Sommerbuchtipp von Kerstin Krellenberg: Städte nachhaltig verändern

Dieser Sommer hat uns bereits extreme Wetterverhältnisse beschert, auch mit katastrophalen Folgen. Laut Expert*innen werden sich solche Ereignisse im Zuge des Klimawandels häufen. Städte mit ihrem hohen Grad an Verbauung spielen dabei eine wesentliche Rolle. In ihrer neuesten Publikation zeigt Kerstin Krellenberg mögliche Lösungsansätze in der Stadtentwicklung auf.

uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Nachhaltige Stadtentwicklung. Die Umsetzung der Sustainable Development Goals auf kommunaler Ebene" erschienen. Können Sie kurz das Anliegen Ihres Buchs erläutern?
Kerstin Krellenberg: Seit die Vereinten Nationen ihre Agenda 2030 mit den 17 Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals (SDGs), verabschiedet haben, wird ihre Umsetzung auf lokaler Ebene intensiv diskutiert. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob und wie die Agenda 2030 mit den SDGs dazu beitragen kann, dass sich Städte nachhaltiger entwickeln – als notwendiger Beitrag zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung .

Mit unserer Open-Access-Publikation möchten wir kompaktes Wissen zur Beantwortung dieser Frage möglichst verständlich bereitstellen. Nach einem Einstieg mit Hintergrundwissen zur Agenda 2030 und den SDGs stellen wir Konzepte nachhaltiger Stadtentwicklung vor und weisen auf Chancen sowie Heraus¬forderungen hin. Wir zeigen auf, dass eine intensive Auseinandersetzung mit den SDGs im Rahmen der nachhaltigen Stadtentwicklung das Potenzial birgt, neue Wege zu gehen, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und auch die Stadtentwicklungspraxis selber zu transformieren. Allerdings erfordert dies ein Umdenken und ist kein Selbstläufer.

Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Sommersemester 2021 lautet: "Was machen wir Menschen mit der Erde?" 

uni:view: Gerade jetzt im Sommer heizen sich die Städte extrem auf und kühlen nur schwer wieder ab. Wie kann man dem entgegenwirken?
Krellenberg: Grundsätzlich gilt es, den hohen städtischen Ausstoß von CO2 zu reduzieren, um der weiteren globalen Erderwärmung entgegen zu wirken. Zudem entscheidet die Art der Bebauung, der Grad der Versiegelung, der Anteil von Frei­ und Grünflächen sowie das Vorhandensein von Frischluftschneisen über die Intensität der typischen stadtklimatischen Effekte, wie die starke Aufheizung am Tag und die nur bedingte Abkühlung in der Nacht. Hier gilt es, Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen.

Dazu sind im Rahmen einer nachhaltigen Stadtentwicklung beispielsweise Frei- und Grünflächen zu schaffen bzw. zu erhalten. Da dies in bestehenden Stadtstrukturen nicht immer möglich ist, stellen neue Straßenbäume sowie Dach- und Fassadenbegrünungen weitere wichtige Maßnahmen dar, wobei hitze- und trockenstresstolerante Pflanzenarten zu bevorzugen sind. Auch helle, stärker reflek-tierende Oberflächenmaterialien können helfen, die Überwärmung der Städte zu reduzieren. Wichtig ist es auch, jene Gebiete innerhalb der Stadt zu identifizieren, die besonders von Hitze betroffen sind, um insbesondere hier Maßnahmen umzusetzen und die Belastung der Bevölkerung zu reduzieren.

Kerstin Krellenberg hat gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen ein Positionspapier unter dem Titel "Fünf Prinzipien für klimasichere Kommunen und Städte" publiziert. (© Hermann Traub/Pixabay)

uni:view: Was können Städte zu einer nachhaltigeren Entwicklung der Gesellschaft beitragen?

Krellenberg: Aufgrund des hohen Anteils der Stadtbevölkerung an der Weltbevölkerung – Anm. im Jahr 2018 lebten weltweit 55 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, Tendenz steigend – können in den Städten umgesetzte Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit besonders positive Effekte im globalen Maßstab entwickeln. Dazu gehören zum Beispiel Ansätze der Kreislaufwirtschaft, alternative Mobilitätskonzepte und ein innovativer Umgang mit Fläche/Raum. Zudem steht in (größeren) Städten oftmals besonders viel soziales Kapital und somit ein besonderes Potenzial zur Umsetzung von Prozessen und Maßnahmen zur Verfügung. Gerade die Zivilgesellschaft sollte bei der Entwicklung der Nachhaltigkeitsziele der Städte sowie bei der Ausgestaltung und Umsetzung konkreter Maßnahmen intensiv beteiligt werden.

uni:view: Wie kann Wissenschaft und Forschung das Erreichen der Sustainable Development Goals unterstützen?
Krellenberg: In transdisziplinären Forschungsprojekten kann durch die gemeinsame Arbeit kommunaler Verwaltungen, der Zivilgesellschaft, privater Unternehmen und der Wissenschaft neues Wissen produziert und das gegenseitige Lernen zur Umsetzung der SDGs in Städten und Gemeinden unterstützt werden. Im Zusammenspiel der SDGs sowie bei der Komplexität städtischer Prozesse allgemein kann die Wissenschaft helfen, Systemzusammenhänge zu identifizieren und zu analysieren sowie integrative Lösungsansätze zu erarbeiten. Von Vertreter*innen der Stadtverwaltungen und der Umsetzungspraxis wird zudem wissenschaftliche Begleitung bei der Entwicklung von Leitlinien und Mechanismen zur Evaluierung des Umsetzungsstands der SDGs nachgefragt.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten Leser*innen zur Verfügung:

1x "Nachhaltige Stadtentwicklung" von Florian Koch und Kerstin Krellenberg
1x "Mr Gwyn" von Alessandro Baricco

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren Leser*innen?
Krellenberg: Jüngst gelesen habe ich "Mr Gwyn" von Alessandro Baricco. Ein Roman, dessen Protagonist ein Schriftsteller ist, der trotz seines Erfolgs nicht mehr Schriftsteller sein möchte, aber von seiner Leidenschaft des Schreibens doch nicht loskommt und sich eine neue Form des Schreibens sucht: Er schreibt Porträts, wie andere sie malen und möchte die porträtierten Menschen dadurch "nach Hause bringen". Aber was heißt das? Hier lässt einen der Autor im Dunkeln, es ist ein Prozess, der sich langsam entwickelt.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Krellenberg: Was bedeutet Berufung, und inwiefern ist ein Ausbrechen aus bestehenden Strukturen und ein Experimentieren möglich und "erlaubt"? Und, in jedem Menschen steckt eine Geschichte, aber nicht jeder sieht sie. 

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Krellenberg: Die Möglichkeit eines Neuanfangs mit anderen Augen zu sehen, denn vieles liegt in den Augen des Betrachtenden. (td)

Kerstin Krellenberg hat seit Oktober 2020 die Professur für Urban Studies am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien inne. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u.a. integrative Stadtforschung, urbane Nachhaltigkeitstransformationen, nachhaltige Stadtentwicklung und Umsetzung der Sustainable Development Goals.