Die Politische Ökonomie der Euro-Krise

Von Austeritätspolitik bis zum "Diktat der Märkte" – knapp 40 WissenschafterInnen aus Europa und Australien sowie zahlreiche Gäste diskutierten Mitte September auf der Jahrestagung des Critical Political Economy Research Network der Europäischen Soziologie-Vereinigung (ESA) an der Universität Wien.

Bei dem "Call for Papers" zu dieser Tagung gab es dieses Jahr doppelt so viele Einreichungen als üblich. Laut Koordinatorin Laura Horn von der dänischen Universität Roskilde liegt dies einerseits am diesjährigen Thema "Krise, Widerstand, Rechte", andererseits aber an der Stadt Wien und dem Renommee der Universität.

Fragen über Fragen

Viele der auf der Tagung diskutierten Fragen drehten sich um die aktuelle Austeritätspolitik: Hat sich eine Art "autoritärer Neoliberalismus" etabliert, der – rechtlich abgesichert –  ein mehr oder weniger stabiles Krisenmanagement sichert? Oder handelt es sich weiterhin um instabile Prozesse, bei denen die Regierungen, Europäische Zentralbank und die EU-Kommission selbst nicht genau wissen, welche Politiken wie greifen? Und welche Auswirkungen hat die Austeritätspolitik auf geschlechtliche Arbeitsteilung und Familienkonstellationen?

Mögliche Entwicklungsperspektiven

Die ExpertInnen bezweifeln, dass die Austeritätspolitik schwächeren Ökonomien – zum Beispiel in Süd- und Osteuropa – eine Entwicklungsperspektive bieten kann. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass das exportgetriebene Wachstum den Eigenheiten unterschiedlicher europäischer Wirtschaftstypen nicht gerecht werden kann.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Position und Interessensvertretung von Gewerkschaften? Der Abbau von Arbeitsstandards und Lohnsenkungen und die damit verbundenen politischen Implikationen waren Gegenstand mehrerer Vorträge. Es wurden zudem Ansätze diskutiert, wie Perspektiven der Solidarität entwickelt werden können, die über die einzelnen Landesgrenzen hinausreichen.


Welche Strategien sind angemessen, um das Recht auf soziale Sicherung und gute Arbeitsverhältnisse, auf Wohnen, Bildung und Daseinsvorsorge zu sichern? Welche Rolle spielen Protestbewegungen in den unterschiedlichen Ländern und auf europäischer Ebene?
Diese und andere Fragen wurden auf der Jahrestagung des Critical Political Economy Research Network gestellt.



Staatsschuldenkrisen im Vergleich

Einige Beiträge befassten sich, auch in historischer und vergleichender Perspektive, mit den Staatsschuldenkrisen der europäischen Länder. Hinter den Politiken stehen benennbare Interessen und machtvolle Strategien. Banken und Hedge Fonds halten sich schadlos: Während Banken über umfangreiche öffentlich finanzierte "Rettungspakete" vor den schlimmsten Auswirkungen der Krise geschützt wurden, können andere Akteure auf den Finanzmärkten ihre Forderungen gegenüber Nationalstaaten geltend machen – Grund dafür ist die zunehmende Ausweitung von Investitionsschutzabkommen. Thema waren daher auch mögliche Reformierungen der Bankenaufsicht und die Frage, wie diese effektiv auf Krisen-Ursachen reagieren könne.

Von Migrationspolitik bis zu Protestbewegungen

Auf der Tagung wurde die teils ambivalente europäische Migrationspolitik vor dem Hintergrund politisch-ökonomischer Entwicklungen und Interessen reflektiert. "Liberal an der Spitze für die Hochqualifizierten und repressiv gegenüber den Mehrheiten", so lässt sich die aktuelle Politik zuspitzen, die sich insbesondere seit den 1990er Jahren stark verändert hat.


Interessant waren Präsentationen und intensive Diskussionen über den Zusammenhang der Wirtschafts- und Finanzkrise mit der ökologischen Krise. Eine Frage wird – wie am Institut für Politikwissenschaft unserer Universität – zum Forschungsprogramm: Liegt eine Strategie der Krisenüberwindung darin, dass überakkumuliertes Kapital nun verstärkt in die Bearbeitung von Problemen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder "grüne Industrien" fließt?



Schließlich befassten sich einige Beiträge mit den aktuellen Protestbewegungen, die das "Recht auf Stadt" gegen steigende Mieten einfordern oder die Bewegungen in Südeuropa zum Thema haben. Die Tagung verdeutlichte: Eine breit verstandene Politische Ökonomie ist fundamental, um die aktuellen Umbrüche und Krisenprozesse wissenschaftlich zu erforschen und die Analysen der Gesellschaft und EntscheidungsträgerInnen zur Verfügung zu stellen. Das Netzwerk der ESA bündelt Beiträge der kritischen Politischen Ökonomie, die – neben institutionalistischen und rationalistischen Ansätzen – zum festen Bestandteil des Mainstreams gehören.

Am 12. und 13. September 2014 fand die Jahrestagung des Critical Political Economy Research Network der Europäischen Soziologie-Vereinigung (ESA) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien statt.