Trauern in Zeiten der Isolation

Trauern in der Isolation

Das Zuhausebleiben ist vor allem für jene schwierig, die mit akuter Trauer umgehen müssen. Brigitte Lueger-Schuster, Leiterin der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie der Universität Wien, hat Rat für diese besonders herausfordernde Situation.

Leider gibt es einige, die vor nicht allzu langer Zeit einen geliebten Menschen verloren haben und jetzt alleine zuhause sind. Wenn man nicht regelmäßig raus kann, um z. B. einen Friedhofsbesuch zu machen, oder jede Ecke in der Wohnung an die geliebte Person erinnert, dann wird die Isolation eine besondere Herausforderung.

Nicht nur, dass man ohnehin bereits in Trauer ist, nun verstärkt sich das Gefühl der Einsamkeit möglicherweise besonders. Gefühle von Verlassenheit und Hilflosigkeit machen sich breit, man grübelt über alles und jedes, die Verzweiflung wächst und wächst. Nachts können Sie nicht schlafen, Sie wachen von wirren Träumen auf – ja, das ist anstrengend.

Bis jetzt hat es Ihnen geholfen, dass Sie von Familienmitgliedern Besuch bekommen haben – auch das geht  nicht mehr. All das macht Ihnen extrem zu schaffen? Sie wollen aber Ihre Familie und Freunde nicht belasten, schämen sich vielleicht gar für Ihre Gefühle, versuchen alles still zu ertragen. Tun Sie das bitte nicht, Sie brauchen jetzt wirklich Beistand – holen Sie sich Hilfe, aber bitte nur via Telefon!

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Tipps fürs Telefonieren

Bevor Sie zum Telefonhörer greifen, könnten Sie sich notieren, was Sie besprechen wollen – das hilft dabei, ein gutes Gespräch zu führen und nicht immer nur über dasselbe zu berichten. So können Sie mit jedem Telefongespräch einen kleinen Schritt aus Ihrem Gefühlswirrwarr hinaus machen und wieder etwas mehr "Luft zum Atmen" bekommen.

Gesprächsthemen könnte z. B. sein: Wie schaut mein Tag aus? Was wird gekocht? Der Fernsehfilm des vorherigen Abends, was Sie für heute vorhaben, und natürlich auch, wie es Ihnen geht. Vielleicht machen Sie sich mit Ihren Familienmitgliedern auch konkrete Zeitpunkte aus, zu denen Sie täglich oder auch wöchentlich miteinander telefonieren, so fühlen Sie sich sicher etwas weniger als "Last".

Kleine Schritte der Trauerbewältigung

Wenn Sie sich emotional stark genug fühlen, versuchen Sie, sich Ihre Wohnung oder Ihr Haus neu zu erobern. Beginnen Sie vielleicht mit kleinen Handlungen, die Sie an die verstorbene Person erinnern, Ihnen aber neuen Raum für das Leben ohne den geliebten Menschen verschaffen. Zum Beispiel die Kleider wegräumen oder eine spezielle Ecke einrichten, in der Sie die Lieblingsfotos arrangieren, und nur hier lassen Sie Ihren Gefühlen der Trauer freien Lauf.

Sie könnten sich auch eine kleine "Schatztruhe" einrichten, mit den gemeinsamen Lieblingsstücken, die Sie immer mal wieder zur Hand nehmen und die schönen Erinnerungen abrufen. Wenn Sie das Gefühl haben, derartiges würde Sie überfordern, so versuchen Sie doch einfach eine Entspannungsübung (siehe "Zuhause bleiben ist kein Urlaub") und die Vorbereitung auf die Telefongespräche.

Es gibt viele Gründe, gesund zu bleiben

Die belastenden Gefühle etwas weniger werden zu lassen, ist auch deshalb so wichtig, weil sie das Immunsystem schwächen und Sie dadurch empfänglicher für eine Infektion machen. Und denken Sie bitte nicht, dass Ihnen eine Erkrankung "eh gelegen käme", weil Sie ohnehin nicht mehr wollen. Jede Infektion birgt in sich die Gefahr, andere zu infizieren, also bitte achten Sie auf sich, damit Sie andere nicht gefährden. Das wäre zumindest ein Grund – und es gibt viel mehr Gründe, gesund zu bleiben.

Sollten Sie aber gar nicht mehr können, so rufen Sie z. B. eine der vielen Telefondienste an, die Hilfe anbieten, etwa die Telefonseelsorge, die Krisenintervention, oder einen psychosozialen Dienst. Gehen Sie bitte NICHT zum Hausarzt, denn das gefährdet Sie und andere.

Brigitte Lueger-Schuster ist Professorin am Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie der Universität Wien und Leiterin der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Missbrauch in Institutionen, Psychosoziale Folgen von traumatischem Stress, Bewältigungsstrategien, Resilienz, Komplexes Trauma, Komplexe PTSD, Beurteilung von traumabedingten Störungen sowie Menschenrechtsverletzungen. (© Petra Schiefer)