Bildung wirkt: Lernen für die Zukunft

Vera Popper und Christiane Spiel

Uni Wien-Alumna Vera Popper und Bildungspsychologin Christiane Spiel sprechen im Interview über die Schule der Zukunft, Herausforderungen der Digitalisierung und die Rolle der Universität. Zentral für ihre Arbeit ist eine praxisorientierte Forschung, die in die Gesellschaft wirkt.

Kurz gesagt:

- Selbstorganisation: Schule sollte verstärkt fächerübergreifende Kompetenzen fördern
- Evaluation: Ziele, Wirkmodell und Wirkung einer Maßnahme herauszuarbeiten und messbar zu machen schafft Qualität
- Konzepte aus der Bildungspsychologie können Teams stärken und das Selbstwirksamkeitserleben von Menschen fördern

uni:view: Frau Spiel, als Bildungspsychologin haben Sie zusammen mit Kolleg*innen die Auswirkungen der Schulschließungen auf Lernerfolg und Lernen erhoben. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Ergebnissen? 
Christiane Spiel: In der Schule müssen verstärkt fachübergreifenden Kompetenzen wie selbstorganisiertes Lernen systematisch gefördert werden, das zeigt der COVID-19 Lockdown. Wer dazu in der Lage ist, kann immer wieder neues Wissen erwerben oder altes auffrischen. Der zweite Bereich ist die Digitalisierung. Die Schulen haben den notwendigen Schub bekommen, um digitaler zu werden – doch neben der Ausstattung gilt es auch entsprechende Pädagogik und Didaktik mitzudenken.


uni:view: Frau Popper, Sie hatten als Coach und Beraterin für Unternehmen während des Lockdowns auch mit dem Thema Homeoffice zu tun. Was konnten Sie beobachten?
Vera Popper: Meine Erfahrung mit dem Thema Homeoffice ist ambivalent. Wenn der Austausch abseits des Bildschirms fehlt, findet viel Lernen, das sonst informell in Pausen und Zwischengesprächen passiert, nicht statt. Wir hören ja nicht unterhalb des Kopfs auf, sondern nehmen vieles intuitiv über den Körper wahr. Es ist wichtig, jetzt genau hinzuschauen: Was sind die Vorteile von Homeoffice – und damit meine ich nicht die Kosten? Was möchte man weiterführen? Und wo ist es wichtig, dass der ganze Mensch Platz hat?  

Coronavirus: Wie es unser Leben verändert
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Schule der Zukunft

uni:view: Auf welche großen Fragen der Zukunft werden Ihre Fachbereiche Antworten geben müssen?
Spiel: Im Bildungsbereich müssen wir uns überlegen, welche Kompetenzen junge Menschen in einer Zeit und Gesellschaft brauchen, die sich ständig verändert. Das sind Selbstorganisation und digitale Basiskompetenzen, aber auch Mut, Selbstvertrauen, Solidarität und Verantwortungsübernahme. Die Schule wird dafür Lerngelegenheiten schaffen müssen, auch für den Umgang mit Veränderungen. Es braucht dafür mehr Aufgaben mit offenen Lösungen, die in Teams bearbeitet werden und bei denen jede*r etwas einbringen kann.

Popper: Unsere Profession ist wichtig, um den notwendigen Haltungswandel zu unterstützen. In meiner Coaching-Tätigkeit sehe ich, dass die Menschen, die sich mit Sinnfragen beschäftigen, immer jünger werden: Wie kann ich ein gutes Leben führen? Wie kann ich sinnvoll arbeiten? Wenn immer mehr Arbeit von Maschinen übernommen wird, haben wir mehr Zeit. Wir müssen uns überlegen, wofür wir sie nutzen. Wir müssen unsere Stärken und Interessen kennen, weil es die "klassischen" Berufe so nicht mehr geben wird. 

Wirkt. Seit 1365.
Die Universität Wien kooperiert in der Forschung mit Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Ihre Lehre bereitet jährlich rund 10.000 Absolvent*innen auf ihre Berufslaufbahn vor und regt sie zu kritischem Denken und selbstbestimmtem Handeln an. Mit dem Themenschwerpunkt "Wirkt. Seit 1365" zeigen wir Ihnen in verschiedenen Beiträgen, was die Universität Wien für unsere Gesellschaft leistet.

uni:view: Wo sehen Sie den Einfluss Ihrer täglichen Arbeit – können Sie ein Beispiel geben?
Spiel: Ich habe lange zu Gewaltprävention in Schulen geforscht und wurde vom Ministerium gebeten, eine nationale Strategie für den Bildungsbereich zu konzipieren. Im Zuge dessen haben wir ein Präventionsprogramm für Schulen entwickelt und evaluiert sowie Trainer*innen ausgebildet, die die Schulen bei der Umsetzung begleitet haben. Die Gewaltraten in Schulen konnten durch unser Programm deutlich reduziert werden.

Popper: Wenn ich mit Teams arbeite und die Prozesse nach bildungspsychologischen Konzepten gestalte – also kompetenzorientiert, stärkenfokussiert und ressourcenorientiert –, entwickeln sich ganz neue Dynamiken. Wenn Menschen anfangen, sich etwas zuzutrauen, ist das eines der schönsten Feedbacks.

Christiane Spiel ist Leiterin des Third Mission Projekts an der Uni Wien, in dem es darum geht, aktive und bewusste Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Für Spiel bedeutet das, "dass man der Öffentlichkeit wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich macht und bereit ist, sich in gesellschaftliche Diskurse einzubringen." Der zweite Schwerpunkt des Projekts liegt auf dem Transfer von Technologien und Innovationen durch Kooperationen mit der Wirtschaft.

Eigene Ziele erreichen

uni:view: Frau Spiel, welche Rolle spielt die praxisorientierte Forschung in Ihrer Lehre?
Spiel: Ich bringe meine Forschungsergebnisse laufend in die Lehre ein. Inhaltlich geht es neben selbstorganisiertem Lernen, Lernmotivation, Gewaltprävention in Schulen auch um Geschlechterstereotype sowie Evaluations- und Implementationsforschung. Mit den Studierenden diskutiere ich auch die von uns entwickelten Interventions- oder Präventionsprogramme oder die Wirkung von Maßnahmen, die die Politik oder Unternehmen gesetzt und wir evaluiert haben. 

Warum an der Universität Wien studieren?
Die Universität Wien bietet ein großes Studien- und Lehrangebot. Mit über 180 Studien an 15 Fakultäten und 5 Zentren ist sie die größte Universität im deutschsprachigen Raum. Im Rahmen von Humans of University of Vienna erzählen auch Lehramt- und Psychologie-Student*innen, was das Zusammenleben an der Uni ausmacht und warum sie an der Uni Wien studieren.

uni:view: Frau Popper, Sie haben an der Universität Wien an der Fakultät für Psychologie promoviert und den Weg in die Selbständigkeit gewagt. Was hat Ihnen die Uni Wien mitgegeben?
Popper: Ich bin in unterschiedlichen Kontexten unterwegs, um gemeinsam mit einer Person, einem Team, einer Gruppe oder einer Organisation herauszufinden, wie sie bestimmte Ziele erreichen kann. Dafür nützt mir das "konzeptionelle Handwerkszeug", das ich auf der Universität mitbekommen habe. Ich kann Methoden, Theorie, Konzepte und Modelle komplexitätsreduziert und gleichzeitig fundiert anbieten. Wenn ich zurückblicke, war Zeit für mich eines der größten Geschenke an der Uni Wien. Sich auf ein Thema zu konzentrieren, sich konzeptionell und im Austausch mit anderen intensiv mit Fragen auseinanderzusetzen – dadurch entstehen neue Ideen. 

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (sn)

Christiane Spiel ist Professorin für Bildungspsychologie und Evaluation an der Fakultät für Psychologie. Spiel studierte Mathematik, Geschichte und Psychologie. Sie ist die Begründerin der Bildungspsychologie.

Vera Popper ist als Organisationsberaterin, Coach, Psychologin und Lehrende an der Uni Wien tätig. Von 2008 bis 2012 vertiefte Popper ihre Evaluationskompetenzen im Rahmen der Dissertation am Institut für Angewandte Psychologie: Arbeit, Bildung, Wirtschaft. Gemeinsam mit Christiane Spiel hat sie eine Reihe von Evaluationsprojekten durchgeführt.