Vom Molekül zum Medikament
| 28. Januar 2020Am Montag, 27. Jänner, wurde das Christian Doppler Labor für Entropieorientiertes Drug Design der Universität Wien unter Leitung von Chemiker Nuno Maulide eröffnet. Ziel des Labors ist es, Medikamente für Erkrankungen wie Krebs mittels eines neuen Ansatzes entwickeln zu können.
Zur offiziellen Eröffnung am Podium (v.l.n.r.): Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie, Darryl McConnell, Leiter des Forschungsstandortes Wien von Boehringer Ingelheim, Nuno Maulide, Institutsvorstand Organische Chemie und Leiter des neuen CD-Labors, Heinz W. Engl, Rektor der Uni Wien, Martin Gerzabek, Präsident der Christian Doppler Forschungsgesellschaft, und Gerhard Ecker, Dekan der Fakultät für Lebenswissenschaften. (© derknopfdruecker.com)
Die Wissenschafter*innen vom Institut für Organische Chemie wollen gemeinsam mit dem Pharmakonzern Boehringer Ingelheim Wirkstoff-Moleküle so aufbauen, dass diese sich dem physikalischen Phänomen der Entropie entziehen und der Wirkstoff gleichzeitig bestmöglich an sein Zielprotein bindet, um die gewünschten Effekte für eine erfolgreiche Therapie hervorzurufen.
Die Eröffnung fand in der Sky Lounge der Universität Wien statt. (© derknopfdruecker.com)
Das Christian Doppler (CD) Labor für Entropieorientiertes Drug Design ist das dritte an der Fakultät für Chemie. Rektor Heinz W. Engl wie auch CDG-Präsident Martin Gerzabek unterstrichen in ihrer Begrüßung die große Bedeutung von CD-Laboren als Mechanismus, Grundlagenforschung mit industrieller Forschung zu verknüpfen. Das ermögliche u.a. dem Nachgehen risikoreicherer Forschungsansätze.
Die Medikamentenentwicklung sei ein besonders eindrückliches Beispiel dafür, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung sei, sagte Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie. Gerhard Ecker, Dekan der Fakultät für Lebenswissenschaften, freute sich ebenfalls über den Gewinn des neuen CD-Labors: "Kleine Moleküle bilden das Zentrum der Medikamentenentwicklung. Zur Synthese dieser komplexen Verbindungen benötigt es erstklassige Chemie."
Das Team um Darryl McConnell vom Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna forscht intensiv an Wegen, Wirkstoffe gegen die vier größten Verursacher von Krebs zu finden – nun auch als Partner im neuen CD-Labor. (© derknopfdruecker.com)
Es gebe gerade einmal vier Proteine im menschlichen Körper (RAS, P53, MYC und Beta-Catenin), die mutieren können und darüber für mehr als 50 Prozent der Krebserkrankungen verantwortlich sind, sagte Darryl McConnell von Boehringer Ingelheim. Noch fehlten Medikamente gegen die "Big Four": "Das neue CD-Labor bietet uns nun die Möglichkeit, einen neuen, risikoreichen Ansatz für die Medikamentenentwicklung zu verfolgen."
Nuno Maulide, Vorstand des Institutes für Organische Chemie und Wissenschafter des Jahres 2018, ist mit seinem Team auf komplexe Naturstoffe und die Entwicklung neuartiger, nachhaltiger Synthesemethoden spezialisiert. (© derknopfdruecker.com)
"Die Wirkstoff-Verbindung muss quasi als passender Schlüssel für das Schloss, also das Zielprotein, fungieren, um einen entsprechend wünschenswerten Effekt wie etwa das Absterben von Krebszellen auszulösen", so CD-Labor-Leiter Nuno Maulide. Nur sind die meisten solcher Verbindungen relativ flexibel und unterliegen damit der Entropie, also einem physikalischen Phänomen, welches die Passform der Moleküle gefährdet.
Die Forscher*innen wollen nun die Moleküle so konzipieren und letztendlich synthetisieren, dass sie von Beginn an möglichst starr sind und damit ihre Passform nicht verlieren. Dies gelingt zum Beispiel unter Einbau von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen oder durch Einbettung in molekulare Ringsysteme.
Der Eröffnung und dem Empfang folgte ein Mini-Symposium mit drei Gastvorträgen. (© derknopfdruecker.com)
Möglichkeiten wie auch Unsicherheiten der entropieorientierten Medikamentenentwicklung zeigten die Vortragenden des Mini-Symposiums im Anschluss an die Eröffnung auf.
Stuart Conway von der Universität Oxford erläuterte epigenetische Faktoren zur Synthese neuer Wirkstoffe. (© derknopfdruecker.com)
So präsentierte der britische Forscher Stuart Conway das derzeitige Verständnis über die molekularen Grundlagen epigenetischer Prozesse und wie diese die Entwicklung innovativer Wirkstoffe prägen können. Conway stellte anhand eines bestimmten Proteins (CREB-Binding Protein) Möglichkeiten vor, wie man Liganden auf der Basis der Epigenetik und mit Blick auf die Entropie – ein wichtiges Prinzip aus der Wärmelehre – entwerfen kann, um ihre Bindungsaffinität zu erhöhen.
Gerhard Klebe von der Universität Marburg untersucht, wie kleine Moleküle in Krankheitssituationen mit Zielproteinen wechselwirken. (© derknopfdruecker.com)
Der deutsche Chemiker Gerhard Klebe erläuterte vor dem Hintergrund der Entropie, was die Bindungsaffinität eigentlich ausmacht, und demonstrierte anhand von Synthesebeispielen eindrücklich, wie herausfordernd das Designen entsprechender Molekülverbindungen ist: "Die Faktoren, die die thermodynamische Signatur letztendlich prägen, sind sehr komplex."
Andreas Gollner, ehemaliger Doktorand der Fakultät für Chemie und Forscher bei Boehringer Ingelheim, präsentierte Wirkstoffsynthese-Studien des Pharmakonzerns. (© derknopfdruecker.com)
Andreas Gollner von Boehringer Ingelheim präsentierte Unternehmensforschung zum Protein p53 und seinem Inhibitor MDM2. Der Transkriptionsfaktor p53 ist ein zentrales Tumorsuppressor-Protein und wichtig für das Krebsabwehrsystem der Zelle. TP53 tritt bei Tumoren entweder mutiert oder als TP53-Wildtyp-Status auf. MDM2 ist ein wichtiger Hemmstoff von p53. Über bestimmte Syntheseansätze wurden spezielle MDM2-p53-Inhibitoren entwickelt, die bereits in frühen klinischen Studien untersucht wurden.
Die Vorträge hätten gezeigt, so Nuno Maulide abschließend, "dass es wichtig ist, exzellente chemische Synthese am Ruder zu haben, um neue Wirkstoffe zu entwickeln, und dass es aber für den Erfolg auch eine gute Portion chemische Intuition braucht". Christian Doppler Labore werden von der öffentlichen Hand und den beteiligten Unternehmen gemeinsam finanziert. Wichtigster öffentlicher Fördergeber ist das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW). (red)