Schule nach Corona: "Es braucht Mut zur Lücke"

"Man muss der Pandemie auch etwas Positives abgewinnen, und das ist die Selbstorganisationsfähigkeit, die Schüler*innen gelernt haben", so Bildungspsychologin Christiane Spiel. Im Online-Format "NACHGEFRAGT" sprach sie mit Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon über Bildung in Zeiten von Corona und darüber hinaus.

Bildungspflicht statt Schulpflicht

Seit Beginn der Pandemie haben Christiane Spiel und ihr Team in vier Erhebungszeiträumen zig Tausende Schüler*innen befragt. Diese gaben als wichtigstes Learning nach wenigen Monaten Distance Learning an, sich nun gut selbst organisieren zu können. Aber, so Christiane Spiel im Rahmen des Diskussions-Formats NACHGEFRAGT, einer Kooperation der Uni Wien mit APA Science, nicht alle haben es gelernt: "Gerade die Risiko-Schüler*innen, die vielleicht sogar keinen Internet-Zugang haben, konnten wir also gar nicht beurteilen."

Aus ihrer Sicht hat sich die Heterogenität der Schüler*innen seit Corona vergrößert: Jenen, denen es vorher schon schlecht ging, geht es schlechter, sie sind vielleicht herausgefallen, haben keine Tagesstruktur, keine Erfolge. Wieder andere haben sehr viel profitiert. "Wir brauchen keine Schulpflicht, sondern eine Bildungspflicht", sagt Christiane Spiel, "wobei die Pflicht eher bei den Lehrer*innen liegt, sprich: Wir wollen junge Menschen so bilden, dass sie eine gute Chance nachher haben, eine Ausbildung zu machen, sich am Arbeitsmarkt zu behaupten."

Die Bildungspsychologin sieht einen deutlichen Digitalisierungs-Schub an den Schulen aufgrund der Pandemie, aber was Didaktik und pädagogischen Einsatz betrifft, müsse noch vielerorts nachgearbeitet werden.

Mut zur Lücke

Moderatorin Martina Salomon, die Chefredakteurin des Kurier, brachte auch Fragen aus der Community (#fraguniwien) in die Live-Diskussion ein, zum Beispiel schlug eine Userin vor, Bildungsformate für z.B. das Smartphone zu entwickeln, anstatt sozial benachteiligte Familien mit verschiedenen komplizierten Plattformen etc. zu überfordern. "Man sollte im Distance Learning immer mit jenen Endgeräten arbeiten, die den Schüler*innen zur Verfügung stehen", stimmt Christiane Spiel zu. Allgemein sei ein weiterer positiver Aspekt der Pandemie, dass Eltern dem Beruf Lehrer*in mehr Wertschätzung entgegenbrächten, und auch Kinder, denen die Schule früher ein Übel erschien, sich wieder darauf freuen.

"Werden Lehrer*innen nach der Pandemie ein paar Jahre einen anderen Unterricht geben müssen, um quasi das "Katastrophenfeld" wieder aufzuräumen, die Lücken bei den Schüler*innen wieder aufzuholen?", fragt Salomon abschließend. "Man wird sich das sehr individualisiert anschauen müssen", sagt Spiel und plädiert für Mut zur Lücke: "Wo kann ich exemplarisch lernen, wo muss ich jedes Detail haben." Es gehe letztlich darum, junge Menschen auf eine Welt vorzubereiten, die herausfordernd, veränderlich und unvorhersehbar sei, so dass sie sich trotzdem imstande sehen und den Mut haben, diese Welt zu gestalten.

Das Online-Gespräch fand in Kooperation mit APA Science statt.


 


 

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