Krisenbewältigung: Was wir aushalten

Um Ausnahmesituationen wie die aktuelle Pandemie gut zu überstehen, ist es hilfreich, aus der eigenen Resilienz zu schöpfen. Wie sie uns hilft, Krisen zu überstehen, was wir tun können, um sie zu stärken, und warum trotzdem nicht alles bewältigt werden muss.

Was wir schon alles ausgehalten haben“, stellt die Psychologin Brigitte Lueger-Schuster angesichts der seit ziemlich genau einem Jahr andauernden kollektiven Ausnahmesituation durch orona anerkennend fest. Die Professorin für Psychotraumatologie an der Universität Wien findet, dass die Gesellschaft tatsächlich extrem stark ist. „Wir funktionieren immer noch. Vielleicht ein bisschen grantiger, irritierter und gereizter, aber im Grunde schaffen wir es, die Disziplin weitgehend aufrechtzuerhalten, um das zu tun, was notwendig ist.“

„Sehr vieles, was Jugendliche an Entwicklungsschritten machen müssen, ist derzeit nicht möglich.“

Univ.-Prof. Brigitte Lueger-Schuster,
Psychotraumatologin, Uni Wien

Wie wir mit dieser Situation zurechtkommen, ist auch eine Frage der Resilienz. Damit gemeint ist unsere psychische Widerstandskraft, die es ermöglicht, uns an schwierige Lebenssituationen anzupassen und nach stressigen Phasen der Anspannung wieder zurück auf ein Ausgangsniveau zu pendeln. Wo dieses Ausgangsniveau angesiedelt ist, sei individuell höchst unterschiedlich und habe biografische, soziale sowie entwicklungspsychologische Gründe, so die Psychologin.Außerdem komme es stark auf die Ressourcen an, die ein Mensch zur Verfügung hat. Und damit sind nicht nur finanzielle Ressourcen gemeint, auch die Faktoren Bildung oder gesellschaftliche Integration spielen eine Rolle. Besonders tragisch: Menschen, die wenig haben, verlieren in der Krise mehr als Menschen, die viel haben. Die Krise verstärkt Ungleichheiten und Benachteiligungen also noch.

Wenn Psycholog*innen Resilienz erforschen möchten, fragen sie verschiedene Bewältigungsstile ab, also inwieweit Menschen aktiv etwas zur Verbesserung ihrer Lage tun oder ob sie eher passiv abwarten. Dabei gilt Symptomfreiheit als Gradmesser. „Je weniger psychologische Belastungsreaktionen oder psychische Symptome Personen zeigen, desto stärker ist ihre Bewältigungskompetenz und damit auch ihre Resilienz, weil sie immer wieder auf ihr Ausgangsniveau zurückkommen können“, erklärt Lueger-Schuster.

Betroffen

In einer europaweit angelegten Studie möchten Wissenschafter*innen nun herausfinden, wie es Europäer*innen in der Corona-Krise psychisch geht. Lueger-Schuster leitet den österreichischen Teil der Studie, die von der „European Society for Traumatic Stress Studies“ koordiniert wird. Dafür wurden 14.000 Europäer*innen zu ihrem Wohlbefinden und danach, wie sie ihren Alltag meistern, befragt. Erste Ergebnisse sollen Ende März veröffentlicht werden. Bisherige Studien aus Österreich deuten jedenfalls auf einen deutlichen Anstieg psychischer Belastungen während der Corona-Zeit hin.

Ein österreichweiter Survey vom Mai 2020 weist moderate bis schwere Depressionssymptome (21 %) sowie Angststörungen (19 %) bei einem Fünftel der befragten Österreicher*innen aus. 16 % leiden zudem an einer Schlafstörung (Pieh et al. 2020). Und eine repräsentative Befragung von Wiener*innen während des ersten Lockdowns (Zandonella et al. 2020) deutet auf eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit bei mehr als einem Viertel der Wiener*innen hin (27 %). Besonders betroffen ist, wer schon vorher psychische Probleme hatte.

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Bisher ging man davon aus, dass eher ältere Menschen stark belastet seien, so Lueger-Schuster, weil sie isoliert seien und vereinsamen würden. „Doch es zeigt sich, dass ältere Menschen aufgrund ihrer Lebenserfahrung den Umgang mit dieser Pandemie eigentlich ganz gut meistern. Sie haben gelernt, mit schwierigen Situationen umzugehen, haben oft schon mehrere Krisen gemanagt und wissen, wie es geht.“ Besonders große Betroffenheit ortet die Psychologin vor allem bei Jugendlichen. „Junge Menschen in der Pubertät haben ein Bedürfnis nach individueller Entwicklung, nach einem eigenen Leben. Sie sind im Moment alles andere als sozial verbunden. Sehr vieles, was Jugendliche an Entwicklungsschritten machen müssen, ist derzeit nicht möglich.“ Es fehle der Kontakt zu den Freund*innen sowie die Förderung durch die Schule, all das könne ein Elternhaus nicht ersetzen. „Langsam geht ihnen die Power aus“, bringt es die Psychologin auf den Punkt.

Verschärft

Jede Generation hat zweifellos ihre Themen in dieser kollektiven Ausnahmesituation. Und je nach persönlicher Lage, ob man selbst von der Krankheit betroffen ist, sich um Angehörige oder Freund*innen sorgt oder gar in seiner Existenz bedroht ist, unterscheidet sich auch die Belastung. Die Probleme der arbeitenden Bevölkerung kennt Tobias Glück von Berufs wegen besonders gut. Der Psychologie-Alumnus ist für die Gesundheitsmanagementfirma IBG als Arbeits- und Gesundheitspsychologe tätig und betreut in Wien rund 15 Firmen mit mehreren Tausend Arbeitnehmer*innen. In Zeiten von Covid ist dieses Angebot stark nachgefragt. Und häufig werden nicht nur arbeitsbezogene Probleme besprochen, sondern fließt auch Privates mit ein, im Homeoffice gestalten sich diese Grenzen sowieso meist fließend.

Generell bemerkt Glück eine Verschärfung von Dingen, die bereits vor Corona problematisch waren. Etwa die Überforderung von Führungskräften angesichts der komplexen Herausforderungen, die Kommunikation und Zusammenarbeit von Teams, die Arbeitsorganisation und gefühlte Unkonzentriertheit im Home­office. „Wir nehmen Pausen und Unterbrechungen zu Hause anders wahr. Wenn wir vom Schreibtisch aufstehen, uns etwas zu trinken holen oder die Waschmaschine ausräumen, meldet sich sofort unser innerer Kritiker zu Wort. Doch wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es auch im Büro solche Ablenkungen gibt und diese akzeptiert werden.“

Der Gang zum Kopierer etwa, zur Kaffeemaschine oder der kurze Tratsch mit der Kollegin gehören normalerweise dazu, doch die Produktivität werde meist anders wahrgenommen. Generell sei jedenfalls zu beobachten, dass die Leute im Homeoffice früher anfangen und später aufhören zu arbeiten und dass sie weniger Pausen machen als normalerweise.

„Psychothera­peutische Interventionen sind wie Physio­therapie fürs Gehirn.“

Dr. Tobias Glück,
Arbeits- und Gesundheits­psychologe, Psychotherapeut

Resilienz kann man lernen

Dass man Resilienz lernen bzw. aufbauen kann, davon ist der Experte überzeugt. Wichtig findet Glück, ein regelmäßiges Angebot zu schaffen, also nicht der einmalige Workshop, der in zwei Stunden Resilienz vermitteln soll, sei zielführend. Vielmehr müssten die Leute kontinuierlich am Ball bleiben, etwa durch Meditations- oder Entspannungs-Apps, durch Coaching- oder Selbstcoaching-Möglichkeiten.

Hilfreich sei außerdem, immer wieder die Perspektive zu wechseln, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen, um aus einer Erstarrung herauszukommen. „Ich baue gerne kurze Atem- oder Entspannungsübungen in meine Trainings ein, denn Resilienz hat auch eine biologische Komponente“, so Glück. Er nennt die Herzratenvariabilität als zentralen biologischen Parameter für Resilienz. Dieser natürlich-variable Wechsel zwischen den einzelnen Pulsschlägen ergibt sich in Abstimmung mit dem, was in der Umgebung passiert, und ist auch an die Atmung gekoppelt. Je besser man also gelernt hat, sich durch die Atmung selbst zu regulieren, desto besser kann man aus einer Anspannung wieder in die Entspannung finden.

Planungssicherheit

Auch Arbeits- und Organisationsstrukturen können die Resilienz fördern. Zentral dabei sei es, eine Atmosphäre der Sicherheit zu vermitteln, das fange bei der Führungsebene an, betreffe aber grundsätzlich alle. Transparent und nachvollziehbar zu kommunizieren, nicht Dinge schönzureden oder zu vertuschen sowie eine Organisation, die Mitarbeiter*innen Verantwortung abnimmt und eine gewisse „Planungssicherheit im Unplanbaren“ gewährt. Außerdem sei es an der Zeit, die Anspruchshaltung zu überdenken. „Wir kennen ja nicht nur den individuellen, sondern auch den institutionellen Perfektionismus. Problematisch dabei ist, dass es meist kein definiertes Ziel gibt, nur ein diffuses Mehr. Da hilft es, klar zu definieren, was denn ein zufriedenstellendes Ergebnis ist, worauf wir dann auch gemeinsam stolz sein können.“

Was zeichnet resiliente Menschen aus und woran merkt man schließlich selbst, dass man Resilienz aufgebaut hat? Tobias Glück beobachtet bei seinen Klient*innen nach einigen Wochen Achtsamkeitstraining, dass sie plötzlich Dinge weniger stören, die sie vorher gestört haben, dass die Grundanspannung runtergeht. Aber auch daran, dass sie weniger grübeln, also besser mit ihren Emotionen umgehen können, spüren es manche. „Psychotherapeutische Interventionen sind wie Physiotherapie fürs Gehirn“, sagt Glück. Und niemand sollte sich scheuen, diese bei Bedarf in Anspruch zu nehmen.

10 Möglichkeiten, die eigene Resilienz zu stärken

  • Stressreduktion durch Akzeptanz: „Es ist jetzt im Moment ganz schwierig für mich und das belastet mich und so ist es“
  • Regelmäßigkeit in der Tagesstruktur: Wechsel zwischen Aktivitäten und Pausen schützt vor Antriebslosigkeit (Vorsicht: Nicht zu viel vornehmen)
  • Lernen, den eigenen Perfektionismus zu zügeln, z. B. durch Selbstmitgefühl
  • Von Tag zu Tag bzw. Woche zu Woche planen: Tages- und Wochenpläne bringen Struktur, nicht die Perspektive riesengroß machen
  • Sozial verbunden bleiben
  • Spazieren gehen: Neue Winkel entdecken, eventuell einen Stadtführer kaufen
  • Ruheplätzchen aufsuchen: Öfter einmal aussteigen aus dem Gewusel von Familie, Betrieb etc.
  • Achtsamkeitsübungen: Mehrfaches tiefes Ein- und Ausatmen. Täglich vor dem Schlafengehen oder wenn der Druck zu groß wird
  • Liste von Dingen anlegen, die guttun und diese umsetzen
  • Lernen, gelassener zu reagieren: Wut verhindert Denken und Planen


(Zusammengestellt nach Empfehlungen von Brigitte Lueger-Schuster und Tobias Glück)