Quantenphysiker Anton Zeilinger wird 70

Anlässlich seines 70. Geburtstags am 20. Mai 2015 erzählt der Quantenphysiker Anton Zeilinger im Interview u.a. von der verrückten Welt der Quanten und verrät im Video, wofür er sich einsetzt. Von 18. bis 22. Mai 2015 findet ihm zu Ehren eine internationale Quantenkonferenz in Wien statt.

Halten Sie die Quantenwelt tatsächlich für verrückt?
Anton Zeilinger: Sie ist nach wie vor so, dass man sie intuitiv nicht verstehen kann. Am Anfang hat man gesagt, das sind zwar Dinge, die der Intuition widersprechen, aber die Mathematik funktioniert, und nur Spinner setzen sich mit der Frage auseinander, was das bedeutet. Die Entwicklung der letzten 30, 40 Jahre hat gezeigt, dass die Sachen, mit denen sich die paar Spinner auseinandergesetzt haben, zu neuen Phänomenen und Entwicklungen führen. Das finde ich gut und spannend.

Weiß man einfach noch nicht genug oder gewöhnt man sich an die Verrücktheit der Quantenwelt?
Zeilinger: So leicht würde ich es mir nicht machen. Wenn man das als ein Noch-Nicht-Wissen darstellt, dass man einfach noch nicht schlau genug ist, das zu durchschauen, führt das zu einem falschen Bild. Die Quantenphysik widerspricht schon Grundkonzeptionen.

Etwa der Tatsache, dass es einen Zufall gibt?
Zeilinger: Genau, und dass das wirklich ein reiner Zufall ist und nicht einfach die Ursache unbekannt ist, weil wir nicht genug wissen. Es ist falsch zu glauben, dass das, was wir jetzt messen oder beobachten, schon mit seinen Eigenschaften existiert hat, bevor wir diese messen. Die Annahme, dass diese Speisekarte hier rot war, bevor das irgendjemand beobachtet hat, ist falsch. Das ist nicht nur gegen den gesunden Menschenverstand, da geht es um grundsätzliche Annahmen über die Natur der Welt.

Das heißt, der "Alte" (so bezeichnete Einstein Gott in einem Zitat, Anm.) würfelt doch und der Mond existiert nicht, wenn ich nicht hinschaue?
Zeilinger: Würfeln ja, beim Mond fällt es mir ein bisschen schwer ja zu sagen, weil dieser ein makroskopisches System ist und es sich nicht vermeiden lässt, dass er ständig mit der Umgebung in Wechselwirkung steht.

Aber wäre der Mond nur ein Photon?

Zeilinger: Na, dann wäre es natürlich klar ...

... dann existiert er erst, wenn ich hinschaue?
Zeilinger: Nein, das ist auch wieder falsch, ebenso wie die Aussagen "Er existiert bereits, bevor ich hinschaue" bzw. "Er existiert, wenn ich gerade nicht hinschaue". Der Umkehrschluss wäre aber auch nicht berechtigt, das heißt nicht, dass er nicht existiert.

Was heißt es dann?
Zeilinger: Dem Mond die Eigenschaft "ich bin hier" zuzuordnen, wäre falsch.


Video: 10 Fragen an Anton Zeilinger

Die neue uni:view-Videoserie "10 Fragen an" startet - anlässlich seines 70. Geburtstags - mit Quantenphysiker Anton Zeilinger.

Zum Video



Jetzt haben Sie sich in den vergangenen 25, 30 Jahren mit solchen grundsätzlichen Fragen der Quantenphysik auseinandergesetzt und dabei quasi als Spin-offs Grundlagen für Quantentechnologien wie Teleportation oder Quantenkryptographie geschaffen. Hatten Sie damals eine Idee, wohin die Reise gehen könnte?
Zeilinger: Eigentlich nicht. Ich habe vielleicht für die nächsten drei, vier Jahre gewusst, wo es lang geht. Und ich sage immer, etwa allen Forschungsförderern: Wenn jemand sagt, das und das will er in sechs, sieben Jahren machen, dann müsst ihr das vergessen. Ein guter Wissenschafter würde das nicht sagen. Man kann in der Grundlagenforschung auch nicht derart langfristige Forschungspläne verlangen.

Damit wäre auch meine nächste Frage, wo die Quantenphysik in 15 oder 20 Jahren stehen wird, sinnlos?
Zeilinger: In der Grundlagenphysik kann man das nicht sagen. Es gibt verschiedene Trends, aber das sind nur Trends. Ich hoffe sehr, dass meine Vermutung stimmt und es noch eine tiefere Theorie gibt. Und wenn wir diese finden, dann wird es mit großer Sicherheit eine Theorie sein, die noch mehr dem gesunden Menschenverstand widerspricht als die Quantenphysik. Ich glaube, der Fortschritt kann nur sein, wenn man die kontraintuitiven Dinge völlig akzeptiert und auf dem aufbaut. Ich hoffe, dass ich noch am Leben bin, wenn das wer findet.

Sie sind jetzt seit rund zwei Jahren Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, kommen Sie selbst noch zum Forschen?
Zeilinger: Absolut. Ich stehe natürlich nicht im Labor, aber ich diskutiere ständig mit meinen Leuten. Einer meiner Standardsprüche ist: "Das, was Du jetzt machen willst, würde jeder auf der Welt in Deiner Situation machen. Daher überlege Dir, wie schaut der Schritt danach aus, gehe davon aus, dass das funktionieren wird, und überleg Dir dann den übernächsten Schritt - und den machen wir dann." So entstehen spannende Geschichten.

Die österreichische Quantenphysik hat zwei goldene Jahrzehnte hinter sich. Wäre es nicht Zeit, eine weitere Stufe zu zünden, um dieses Momentum nicht zu verlieren?
Zeilinger: Das ist jetzt schwierig, das entspricht nicht meinem Stil. Das kann man nicht Top-Down verordnen, so etwas muss Bottom-Up entstehen. Fortschritt kann nur dadurch entstehen, dass man exzellente Leute beruft und denen die Freiheit gibt zu tun, was sie wollen - und zwar nicht das, was in Havard oder woanders auch gemacht wird, weil so ist man schon der Zweite.

Das heißt, es gab keine Strategie, um die heimische Quantenphysik zur Weltspitze zu führen?

Zeilinger: Nein.

Wie sieht dann gute Wissenschaftspolitik aus?
Zeilinger: Da kann es nur um die Rahmenbedingungen gehen und die Möglichkeiten dafür, dass sich Leute entfalten können, sei es als Wissenschafter oder als Entrepreneur. Aber es wäre falsch, wenn irgendwer sagt, in die Richtung muss es gehen. Die Entscheidungen, was gefördert wird, können nur Leute treffen, die selber wissen worum es geht, die offen sind und auch etwas anderes zulassen.

Warum ist es in der Quantenphysik gelungen und in vielen anderen Bereichen nicht?
Zeilinger: In der Mathematik ist es auch gelungen, ich verweise auf die Fakultät für Mathematik an der Universität Wien und das Radon Institute for Computational and Applied Mathematics (RICAM) in Linz. Die Rahmenbedingungen sind überall die gleichen: Es braucht einzelne Personen, die sagen, jetzt mache ich das, und versuchen, ein paar Leute herzuholen, die keine andere Eigenschaft haben als Top zu sein. Die passen in kein politisches Schema, sind vielleicht auch unbequem.

Bei so einer Strategie geht man aber auch ein Risiko ein?
Zeilinger: Ohne Risikobereitschaft wird es nichts. In ein System, das nicht risikobereit ist, soll man keinen einzigen Euro hineinbuttern.


Quantenkonferenz mit prominenten GratulantInnen für Zeilinger

Vom 18. bis 22. Mai 2015 diskutieren rund 300 ForscherInnen aus aller Welt über quantenphysikalische Grundlagenforschung, Quantenoptik und Quanteninformation sowie über moderne Quantentechnologien. Gastgeber sind die Universität Wien und die Österreichische Akademie der Wissenschaften.

Zur Konferenz-Website



Wenn sie drei Wünsche frei hätten für die österreichische Wissenschaft, welche wären das?

Zeilinger: Der erste wäre, dass ich nicht nur drei, sondern zehn Wünsche hätte - weil man lernt. Am wichtigsten wäre, für junge Menschen neue Möglichkeiten zu schaffen. Was in Österreich am meisten fehlt ist eine Förderung der begabten Leute schon während des Studiums, so etwas wie die Studienstiftung in Deutschland. Das kostet nicht viel, das muss man sich leisten können. Auf Doktorandenebene würde ich mehr Doktoratsstipendien auflegen, wobei ich ein Anhänger von individuellen Doktoratsstipendien bin.

Für die Grundlagenforschung müsste man mehr Geld auf den Tisch legen, da sind wir eindeutig unterfinanziert. Das wird von manchen als Spielerei der Forscher abgetan, ist aber tatsächlich die Basis für die Hochtechnologie. Dabei würde ich mehr Risikofinanzierung für Grundlagenforschung zur Verfügung stellen, womit Dinge finanziert werden, die noch nicht so etabliert sind.

Sie sind der bekannteste Wissenschafter Österreichs, wie gehen sie mit diesem Star-Image um?
Zeilinger: Man muss sehr bescheiden sein, weil es heißt nicht viel. Es ist eine schöne Anerkennung, wenn mich wildfremde Menschen auf der Straße anreden, offenbar macht das Freude und schafft Motivation. Insofern sehe ich darin auch eine Funktion für die Wissenschaft.

Sie haben zahlreiche Ehrungen und wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten, werden auch immer wieder als Nobelpreis-Kandidat gehandelt. Machen Sie sich Hoffnungen?
Zeilinger: Das wäre eine fantastische Anerkennung, aber ich verstehe, dass es so viele andere Kandidaten auch gibt. Das ist bei einer Auszeichnung wie dem Nobelpreis so, es gibt sehr viel mehr, die ihn verdienen würden als man vergeben kann. Wenn es mehr Preise gäbe, wäre es nicht so interessant.

Haben Sie noch ein großes Ziel vor Augen?
Zeilinger: Das ist immer so gefährlich mit großen Zielen, weil meistens kommt es anders. Ich möchte einfach diese Akademie-Aufgabe so machen, dass die Leute sagen, da habe ich wirklich etwas bewirkt. Und in der Wissenschaft möchte ich möglichst vielen jungen Leuten noch die Möglichkeit geben, eine gute Karriere zu starten. Bisher sind über 20 Leute von mir irgendwo Professoren geworden, würde mich freuen, wenn es noch mehr werden. (APA/red)

Veranstaltungstipp:

Boltzmann Lecture der Fakultät für Physik mit Festvortrag von Stefan W. Hell "Optical microscopy: the resolution revolution"
Öffentlicher Vortrag im Rahmen der internationalen Quantenkonferenz "Quantum Physics of Nature QuPoN 2015" (18. bis 22. Mai 2015)

Dienstag, 19. Mai 2015, 20.30 Uhr (19.30 Uhr: Erfrischungen)
Audimax der Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien
Weitere Informationen

Freier Eintritt, Vortrag in englischer Sprache.