Wiederanlauf in der Produktion durch Digitale Transformation
| 08. April 2020Obwohl bereits vielfach beschworen, konnte man sich unter "Digitaler Transformation" oft nicht viel vorstellen – bis zur Corona-Krise. Bislang analoge Abläufe werden nun gezwungenermaßen digital. Warum das eine Chance für viele Bereiche ist, darüber sprechen Stefanie Rinderle-Ma und Florian Pauker.
Für Prozesse in "Papierwelten" – Schulunterricht, Vorlesung, Meetings – kann man es sich relativ gut vorstellen, dass diese aufgrund der Corona-Krise digital werden. Wie sieht es aber mit den Chancen digitaler Transformation für "physische" Prozesse, z. B. in der industriellen Produktion, aus?
Florian Pauker: Durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der derzeitigen Krise sind Unternehmen gezwungen, ihre Produktion herunterzufahren oder ganz abzustellen, auch wenn die Auftragsbücher eigentlich voll sind. Nämlich dann, wenn die Produktionsstraßen ein physisch enges Zusammenarbeiten erfordern.
Stefanie Rinderle-Ma: Genau hier bietet die Digitalisierung der Arbeitsabläufe die Lösung an: Maschinen werden durch explizit beschriebene, vollautomatische Prozesse verbunden und gesteuert. Menschen können "im Hintergrund" die Abläufe überwachen und bei Bedarf eingreifen. Der Einsatz von Cobots erlaubt darüber hinaus die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine – und eben nicht zwischen Mensch und Mensch – in solchen Prozessen. Werkerassistenz-Systeme können Mitarbeiter*innen führen und somit den zwischenmenschlichen Kontakt reduzieren.
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Von neuen familiären Abläufen bis hin zu den Auswirkungen auf Logistikketten: Expert*innen der Universität Wien sprechen über die Konsequenzen des Coronavirus in den unterschiedlichsten Bereichen. (© iXimus/pixabay) Zum Corona-Dossier
Welche Forschungsprojekte gibt es dazu derzeit an der Universität Wien? Was wird erforscht und wo finden die Ergebnisse Anwendung?
Stefanie Rinderle-Ma: Die Forschungsgruppe Workflow Systems and Technology (WST) an der Fakultät für Informatik der Universität Wien hat dazu die sichere Produktionsorchestrierungsplattform centurio.work basierend auf der Open-Source-Software Cloud Process Execution Engine (CPEE) www.cpee.org entwickelt. centurio.work ist ein Orchestrierungsframework, mit dem erstens Informationsaustausch zwischen unterschiedlicher Hardware und Softwaresystemen realisiert, zweitens Prozessdaten sicher aufgezeichnet und drittens Mitarbeiter*innen in die Prozesse digital eingebunden werden können. Diese Plattform wird bereits operativ bei EVVA Sicherheitstechnologie GmbH für die Steuerung von Produktionsabläufen (in Zusammenarbeit mit dem Austrian Center for Digital Production, CDP) eingesetzt.
Wie sieht die Situation bei Ihrem Industriepartner EVVA derzeit aus und welche Zukunftsperspektiven bieten sich dem Unternehmen?
Florian Pauker: Die aktuelle Situation hält uns einen Spiegel vor, wodurch wir unsere Potenziale sehr gut erkennen können. Für einen hochflexiblen Variantenfertiger sind ein professionelles Prozessmanagement und ein hoher Digitalisierungsgrad essenziell. Hier haben wir nun unsere Schwachstellen erkannt und erarbeiten schon nachhaltige Lösungen. Auf der anderen Seite haben wir erfahren, dass unsere Standortstrategie mit der hohen Wertschöpfung die Supply Chain sehr gut absichert und eine hohe Lieferperformance für unsere Kunden sicherstellt.
Zukünftig wollen wir vermehrt auf die Unterstützung unserer Mitarbeiter*innen durch digitale Assistenzsysteme setzen, Stichwort Werkerführung. Digitale Werkerassistenz-Systeme stellen die jeweils aktuelle Information zum Auftrag bereit und vermeiden so Fehlhandlungen aufgrund veralteter Papier-Dokumente oder speziellem Expert*innenwissen. Somit können Ausfälle von Personengruppen einfacher verkraftet werden.
Arbeits- und Prozessabläufe können digitalisiert und modular gestaltet werden. Manche Schritte lassen sich dadurch an beliebige Orte verlagern, was derzeit ein großes Thema ist. Die Überwachung der Anlagen mit vernetzter Sensorik kann helfen, kritische Zustände (Verschmutzung, Füllstände etc.) frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen einzuplanen. Das hilft aktuell, die knappen Personalressourcen vor Ort optimal zu nutzen.
Was können Sie aus der Corona-Krise Positives mitnehmen? Oder anders formuliert – was, glauben Sie, wird sich in Zukunft verändern?
Stefanie Rinderle-Ma und Florian Pauker: Die Corona-Krise wird uns wahrscheinlich noch länger begleiten. Das bedeutet für uns – die Forschungsgruppe WST an der Uni Wien und das CDP – speziell die Weiterverfolgung der bereits intensiven Zusammenarbeit zwischen universitärer Forschung und Wirtschaft. Wir gehen diesen sehr erfolgreichen Weg gemeinsam weiter. Denn wenn Österreichs Industrie wieder anlaufen darf, ist die digitale Produktion die beste Basis, um wieder auf ein Vor-Corona-Niveau und in Zukunft darüber hinaus zu wachsen.
Die beiden Expert*innen Stefanie Rinderle-Ma, Leiterin der Forschungsgruppe Workflow Systems and Technology (WST) und FPF Data Science an der Fakultät Informatik der Universität Wien, und Florian Pauker, Digitalisierungsexperte im Unternehmen EVVA Sicherheitstechnologie und Mitglied der Forschungsgruppe WST an der Uni Wien, forschen seit Jahren gemeinsam an der digitalen Transformation von industriellen Produktionsprozessen. (© Barbara Mair, © privat)