durch.
Im Bild v.l.n.r.: Studienassistentin Ines Höckner vom Institut für Internationale Entwicklung, Gastprofessor Sai Khaing Myo Tun und der Autor dieses Gastbeitrags, Politikwissenschafter Wolfram Schaffar (Foto: Christiane Voßemer)
Steiniger Weg nach Wien
Damit begann der schwierige Teil des Berufungsverfahrens: Das gesamte Bildungswesen Myanmars ist zentral organisiert und der Bildungsminister ist unmittelbarer Dienstgeber des Universitätspersonals, die wegen ihres Status als Beamte das Land grundsätzlich nicht verlassen dürfen. Sofern sie einen Pass besitzen, wird dieser im Ministerium verwahrt.
In Absprache mit der Personaladministration feilte das Dekanat der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien an der Formulierung des Bestellschreibens und der erforderlichen Dokumente. Letztlich musste Sais Antrag auf Ausreise – ein Präzendenzfall – vom Präsidenten der Republik genehmigt und per Kabinettsbeschluss bestätigt werden.
Veranstaltungen mit Sai Khaing Myo Tun
Sai Khaing Myo Tun wird am 25. Februar 2016 im Rahmen der Veranstaltung "Myanmar after the historic elections of 2015: Re-distributing power? Re-negotiating reforms?" am Institut für Internationale Entwicklung mit hochrangigen Experten aus Myanmar sowie ForscherInnen aus Österreich zu hören sein. Die Podiumsdiskussion mit anschließendem Workshop findet um 11 Uhr im Alois Wagner Saal, C3, Sensengasse 3, 1090 Wien statt.
Im Sommersemester 2016 bietet Sai Khaing Myo Tun am Institut für Internationale Entwicklung ein Seminar unter dem Titel "State-led Development and Developmental State in Asia and Africa" an.
Am 16. März 2016 wird er im Rahmen der Reihe IE-Talks zu hören sein. Sein Vortrag unter dem Titel "Towards Democracy and Freedom of Association: the Formation of Trade Union Federations in Myanmar" findet um 16 Uhr im Seminarraum IE (Institut für Afrikawissenschaften; Spitalgasse 2, Hof 5, 1090 Wien) statt.
Weitere Infos zu den Events finden Sie zeitnah auf der Website des Instituts für Internationale Entwicklung.
Die Lehre von den Tigerstaaten
An der Universität Wien wird Sai von Studienassistentin Ines Höckner unterstützt. Im Sommersemester hält er am Institut für Internationale Entwicklung ein Seminar zu Entwicklungsstaaten.
So bezeichnet man die Staaten in Ost- und Südostasien, die in den 1980er Jahren als Asiatische Tigerstaaten von sich reden machten, weil sie enorme wirtschaftliche Wachstumsraten erreichten, sich jedoch explizit nicht an neoliberalen Rezepten orientierten. In jüngerer Zeit griffen einige Länder Afrikas dieses Konzept auf. Entwicklungsstaatlichkeit wird auch Thema einer gemeinsamen Veranstaltung des Instituts für Internationale Entwicklung und der ADA sein.
Gemeinsam entscheiden
Zum Einstand nahm der frischgebackene Gastprofessor an den Sitzungen der Auswahlkommission für seine Studienassistentin teil. Gemeinsam mit einer Studienrichtungsvertreterin suchten MitarbeiterInnen des Instituts eine Konsensentscheidung – für WissenschafterInnen aus Myanmar ist dies mehr als erstaunlich. Seine KollegInnen, denen Sai per Facebook davon berichtete, beauftragten ihn postwendend, regelmäßig über derlei seltsame Vorgänge zu berichten.
Dr. Sai Khaing Myo Tun ist vom 1. Februar bis zum 31. Mai 2016 Gastprofessor am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien.
Zum Autor:
Univ.-Prof. Dr. Wolfram Schaffar ist Professor für politikwissenschaftliche Entwicklungsforschung am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien.