"Coole" Forschung

Jetzt erst mal auftauen! Andreas Richter ist von seiner Arktis-Expedition zurück, im Gepäck hat er gefrorene Permafrost-Bohrkerne. Wie diese in Knochenarbeit aus dem "ewigen Eis" entnommen werden und was der Ökologe an der Uni Wien damit vorhat, erklärt er in seinem Gastbeitrag. "Coole" Fotos inklusive!

Was macht ein Bodenökologe und Mikrobiologe im April, also im Spätwinter, eigentlich in der Arktis? Sind denn da die Böden nicht gefroren und die Temperaturen noch unter dem Gefrierpunkt? Ja, das sind sie – aber für unsere Forschung muss ich Permafrost-Bohrkerne nach Wien bringen und zwar ohne sie aufzutauen, und das ist eben nur im Winter möglich.

Mit meiner Arbeitsgruppe untersuche ich nämlich, was beim Auftauen der unterschiedlichen Bodenschichten passiert, beziehungsweise in einem zukünftigen Klima passieren könnte. Ziel unserer Forschung, die wir im Rahmen des EU-Projekts "Nunataryuk" durchführen, ist es, die Auswirkung der globalen Klimaerwärmung auf den Kohlenstoffhaushalt der Erde zu untersuchen. Im Besonderen wollen wir besser verstehen, welche Rückkoppelungen von auftauenden Permafrostböden auf das globale Klima zu erwarten sind.

Das EU-Projekt Nunataryuk vernetzt 26 Partnerorganisationen aus 13 Ländern – mit dem Ziel, die Auswirkungen des Auftauens von Küsten-Permafrost auf das globale Klima zu untersuchen und Anpassungs- und Klimaschutzstrategien für die Arktis zu entwickeln. Geleitet wird es vom Alfred-Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung. Die Arbeitsgruppe von Andreas Richter an der Uni Wien untersucht in diesem Zusammenhang die Auswirkungen der Erderwärmung auf die Böden der arktischen Küstengebiete und mögliche Rückkoppelungen auf das globale Klimasystem.

Die Arktis ist nicht nur besonders stark von der globalen Erwärmung betroffen, in den arktischen Permafrostböden steckt darüber hinaus auch mehr als doppelt so viel Kohlenstoff in Form von wenig abgebautem organischen Material als derzeit als Kohlendioxid oder Methan in der Atmosphäre zu finden ist. Wenn also die Permafrostböden der Arktis weiter auftauen, wird organisches Material verfügbar und kann von Mikroorganismen abgebaut werden. Ein solcher Abbau könnte zu verstärkten Emissionen von Kohlendioxid oder Methan in die Atmosphäre führen und so den Klimawandel weiter anheizen.

So weit so schlecht – aber wie das genau funktioniert und welche Mikroorganismen den auftauenden Permafrost wieder besiedeln werden, darüber weiß man noch sehr wenig. Und das schränkt die Fähigkeiten der Wissenschaft, die Folgen des Klimawandels präzise vorauszusagen, deutlich ein. Deshalb ist es so wichtig, in der Arktis zu forschen – obwohl die Arbeitsbedingungen dort selten gut sind!


Das Expeditionsteam v.l.n.r.: Andreas Richter (Universität Wien), Peter Archie (Aklavik Hunters and Trappers Committee), George Tanski (Vrijen Universiteit Amsterdam), Louis-Philipp Roy (Yukon Reserach Centre), Joëlle Voglimacci-Stephanopoli (Alfred-Wegener Institute) and Vincent Sasseville (Université de Sherbrooke)

Die letzten Wochen habe ich in Qikitaruk verbracht, einer kleinen Insel im äußersten Nordwesten Kanadas – nicht allein, sondern gemeinsam mit KollegInnen des deutschen Alfred-Wegener Instituts für Polar- und Meeresforschung, der Vrijen Universiteit Amsterdam, der Université de Sherbrooke und des Yukon Research Centre sowie unterstützt von einem Inuit der lokalen "Hunters and Trappers" Organisation.

Auf Qikitaruk, das man auch als Herschel Island kennt, gibt es ein paar historische Gebäude vom Beginn des 20. Jahrhunderts, in denen zwischen April und August zwei Ranger des Qikitaruk Territorial Parks stationiert sind und wo immer wieder auch WissenschafterInnen verschiedenster Nationalitäten Unterschlupf finden. TouristInnen kommen nur äußerst selten hierher – dazu ist die Insel zu entlegen und zu schwierig zu erreichen.  

Insbesondere zu einer Jahreszeit, in der die Temperaturen kaum je über -15 °C steigen und es regelmäßig Stürme und schlechtes Wetter gibt, sind hier im Umkreis von einigen hundert Kilometern keine Menschen zu finden. Temperaturen von unter -20 °C bei Windstärken von 6 Beaufort fühlen sich wirklich kalt an, vor allem wenn man zehn bis zwölf Stunden im Freien arbeitet.

Wir haben auch einige Male sogenannte "Whiteouts" erlebt: Situationen, wo das Licht durch starken Nebel so diffus wird, dass man in der Schneelandschaft wirklich nur mehr "weiß sieht" und selbst oben und unten mitunter schwer zu unterscheiden sind.

Aber wenn das Wetter einmal schön ist, wird man durch eine wunderbare unberührte Landschaft und eine Vielfalt an seltenen Tieren belohnt (vom Vielfraß und Moschusochsen bis hin zu Füchsen, Karibus und Eisbären, von denen wir allerdings diesmal nur die Spuren sahen). Und natürlich durch das Material für die Analysen, die es hoffentlich erlauben, dass wir die Ökologie dieser Systeme besser verstehen lernen.


Für unsere Arbeit fahren wir mit Schneemobilen einige Stunden zu den vorher über Satellitenaufnahmen ausgewählten Plätzen, wo wir mit benzinbetriebenen Motoren Stahlbohrer bis zu zwei Meter tief in den gefrorenen Boden treiben. Der Bohrkern wird dann noch im Feld entsprechend präpariert und verpackt. Um Verunreinigungen so gering wie möglich zu halten, wird der Kern dabei nur mit dünnen sterilen Latex-Handschuhen berührt, was bei den Temperaturen jedenfalls eine Herausforderung ist.



Es ist also hauptsächlich die Knochenarbeit, die wir hier verrichten – für die chemischen und molekularen Analysen müssen wir dann nur noch die Bohrkerne gefroren an die Uni Wien ins Labor bringen. Was auch leichter gesagt als getan ist – immerhin brauche ich sieben verschiedene Flugzeuge, zahlreiche Genehmigungen und insgesamt mehr als 48 Stunden, bis ich wieder in Wien bin. Genug Zeit jedenfalls, um die Experimente und Analysen die nun kommen, genau zu überlegen. Und aufzutauen.


Zum Autor:
Andreas Richter ist stv. Leiter des Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Uni Wien. Er forscht schwerpunktmäßig zur Rolle des Bodens und seiner mikrobiellen Bewohner im globalen Kohlenstoffkreislauf. Aktuell ist er gemeinsam mit seiner Forschungsgruppe am groß angelegten EU-Projekt "Nunataryuk: Permafrost thaw and the changing Arctic coast, science for socioeconomic Adaptation" beteiligt, das noch bis 2022 läuft. Er ist Gründungsmitglied des Austrian Polar Research Instituts (APRI), das sich zum Ziel gesetzt hat, die traditionsreiche österreichische Polarforschung zu koordinieren und gemeinsame Forschungsprojekte auf hohem Niveau durchzuführen.

Im Dossier "Eiskalte Forschung" berichten die PolarforscherInnen der Uni Wien regelmäßig von ihren aktuellen Exkursionen und Projekten in und über den sich verändernden polaren Lebensraum.

Alle Fotos, sofern nicht anders angeführt: © Andreas Richter