Wie Babys Sprache lernen

Sprache wirkt. Und das schon sehr früh. So beeinflusst "Muttersprache" die Sprache eines Babys bereits im Mutterleib. Wie Kinder Sprache wahrnehmen, welche Wirkung Mehrsprachigkeit auf die Sprachentwicklung hat und wie Eltern diese unterstützen können, erklärt Entwicklungspsychologin Stefanie Höhl.

Bereits im letzten Schwangerschaftsdrittel lauscht der Fötus dem Sprechen der Mutter und hört, gedämpft durch das Fruchtwasser, auch andere Menschen in der Umgebung. Dadurch sind bereits neugeborene Babys nicht nur an die Stimme der Mutter, sondern auch an die Sprachmelodie ihrer Muttersprache gewöhnt. Erstaunlicherweise wirkt sich das sogar auf die ersten Kommunikationsversuche von Neugeborenen aus: Französische und deutsche Babys schreien mit unterschiedlichem Akzent!  

Im Baby Talk

Im Laufe des ersten Lebensjahres lernen Babys dann zunächst, die gehörte Sprache zu strukturieren, das heißt Regelmäßigkeiten im Sprachfluss zu erkennen. Dabei hilft es ihnen, wenn Bezugspersonen im sogenannten Baby Talk – auch Ammensprache genannt – mit ihnen sprechen. Baby Talk ist besonders melodisch und langsamer als an Erwachsene gerichtete Sprache. Einzelne Wörter und Pausen zwischen den Wörtern werden stärker betont. So fällt es Babys leichter, einzelne Wörter herauszufiltern und schließlich verstehen zu lernen. 


Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Im Sommersemester 2020 steht die Wirkung des Wortes im Mittelpunkt. Welche Rolle spielt die Sprache für unsere Identität? Was passiert beim Spracherwerb im menschlichen Gehirn und wie setzen wir Denken in Sprache um? Zur Semesterfrage "Wie wirkt Sprache?" Diskutieren Sie darüber im Forum+ auf "derStandard.at"

Interaktion fördert Sprachentwicklung

Um das zu ermöglichen, brauchen Babys viel Input. Dabei macht es einen erheblichen Unterschied, ob sie Sprache nur vom Tonband oder Video hören, oder ob jemand direkt mit ihnen spricht. Nur in der direkten Interaktion können sie Sprache lernen, vermutlich, weil sie dann viel aufmerksamer und motivierter sind. Zudem erhalten sie in der direkten Interaktion mit anderen Menschen nicht nur Input, sondern vor allem auch Feedback. Studien haben gezeigt, dass Babys in ihrer Sprachentwicklung schneller voranschreiten, wenn ihre Bezugspersonen auf ihre Versuche zu sprechen reagieren, zum Beispiel durch ein Lächeln oder eine Berührung.

Brabbeln als "Sprechtraining"

Die ersten Sprechübungen, erst mal in Form von Brabbeln (engl. Babbling), sind wichtig für Babys. Damit trainieren sie ihren Sprechapparat und können immer reifere Sprachlaute, Silben und schließlich Wörter aussprechen. Das ermutigende Feedback ihrer Bezugspersonen motiviert sie, es weiter zu versuchen und sie lernen, dass sie durch Sprache etwas bewirken können – sie erhalten Aufmerksamkeit! Spannend ist dabei, dass Eltern ihr verbales Feedback intuitiv auf ihr Baby abstimmen. Sie reagieren auf Babbling vor allem mit Baby Talk, der wiederum dem Kind den Spracherwerb erleichtert.

Gegen Ende des ersten Lebensjahres verstehen die meisten Kinder schon einfache Aufforderungen und sprechen selbst ihre ersten richtigen Wörter. Um den zweiten Geburtstag herum kommen scheinbar Schlag auf Schlag neue Wörter dazu, die sogenannte Wortschatzexplosion setzt ein. Kinder bilden in diesem Alter auch die ersten einfachen Zweiwortsätze (z. B. "Ball holen").

Mein Lieblingswort … Das Wort "Neugier" assoziiere ich mit Offenheit, Freude und Abenteuerlust. Die Gier nach neuem Wissen und neuen Erlebnissen motiviert mich nicht nur als Forscherin Tag für Tag. Sie ist auch die treibende Kraft des Lernens bei meinen liebsten Forschungsteilnehmer*innen: Babys. Von Eintönigkeit sind sie schnell gelangweilt und werden aufgeregt und aufmerksam, sobald etwas Neues oder Unerwartetes passiert. Wir sollten ein Stück dieses Antriebs, Neues zu erfahren, auch in unserem Alltag bewahren.

Mehrsprachigkeit fördert flexibles Denken

Werden Kinder zweisprachig erzogen, scheint es manchmal so, als wären sie im Vergleich zu ihren einsprachig erzogenen Gleichaltrigen langsamer im Spracherwerb. Tatsächlich ist der aktive Wortschatz zweisprachig aufwachsender Kinder genauso groß wie der von einsprachig aufwachsenden Kindern – wenn man die Wörter beider Sprachen zusammenzählt. 

Kinder, die zweisprachig aufwachsen, haben einige Vorteile: Schon im ersten Lebensjahr, also bevor sie selbst beginnen zu sprechen, zeigen sie eine größere Flexibilität im Denken. Sie sind es gewohnt, zwischen zwei Sprachen hin und her zu wechseln und nutzen diese Fähigkeit dann auch in anderen Denkaufgaben. 

… und verknüpft Sprachen im Kopf

Bei der mehrsprachigen Erziehung sollten aber beide Sprachen vergleichbar viel gefördert werden. Ziehen Kinder beispielsweise im jungen Alter in ein anderes Land, lernen sie die neue Sprache oft leicht – und meist deutlich schneller als ihre Eltern. Dennoch sollte auch ihre Muttersprache weiter gefördert werden, ansonsten leiden die generellen Sprachfähigkeiten des Kindes darunter. Lernen Kinder nämlich früh zwei oder mehr Sprachen, so werden diese in denselben Sprachnetzwerken im Gehirn angelegt.

Wächst ein Kind hingegen mit nur einer Sprache auf – und lernt erst später weitere Sprachen dazu –, so werden dafür andere Gehirnregionen einbezogen. Gerade bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern hängen die verschiedenen Sprachen also eng zusammen.

Durch Interaktion auf eine Wellenlänge  

Mutter mit Kind beim Experiment

Wie "schwingen" Eltern mit ihrem Kind auf einer Wellenlänge? Das untersucht Stefanie Höhl im Rahmen der Wiener Kinderstudien an der Uni Wien: Sind zwei Personen gut aufeinander eingestimmt, gleichen sich auch ihre rhythmischen Gehirnaktivitäten aneinander an. Dadurch läuft die Kommunikation flüssiger und beide verstehen sich besser. Zu diesem "neuronalen Einklang" kommt es v.a. dann, wenn beide, z.B. Mutter und Kind, aufeinander eingehen und sich gegenseitige Aufmerksamkeit schenken. (© Stefanie Peykarjou) 

Eltern können die Sprachentwicklung ihrer Kinder unterstützen, indem sie nicht nur viel zu ihnen sprechen, sondern vor allem mit ihnen interagieren und dabei auf sie eingehen. Dadurch kommen sie im wahrsten Sinne des Wortes auf eine "Wellenlänge" – und die Kommunikation läuft besser. In unserer Forschung wollen wir herausfinden, wie man Kindern möglichst optimale Bedingungen für das Lernen in sozialen Interaktionen bietet. Dabei fokussieren wir auf die frühe Kindheit. Denn in den ersten Lebensjahren werden wichtige Weichen für die spätere Entwicklung gestellt. 

Stefanie Höhl ist seit September 2017 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Wien. Sie ist Leiterin des Arbeitsbereichs Entwicklungspsychologie, stellvertretende Vorständin des Instituts für Psychologie der Entwicklung und Bildung und Vizedekanin der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Ihre Forschungsinteressen sind die neuronale und behaviorale Synchronität während sozialer Interaktionen, funktionale Relevanz neuronaler Rhythmen, soziales Lernen und Kommunikation in der Entwicklung sowie die Entwicklung der Wahrnehmung von Gesichtern, Emotionen und der Blickrichtung. (© Petra Schiefer)