"Wir brauchen mehr Wissenschafterinnen"

Seit Mai arbeitet der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen an der Universität Wien unter einem neuen Vorsitzteam. Was dem Team wichtig ist, welche Herausforderungen sie sehen und warum Diversität im innersten Interesse der Uni Wien liegt, erklären die Mitglieder im Interview.

uni:view: Können Sie die Aufgabenfelder des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen kurz skizzieren?
Susanne Hochreiter:
Das sind in erster Linie Beratung und Unterstützung sowie die Einbindung in Personalangelegenheiten: Wir begutachten alle Ausschreibungen und sind in die Auswahlverfahren involviert. Dabei geht es darum, möglichen Ungleichbehandlungen entgegenzuwirken und zugleich dem Frauenförderungsgebot nachzukommen. Das läuft auf der Ebene des allgemeinen Personals genauso wie auf jener der Professorinnen und Professoren. Arbeitskreismitglieder nehmen an allen Kommissionssitzungen und Hearings teil.

uni:view: Was ist die häufigste Intervention des Arbeitskreises?
Barbara Schaffer: Dass wir darauf schauen, dass auch wirklich alle qualifizierten Frauen zum Zug kommen, sprich eingeladen werden und sich präsentieren können.

Farsam Salimi: Dabei werden wir gehört und ernst genommen, sei es in den Kommissionen, Hearings oder vom Rektorat. Es besteht ein gutes Gesprächsklima innerhalb der Universität Wien.

Hochreiter: Viele Probleme, die uns begegnen, entstehen nicht an der Uni Wien, sondern aus einem gesamtgesellschaftlichen Gefüge heraus und in einem Bildungssystem, das leider stark geschlechtersegregierend wirkt. Daher haben wir in manchen Disziplinen wie Mathematik oder Informatik deutlich weniger Absolventinnen und daher auch weniger Bewerberinnen. Wir als Arbeitskreis versuchen, ein Bewusstsein für den Gender Bias zu schaffen, der darin besteht, Frauen generell für weniger qualifiziert zu halten – das gilt für fast alle Arbeitsfelder bis hin zur Politik. 

Salimi: Zum Beispiel sehen wir in manchen Fächern beim Übergang vom PraeDoc- zum PostDoc-Personal einen Bruch. Unter den PraeDocs sind viele weibliche ForscherInnen, bei den PostDocs überwiegen die männlichen. Hier kann die Universität auch wirklich fördern.

Marianne Ertl: Auch bei Stellenbesetzungen beim Allgemeinen Personal gilt es beispielsweise in technischen Bereichen oder bei hohen Einstufungen darauf zu achten, dass Frauen gleiche Chancen erhalten.

Veranstaltungstipp zum Thema: "Gleiche Chancen, faire Karriere: jetzt! Agenda 2020 an Österreichs Hochschulen" 
Die österreichischen Arbeitskreise für Gleichbehandlungsfragen der TU Wien und der Universität Wien laden zu einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zum Thema Gleichstellungspolitiken und der tertiäre Bildungssektor. Donnerstag, 28. November 2019, 18.30 Uhr 
Dachgeschoß Juridicum, Schottenbastei 10-16, 1010 Wien

uni:view: Was kann der Arbeitskreis hier tun?
Hochreiter: Wir sind angetreten, um wirklich viele Gespräche zu führen und auf den Frauenförderungsplan, das Antidiskriminierungsgebot und das Frauenförderungsgebot hinzuweisen. Die Universität Wien ist wichtig genug, um diese Dinge sehr ernst zu nehmen. Und das tut das Rektorat. Wir haben diesbezüglich an der Spitze der Universität eine gute Unterstützung.

Salimi:
Es gibt viele Schrauben, an denen man drehen muss, um den Anteil des weiblichen wissenschaftlichen Personals zu erhöhen. Die Rechtsgrundlagen wie der Frauenförderungsplan sind ein Hebel. Es gibt die klare Regel, dass bei gleicher Qualifikation der BewerberInnen die Bewerberin zu bevorzugen ist. Und das gilt natürlich auch bei PraeDoc- und PostDoc-Besetzungen. Hier schauen wir sehr darauf, dass das auch eingehalten wird.

Hochreiter:
Wir brauchen mehr Wissenschafterinnen. Die Universität Wien wird dann besser, wenn wir mehr Frauen haben, wenn wir generell mehr Diversität haben. Das liegt im innersten Interesse der Universität Wien.

uni:view: Ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich des Arbeitskreises liegt in der Beratung und Unterstützung bei Übergriffen unterschiedlichster Art. Wie ist hier das Prozedere?
Salimi: Studierende oder MitarbeiterInnen, die Erfahrungen mit Mobbing machen, sich diskriminiert oder belästigt fühlen, können sich an uns wenden. Dabei geht es darum, sehr sensibel zu sein, gut zuzuhören, Probleme ernst zu nehmen. Auf dieser Basis informieren wir über die tatsächlichen Möglichkeiten und versuchen so zu helfen.

Schaffer: Wichtig ist, dass alles in Absprache mit der Person passiert, die zu uns kommt. Und natürlich streng vertraulich: Sie muss keine Daten angeben und kann anonym bleiben.

uni:view: Nach zehn Jahren wechselt nun das Vorsitzteam des Arbeitskreises. Worauf bauen Sie auf?
Hochreiter: Richard Gamauf und sein Team haben unter großem Einsatz für die Anliegen des Arbeitskreises im Sinne der Universität Wien wichtige, kontinuierliche Arbeit geleistet. Wir bauen auf der Grundlage einer guten Kommunikationsebene mit dem Rektorat und eines ausgearbeiteten Frauenförderungsplans auf. Der neue Frauenförderungsplan nimmt auf die aktuellen Herausforderungen der Gleichbehandlung und Antidiskriminierung Bezug.

uni:view: Und was ist neu auf Ihrer Agenda?
Hochreiter: Wir wollen weiterhin ein aktiver Arbeitskreis sein. Gerade jetzt, wo sehr viele neue Professuren ausgeschrieben sind: Das ist die Chance, mehr Frauen aufzunehmen. Wir möchten dazu beitragen, dass das gelingt. Generell ist der Vorsitz des Arbeitskreises für mich eine besondere Ehre und Freude: Es ist ein fantastisches Team, und wir arbeiten gemeinsam daran, ein Ziel zu erreichen, das uns letztlich allen zu Gute kommt. Wir fördern damit direkt und indirekt künftige Generationen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (td)

Susanne Hochreiter
ist seit vielen Jahren Mitglied und seit Mai Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen an der Universität Wien. Die Germanistin beschäftigt sich auch in ihrer Forschung mit feministischer Theorie, Geschlechterfragen und Geschlechterpolitik. Über ihre neue Aufgabe sagt sie: "Als feministische Wissenschafterin freue ich mich, nun aus dieser Position zu einer besseren, offenen, fairen Uni für alle beitragen zu können."

Farsam Salimi ist erster Stellvertreter der Vorsitzenden. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und ist wissenschaftlich am Institut für Strafrecht und Kriminologie tätig. Über seine neue Aufgabe im Arbeitskreis sagt er: "Ich bin Jurist und kann nicht aus meiner Haut, d.h. mir geht es um die Durchsetzung von Regeln und ich sehe meine Aufgabe auch in der juristischen Beratung und Rechtskenntnis."

Marianne Ertl ist zweite Stellvertreterin der Vorsitzenden. Sie leitet das Sekretariat am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Ihr ist wichtig, dass das Allgemeine Personal gleichberechtigt mit den WissenschafterInnen unter fairen Bedingungen für die Universität arbeiten kann und Frauen in allen Positionen gute Entwicklungsmöglichkeiten erhalten.

Barbara Schaffer studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und ist als Büroleiterin und beratende Juristin im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen tätig. Ihre Beratungstätigkeit ist breit gefächert, es kommen einerseits Studierende oder MitarbeiterInnen, die Diskriminierungserfahrungen haben oder belästigt worden sind, andererseits berät sie Mitglieder zu rechtlichen Fragestellungen. Ihr Tipp: "Besser vorher fragen, als nachher".

Der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen hat sich unter einem neuen Vorsitzteam im Mai 2019 für die neue Funktionsperiode konstituiert. Das neue Vorsitzteam besteht aus Susanne Hochreiter als Vorsitzende, Farsam Salimi als ersten Stellvertreter und Marianne Ertl als zweite Stellvertreterin. Das Büro leitet Barbara Schaffer.