Buchtipp des Monats von Philipp Budka

Kulturanthropologe Philipp Budka

In dem jüngst erschienenen Sammelband "Theorising Media and Conflict" beleuchten die Herausgeber*innen Philipp Budka und Birgit Bräuchler die verschiedenen Beziehungen von Konflikten und Medien. Besondere Aktualität erhält der Band durch die Corona-Krise und das Terrorattentat von Wien.

uni:view: Ihr kürzlich erschienenes Buch "Theorising media and conflict. Anthropology of Media" untersucht die Verbindung von Medien und Krisen bzw. Konflikten aus einer anthropologischen Sichtweise heraus. Können Sie ganz kurz das Anliegen der Publikation erläutern?
Philipp Budka: Der Sammelband "Theorising Media and Conflict" ist das Resultat eines Workshops, der – unterstützt durch die European Association of Social Anthropologists, das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und die Österreichische Forschungsgemeinschaft – an der Universität Wien organisiert wurde.

Den Begriff "Konflikt" haben meine Mitherausgeberin Birgit Bräuchler (Monash University) und ich weiter gefasst und so befassen sich die 20 Autor*innen in 16 Buchbeiträgen mit diversen Arten von Konflikt-Medien-Beziehungen, wie zum Beispiel die Wahrnehmung und Konsequenzen von Smartphone-Videos im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien, neue digitale Ausgestaltungen kommunikativer Gewalt und Auseinandersetzung, etwa im israelisch-palästinensischen Konflikt auf Twitter, oder der Umgang mit umstrittenen australischen Medienpersönlichkeiten im Internet.

Die Beiträge in unserem Sammelband basieren alle auf empirischem Material aus Fallstudien, in denen die Autor*innen durch den Einsatz qualitativer Methoden – wie ethnographische Feldforschung – bestrebt waren, die soziale Lebensrealität von Menschen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu beschreiben und zu analysieren. Das Buch ist einer der ersten Bausteine für ein, wie wir es nennen, co-konstitutives Verständnis von Medien und Konflikt und trägt so hoffentlich zur Festigung dieses spezifischen Forschungsfeldes bei.

uni:view: Ihr Buch ist mitten in einer Krise, der Corona-Pandemie, erschienen. Was ist Ihr Eindruck vom Umgang der (österreichischen) Medien mit dieser Krise?
Budka: Medien scheinen in dieser globalen Krise besonders von der Politik und ihrer Kommunikation abhängig zu sein. Gerade in Krisenzeiten lässt sich eine ambivalente Erwartungshaltung gegenüber Medien feststellen – zumindest gegenüber den "traditionellen" journalistischen Medien: Einerseits sollen sie als Sprachrohr und Unterstützer der Politik dienen, andererseits aber auch als Kontrollorgan, das politische Entscheidungen kritisch zu kommentieren und zu prüfen hat. Es sind sicher keine einfachen Zeiten für Medien und deren journalistisches Selbstverständnis.

Neben den journalistischen "Massenmedien" gibt es ja noch Social Media, die es Einzelnen deutlich einfacher machen, Kritik an politischen Entscheidungen in der Krise zu üben. Konfliktfelder lassen sich hier einige identifizieren: etwa die Rolle von "Fake News" und Desinformation in unserer medialen Landschaft, das mediale (Selbst-)Verständnis von monopolisierten Social-Media-Plattformen oder die Bedeutung von Social-Media-Inhalten für etablierte Medien. Diese medialen Konfliktfelder werden die politischen Entscheidungsträger*innen, die Öffentlichkeit, die Wissenschaft und natürlich die Medien selbst sicher noch länger beschäftigen.

uni:view: Dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Jahr 2015 wird im Buch ein Kapitel gewidmet. Am 2. November 2020 fand in der Wiener Innenstadt ein terroristischer Amoklauf statt. Welche Rolle haben Medien Ihrer Einschätzung nach aus einer anthropologischen Sicht eingenommen?
Budka: Im Unterschied zu dem Terroranschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo war der Anschlag in Wien ja nicht direkt gegen ein Medium gerichtet. Allerdings spielten auch im Wiener Terrorangriff Medien und mediale Kommunikation eine wesentliche Rolle: Für den Angreifer selbst, der über Social Media kommunizierte, sich vernetzte und sich vermutlich auch über einschlägige Social-Media-Kanäle und -Inhalte radikalisierte. Für die Menschen, die sich während des Anschlags in unmittelbarer Nähe aufhielten und über Smartphones Informationen einholten, kommunizierten und teilweise auch Augenzeugenberichte produzierten. Für die Medien, die nicht nur wichtige Informationen verbreiteten, sondern dieses Ereignis auch nutzten, um Reichweite und Nutzer*innen-Zahlen zu erhöhen.

Ähnlich wie bei den Anschlägen in Paris wurden auch in Wien Smartphone-Videos von Augenzeug*innen schnell über digitale Plattformen verbreitet. Diese wurden dann auch von journalistischen Medien in ihre Berichterstattung miteinbezogen. Das ist eine Praxis, die wiederum zu heftigen Diskussionen über die Konsequenzen der Verbreitung von visuellem Material und die damit verbundenen Aufgaben und Pflichten von Medien führt. Und es ist ein neuer Aspekt journalistischer Arbeitsweisen, der die Veränderungen und Herausforderungen medialer Berichterstattung in Zeiten zunehmender Digitalisierung zeigt. Aus Perspektive der Medienanthropologie erscheinen vor allem Fragen nach veränderten Medien- und Machtverhältnissen sowie nach der gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung solcher stark über unterschiedliche Medien vermittelte Ereignisse besonders interessant.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten Leser*innen zur Verfügung: 

1 x "Theorising media and conflict. Anthropology of Media" von Philipp Budka und Birgit Bräuchler   
1 x "Der Gang vor die Hunde" von Erich Kästner

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren Leser*innen?
Budka: Sehr empfehlen kann ich "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" von Erich Kästner. Das Buch ist 2013 unter dem ursprünglich von Kästner vorgeschlagenen Titel "Der Gang vor die Hunde" neu erschienen.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Budka: Kästner berichtet in klarer und leicht ironischer Sprache über das Leben eines Moralisten in Berlin am Ende der Weimarer Republik; über schöne und aufregende Erlebnisse, private und berufliche Enttäuschungen, politische Umbrüche und moralischen Verfall.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Budka: Mitleid mit dem Protagonisten, Bewunderung für den Autor und die Frage, ob ich ein moralischer Mensch bin. (td)


Philipp Budka lehrt am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und im MA-Programm "Visual and Media Anthropology" der Freien Universität Berlin. Er ist Gründungsmitglied und im Vorstand des Media Anthropology Network der European Association of Social Anthropologists (EASA) und Mitgründer der Digital Ethnography Initiative am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen digitale Medien und Technologien, Infrastrukturen und materielle Kultur, Aktivismus und Politik sowie visuelle Kommunikation und Kultur.