Mit einem guten Witz zum Wissen
| 24. Juni 2019Lassen sich komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse in Comicform vermitteln? Gemeinsam mit Illustratorin Nana Swiczinsky und dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) wagt die Universität Wien den Versuch in der Reihe "Wissensblick".
Interviews über ihre Forschung hat Jillian Petersen schon einige gegeben. Die Mikrobiologin untersucht die 400 Millionen Jahre alte Symbiose zwischen Mondmuscheln und Bakterien. Ein Thema, das nicht nur bei der Presse, sondern auch bei Fördergebern gut ankommt – Petersen ist Gruppenleiterin im "Young Investigator"-Programm des WWTF und hat kürzlich einen hoch dotierten Starting Grant vom Europäischen Forschungsrat erhalten. Aber ihre Forschungsarbeit – und sich selbst – in Comicform zu sehen, das sei nochmal etwas ganz Besonderes gewesen.
"Ich war so begeistert vom fertigen Comic, dass ich aus dem Büro gestürmt bin und es einfach ALLEN gezeigt habe, die mir über den Weg gelaufen sind", freut sich die Forscherin und erklärt: "Wissenschaft und Kunst sind sich ähnlicher, als man denkt – Kreativität ist ja in beiden Bereichen wesentlich. Wenn sie zusammenkommen, wie im Comic, erzeugt das eine ganz andere Aufmerksamkeit: Es bringt uns ForscherInnen als Personen dem Publikum nahe, macht uns vielleicht 'sympathischer' – was für die Offenheit gegenüber Forschung und Fakten total wichtig ist. Vielleicht wichtiger denn je!"
Geschichten erzählen
In ihrem Studio in der Landstraßer Hauptstraße im 3. Bezirk überträgt Nana Swiczinsky Fotos von den Interviews mit Uni Wien-WissenschafterInnen auf den Computer. "Ich stelle die Interviewsituation im Comic dar, denn im Dialog lassen sich komplexe Sachverhalte vermitteln, ohne belehrend zu wirken", erklärt Swiczinsky. "Auch LeserInnen, die sonst nichts mit Wissenschaft am Hut haben, können sich mit den Figuren identifizieren und so Zugang zu den Inhalten finden."
Comics eignen sich gut zum Geschichtenerzählen. Dabei spielt Humor eine tragende Rolle – in wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen ist dafür kaum Platz, schließlich sollen ja Fakten vermittelt werden. "Aber die Leute lachen nun mal gerne, und über das Lachen öffnen sie sich für die Inhalte, die der Comic transportiert. Humor hilft beim Verstehen", so die Comiczeichnerin.
Anspruchsvoll in aller Kürze
Der Weg vom Interview zum fertigen "Wissensblick" – zwei Ausgaben gibt es schon, die dritte mit Mathematiker Adrian Constantin ist in Arbeit – ist aufwendig. Vor allem der Prozess des "Vereinfachens": Allgemein verständlich soll es sein, witzig, aber doch wissenschaftlich korrekt – und das bei extrem begrenzter Zeichenzahl. "Auch in unseren Artikeln 'übersetzen' und erklären wir aktuelle Forschungsergebnisse für ein breites Publikum. Dafür sind uns 4.500 Zeichen schon oft zu knapp", erzählt Jessica Richter (uni:view Magazin), die die Comic-Reihe redaktionell betreut: "In den Comic passt nur ein Bruchteil dessen, aber in Kombination mit den Zeichnungen funktioniert das!"
Und zwar so gut, dass der WWTF auf den ersten "Wissensblick", in dem Archäologin Kira Lappé und Geologe Michael Wagreich von der Uni Wien das "Anthropozän" erklären, aufmerksam geworden ist. "Es ist uns nicht nur ein Anliegen, Grundlagenforschung zu fördern, sondern die Forschungsinhalte auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür suchen wir nach innovativen Formaten", sagt WWTF-Programm-Managerin Elisabeth Nagl: "Der Anthropozän-Comic ist bei uns auf so positive Resonanz gestoßen, dass wir uns an der Produktion beteiligen wollten." Daraus ist eine Kooperation entstanden – die "Wissensblick"-Folgen 2 bis 7 stellen Projekte von Uni Wien-ForscherInnen vor, die in den Programmen des WWTF gefördert werden.
Jillian Petersen zeigt Nana Swiczinsky die Mondmuscheln, die sie von der Insel Elba mit an die Uni Wien gebracht hat. So kann die Mikrobiologin "zu Hause" an den Muscheln weiterforschen – regelmäßige Forschungsreisen sind aber dennoch notwendig. (© Universität Wien)
Wissenschaft greifbar machen
Ein wichtiges Ziel des Uni Wien-Comics ist es auch, den Prozess des "Wissen-Schaffens" transparent zu machen. Vielen Menschen ist nicht klar, wie gesichertes Wissen generiert wird. "Im Comic zeigen wir, wie die ForscherInnen arbeiten und mit welchen Unbekannten oder Unschärfen in ihrem Material sie es zu tun haben", erklärt Nana Swiczinsky. Für Jillian Petersen steht noch ein weiteres Ziel im Vordergrund: "Ich war ein schmerzhaft schüchternes Kind. Meine Forschung als Comic zu sehen, mit mir als 'Heldin' sozusagen, ist überwältigend. Ich hoffe, dass mein Beispiel andere dazu inspiriert, sich etwas zuzutrauen." (br)
uniview: Wissenschaft als Comic – was reizt Sie daran?
Nana Swiczinsky: Illustration bedeutet ja sinngemäß "Erleuchtung" – sie hilft uns beim Verstehen. Ich sehe meine Aufgabe als Illustratorin darin, komplexe Informationen unterhaltsam aufzubereiten. Es macht mir großen Spaß, abstrakte Wissenschaft nicht nur in eine Alltagssprache, sondern auch in Alltagsbilder zu übersetzen.
uni:view: Was kann ein Comic besser als andere Formate?
Swiczinsky: Nicht alle Menschen haben eine Vorstellung, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert. Fachtexte, aber auch viele Formate der Wissenschaftskommunikation, erschließen sich nur einer Minderheit. Comics hingegen sind leicht zugänglich. Sie können wissenschaftliches Wissen an die Leute bringen, die sonst gar nichts mit Forschung zu tun haben. Humor und Ästhetik sind dabei ganz wichtig: Es sind die sozusagen die "legitimen" Tools, um Menschen zu verführen. Wir sind eben visuelle Wesen – und ein guter Witz trägt dazu bei, dass die Inhalte hängen bleiben. Dabei ist der richtige Mix aus verschiedenen Bildarten wichtig, damit das Comic funktioniert: Darstellungen der Interviewsituation ('Talking Heads'), aufbereitete Infografiken und Witze, die aus möglichst schrägen Assoziationen stammen."
uniview: Was sind die größten Herausforderungen bei der Arbeit am Comic?
Swiczinsky: Das Comic soll ja leicht und spielerisch daherkommen und gleichzeitig anspruchsvoll sein – das ist viel schwieriger als lediglich etwas allgemeinverständlich zu erklären. Aber schon das Vereinfachen ist eine Gradwanderung, zumal ich im Comic nur ganz wenig Text unterbringen kann. Manchmal tut es schon weh, wie sehr ich zusammenfassen und wie simpel der Text sein muss. Zu verkürzt darf es aber auch nicht werden, denn dann wird es falsch. Propaganda beispielsweise arbeitet häufig mit Übervereinfachung.
uniview: Wenn Sie nicht mit Wissenschaftscomics beschäftigt sind oder Weiterbildungen anbieten, arbeiten Sie an Ihrer Graphic Novel. Worum geht es bei dem Projekt?
Swiczinsky: Die Graphic Novel heißt "Autokrat total. Eine Anleitung für Diktatoren und alle, die es werden wollen" und nimmt die autoritären Systeme und deren Propaganda im 20. Jahrhundert zum Ausgangspunkt. Sie ist mein Ventil, mich zum Tagesgeschehen zu äußern, denn die visuelle Sprache, die etwa von Leni Riefenstahl und anderen produziert wurde, ist ja nicht passé. Sie findet sich in der heutigen Werbung, im Marketing, in der Politik und wirkt so gut, weil sie an die Gefühlsebene appelliert und die Vernunft ausschaltet. Das Projekt ist aufwändiger als die "Wissensblicke": Ich lese und recherchiere sehr viel, ähnlich wie in der Wissenschaft ist ein sorgsamer Umgang mit Referenzen wesentlich. Dabei muss ich immer abwägen: Wie bissig darf ich sein, wann wird es zu viel? Mein Ziel ist, so zu schreiben und zu zeichnen, dass es korrekt, aber trotzdem nicht zahn- und belanglos ist – die Graphic Novel ist also eng mit den Wissenschaftscomics verwandt. (jr)
Nana Swiczinsky ist Illustratorin, Trainerin und Gründerin des privaten Bildungsinstituts "illuskills". Ein Portfolio ihrer freien Arbeiten findet sich hier.