An Österreichs Schulen spricht man mehr als nur ein Deutsch

An Österreichs Schulen werden nicht nur verschiedene Sprachen gesprochen, sondern auch mehr als nur ein Deutsch: einer Studie von Rudolf de Cillia und Jutta Ransmayr zufolge verwenden LehrerInnen wie SchülerInnen neben der Standardsprache im Unterricht auch Umgangssprache und Dialekt.

Zweieinhalb Jahre sind die WissenschafterInnen für das FWF-Projekt "Das österreichische Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache" per Fragebogen, in Interviews, Gruppendiskussionen und Unterrichtsbeobachtung der Frage nachgegangen, welche Rolle das österreichische Deutsch und seine verschiedenen Varianten im Unterricht spielen. Dabei zeigte sich, dass alle drei sogenannten Varietäten (Standard-, Umgangssprache, Dialekt) in der Schule wichtig sind. Ausnahme ist Vorarlberg: Hier spielt Umgangssprache – eine etwas saloppere Ausdrucksweise zwischen Standardsprache und Dialekt – kaum eine Rolle. Ähnlich wie in der Schweiz wechseln die SchülerInnen dort meist zwischen den beiden Extrempolen Standarddeutsch und Dialekt.

Demographische Kontraste

SchülerInnen verwenden dabei laut LehrerInnen-Befragung mehr Umgangssprache und Dialekt als ihre PädagogInnen. Unterschiede gibt es auch nach Region: SchülerInnen in Ostösterreich setzen stärker auf die Standardsprache. LehrerInnen haben sogar beobachtet, dass es für manche SchülerInnen in Westösterreich eine Herausforderung ist, ein Referat in der Standardsprache zu halten. "Wichtig wäre ein reflexiver Umgang mit Varietäten und situativen Normen im Unterricht und dass alle SchülerInnen Sicherheit in der Verwendung der Standardsprache erlangen", resümiert Ransmayr die Ergebnisse der Lehrerbefragung.

Deutliche Unterschiede je nach Schultyp

85 Prozent der LehrerInnen nutzen in der Klasse laut eigenen Angaben beim Vortragen von Lernstoff die Standardsprache, beim Erteilen von Arbeitsaufträgen tun das noch zwei Drittel. Geht es um disziplinäre Fragen oder Organisatorisches, wechselt hingegen ein guter Teil der LehrerInnen in die Umgangssprache oder den Dialekt (52 bzw. 40 Prozent). Nach Schultypen gibt es allerdings auch beim Vortragen des Stoffs signifikante sprachliche Unterschiede: LehrerInnen von Hauptschulen bzw. Neuen Mittelschulen (NMS) tendieren stärker zu Umgangssprache als Volksschul- und AHS-LehrerInnen. LehrerInnen, die Deutsch sowie eine weitere Sprache unterrichten, orientieren sich indes sehr stark an der Standardsprache. Auch an den Universitäten ausgebildete LehrerInnen setzen stärker auf Standardsprache als jene, die an Pädagogischen Hochschulen (PH) ausgebildet wurden. Ein weiterer Befund: Jüngere LehrerInnen tendieren eher zur Umgangssprache als ältere und verwenden auch eher Deutschlandismen wie etwa "Junge" statt "Bub".

Mangelndes Bewusstsein bei SchülerInnen und LehrerInnen


Projektleiter de Cillia sieht dringenden Bedarf, die Varietäten des Deutschen in Österreich im Unterricht bewusst zu thematisieren. Vorrangige Aufgabe der Schule sei es zwar, die Normen einer korrekten Standardsprache zu vermitteln, aber nicht nur das: "Es geht darum, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich authentisch auszudrücken. Man muss ihnen auch vermitteln, dass jede Sprachform – Standardsprache, Umgangssprache, Dialekt – legitim ist, wenn sie der Situation angemessen ist."

Geht es nach den ForscherInnen, sollten außerdem sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen sich intensiver mit den verschiedenen Varietäten des Standarddeutsch – etwa jenes in Österreich, Deutschland, der Schweiz – auseinandersetzen und sich dessen bewusst werden, dass es nicht nur ein einziges korrektes Deutsch gibt, sondern eben mehrere Varietäten davon. In Lehrplänen, Lehrbüchern und der PädagogInnenenausbildung findet derzeit laut de Cillia nur eine vage Beschäftigung mit dem Begriff des österreichischen Deutsch bzw. Deutsch in Österreich statt. Der überwiegenden Mehrheit der LehrerInnen (85 Prozent) sei sogar das Konzept der Plurizentrik nicht einmal bekannt, das besagt, dass eine Sprache in mehreren gleichwertigen Standardvarietäten vorkommen kann.

Austriazismen versus bundesdeutsche Ausdrücke

Dabei, so de Cillia, sei das österreichische Deutsch enorm wichtig als identitätsstiftendes Element. Ein Beleg dafür sei, dass anlässlich des EU-Beitritts Österreichs in einem Protokoll die Gleichstellung von 23 Austriazismen mit bundesdeutschen Ausdrücken festgeschrieben wurde. Gleichzeitig hat sich in der Untersuchung ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl österreichischer SchülerInnen wie LehrerInnen in Bezug auf ihre Standardsprache gezeigt: Zwar bejahen 80 Prozent der LehrerInnen und 68 Prozent der SchülerInnen die Frage, ob es ein österreichisches Standarddeutsch gibt; außerdem ist die überwiegende Mehrheit der Ansicht, dass ein überregionales österreichisches Standarddeutsch existiert, das sich vom Deutsch Deutschlands in manchen Bereichen klar unterscheidet. Allerdings lehnen nur 44 Prozent der LehrerInnen und 32 Prozent der SchülerInnen die Feststellung "Deutsches Deutsch ist korrekter als österreichisches Deutsch" dezidiert ab; der Rest stimmt der Behauptung in unterschiedlicher Intensität zu.

Der Dialekt lebt weiter

Auch wenn diese Daten ein zum Teil ambivalentes sprachliches Selbstbewusstsein widerspiegeln und die ForscherInnen gleichzeitig konstatieren, dass unter SchülerInnen wie jüngeren LehrerInnen in bestimmten Bereichen "Austriazismen" durch "Deutschlandismen" ersetzt werden (z.B. die E-Mail, die Cola, die Eins), sieht de Cillia den Erhalt des österreichischen Deutschs nicht grundsätzlich gefährdet: "Die SchülerInnen verwenden die Varietät, die sie durch die Eltern, die Schule und die Medien vermittelt bekommen."(APA/hma)