Die Zukunft der Demokratie – Podiumsdiskussion zur Semesterfrage
| 16. Januar 2018Politiker und WissenschafterInnen kommen am 15. Jänner zusammen, um die Zukunft der Demokratie zu diskutieren. Das Abschlussevent zur aktuellen Uni Wien-Semesterfrage trifft damit einen Nerv der Zeit – Interessierte füllen das Audimax sowie zwei weitere Hörsäle, in die live übertragen wird.
Demokratie ist zumindest eines: der Rede wert. Das bewies das große Interesse an der Podiumsdiskussion zur vierten und aktuellen Semesterfrage "Was ist uns Demokratie wert?". Die mittlerweile zur Tradition gewordene Abschlussveranstaltung findet heuer erstmals im Audimax – dem größten Hörsaal der Universität Wien – statt. Doch auch das Auditorium Maximum stößt bald an seine Grenzen und die Podiumsdiskussion wird per Live-Stream in zwei weitere Hörsäle übertragen, wo das Publikum – darunter viele Studierende – der Diskussion gespannt folgt. Die gesamte Diskussion gibt es hier zum Nachschauen (Videomitschnitt der Podiumsdiskussion).
Durch den Abend führt der ORF-Moderator Hanno Settele, bekannt u.a. aus der "Zeit im Bild" und der "ORF-Pressestunde" sowie seinen "Wahlfahrten", bei denen er PolitikerInnen durch das Land chauffiert und interviewt. Seinen "Beifahrersitz" teilen sich an diesem Abend Joachim Gauck, Heinz Fischer, Verfassungsjuristin Magdalena Pöschl, Kommunikationswissenschafter Hajo Boomgaarden und Osteuropahistoriker Oliver Schmitt.
Heinz W. Engl, Rektor der Universität Wien und Gastgeber der heutigen Veranstaltung, begrüßt die 1200 Menschen im Audimax und in den weiteren Hörsälen vor der Leinwand. Auf zentrale Themen fokussieren und aus vielfältigen Blickwinkeln beantworten – mit diesem Anspruch gehe das Projekt "Semesterfrage" in die mittlerweile vierte Runde, erklärt Heinz W. Engl.
Im Laufe des Wintersemesters 2017/18 sind Interviews, Podcasts und Videos im uni:view Magazin und im Blog der Universität Wien sowie Kommentare und Q&A-Artikel von WissenschafterInnen der Universität Wien auf "derStandard.at" erschienen. Bevor es, ganz im Sinne der Demokratie, in die Diskussion geht, wird eine Video-Rückschau auf die Semesterfrage mit Statements beteiligter WissenschafterInnen ausgestrahlt.
Heinz Fischer, österreichischer Bundespräsident a.D., betritt vom Applaus des Publikums begleitet die Bühne: Die Demokratie ist nicht unzerstörbar, aber sie ist auf soliden Wurzeln gebaut und kann sich gegen Feinde wehren, so Fischers Überzeugung. Nach einem Blick auf die Geschichte wollen wir nun Joachim Gauck zuhören – mit diesen Worten übergibt der "optimistische Demokrat bzw. demokratische Optimist" an seinen deutschen Amtskollegen und Keynote-Speaker des heutigen Abends.
Tosender Applaus und begeisterte "Gaucki"-Rufe tönen aus dem Publikum, als sich der deutsche Bundespräsident a.D. dem Redepult nähert. Joachim Gauck war zu DDR-Zeiten führendes Mitglied der Bürgerbewegung "Neues Forum", verwaltete nach der deutschen Wiedervereinigung die Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit und gilt aufgrund seines gesellschaftspolitischen Engagements als aktiver Verfechter der Demokratie.
"Demokratie: Immer schwer, aber immer Zukunft!" – lautet der Titel von Gaucks Keynote zum Diskussionsauftakt. Gerade der zweite Teil, "aber immer Zukunft!", möge in augenblicklichen Zeiten umstritten sein, gesteht Gauck. Der Blick auf die Realität stimme nicht gerade optimistisch, aber dennoch: Die Chancen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, stünden nicht schlecht.
"Ich empfehle uns – es mag etwas paradox klingen – mehr Toleranz und Offenheit und zugleich mehr Entschiedenheit. Vielleicht haben wir in den letzten Jahren zu schnell manche Debatten beenden wollen, die noch nicht für alle abgeschlossen waren. Vielleicht haben wir Positionen aus den Debatten hinausgedrängt, die uns inakzeptabel erschienen. Oder vielleicht haben wir umgekehrt zu viel Infragestellung von Grundsätzlichem geduldet, wo mehr Klarheit nötig gewesen wäre", so Gauck.
"Ja, es gibt Gründe, sich um die Demokratie in den demokratischen Staaten zu sorgen. Trotzdem gibt es Gründe zu rationaler Zuversicht", sagt Gauck mit einem Lächeln und bleibt dabei: "Die Demokratie hat Zukunft. Selbst in unserer schwierigen Demokratie haben wir den Menschen mehr anzubieten als jene, die die Demokratie verachten."
Auf das Podium gesellen sich zum deutschen Bundespräsidenten a.D. Verfassungsjuristin Magdalena Pöschl, Osteuropahistoriker Oliver Schmitt und Kommunikationswissenschafter Hajo Boomgaarden.
Magdalena Pöschl ist seit 2012 Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich u.a. mit den Themen Grundrechte, Rechtsstaat und Migrationsrecht. "Das Staatsgefüge ist solide und auf Demokratie ausgerichtet", versichert Pöschl: "Ich sehe gegenwärtig keinen Staatsumbau – den Regierungsparteien fehlt dazu auch schlicht die Mehrheit." Nichts desto trotz sollten wir sensibel sein, gerade sie als Verfassungsjuristin bekomme bei so manchen Medienberichten im Politikressort "große Ohren".
Medienberichterstattung ist das Stichwort für Hajo Boomgarden. Er ist Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien; Medienwirkungsforschung und Europäische Integration gehören zu seinen Spezialgebieten. "Medien spielen in der Demokratie eine zentrale Rolle", so Boomgaarden. Dass die Medien aber zwischen Politik und BürgerInnen vermittelten, sei eine idealistische Vorstellung, gibt der Medienwissenschafter zu bedenken: "Medien operieren nicht im luftleeren Raum, sondern müssen verkaufen." Die Marktorientierung sorge so manches Mal dafür, dass die Berichterstattung "weniger politisch" sei.
Oliver Schmitt ist seit 2005 Professor für die Geschichte Südosteuropas an der Universität Wien und war Sprecher der universitären Forschungsplattform "Wiener Osteuropaforum". Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. soziokulturelle Entwicklungen im albanischen Balkan und Faschismus in Osteuropa. Auch an diesem Abend richtet Schmitt seinen Blick gen Osten und knüpft damit an die von Gauck thematisierte Osterweiterung der Europäischen Union an. Was Demokratie ausmache, ist der Rechtsstaat, leitet er ein. Und dafür gingen die Menschen in osteuropäischen Ländern aktuell auf die Straße. "Wir können viel über Demokratie lernen, wenn wir in die Länder blicken, in denen Demokratie etwas Neues ist", ist der Osteuropahistoriker überzeugt.
Spannende Rückfragen kommen auch aus dem Publikum: Von möglichen Hackerangriffen Russlands auf Präsidentschaftswahlen in den USA bis zur aktuell in Österreich diskutierten "Entrümpelung der Rechtsordnung". Der Abend im Zeichen der Demokratie trifft scheinbar einen Nerv der Zeit.
Jana Wiese, u.a. Studentin der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, zeichnet die Podiumsdiskussion zur Semesterfrage in einer Sketchnote mit. "Beim Sketchnoten fand ich es vor allem schwierig, die Rede von Gauck zu visualisieren. Große abstrakte Begriffe wie Toleranz, Entschiedenheit und Sehnsucht nach Freiheit sind eine zeichnerische Herausforderung", so Jana nach der Podiumsdiskussion.
Mit einem Blick auf die Uhr leitet Hanno Settele die letzte Fragerunde ein, bedankt sich bei allen fürs Mitdiskutieren und gibt schon einen Vorgeschmack auf das nächste Semester, in dem sich Uni Wien-WissenschafterInnen der Frage "Wie retten wir unser Klima?" widmen werden. "Auch nicht so einfach", schmunzelt Settele. (Fotos: Universität Wien/ derknopfdruecker.com; Text: Hanna Möller)