Die Hinterlassenschaften der Kelten

ArchäologInnen werden oft als AbenteurerInnen dargestellt, die in exotischen Gegenden wertvollen Relikten aus vergangenen Zeiten hinterherjagen. Dass sich hinter dieser Tätigkeit ein beinharter Arbeitsalltag verbirgt, der neben anstrengenden Ausgrabungen auch die langwierige und gelduldsame Aufarbeitung von Fundstücken umfasst, zeigt das aktuelle Forschungsprojekt von Gerhard Trnka und Maciej Karwowski am Institut für Ur- und Frühgeschichte: In akribischer Kleinarbeit werden an die 100.000 archäologische Materialien der keltischen Höhensiedlung am Oberleiserberg archiviert, dokumentiert und somit für eine weitere Analyse aufbereitet.

"Der Oberleiserberg bei Ernstbrunn gehört zu den wichtigsten archäologischen Fundstellen Ostösterreichs", sagt Gerhard Trnka, stellvertretender Vorstand des Instituts für Ur- und Frühgeschichte. Im Laufe der langjährigen Ausgrabungen konnten dort zahlreiche sowohl ur- als auch frühgeschichtliche Besiedlungsspuren entdeckt werden. Die ältesten davon reichen bis zur Jungsteinzeit (ab ca. 4500 v. Chr.) zurück, die jüngsten wurden in die frühe Neuzeit (18. Jhdt.) datiert.

Archäologische Inventur

Im Zentrum des von Trnka geleiteten Projekts stehen die späteisenzeitlichen Funde, die mit der Besiedelung der sogenannten "Latènekultur" – eine Bezeichnung für die archäologischen Hinterlassenschaften der Kelten – zusammenhängen. "Diese Stücke stellen einen wichtigen Bestandteil des Fundmaterials dar, das sowohl bei Ausgrabungen als auch durch Oberflächensammlungen gewonnen wurde. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um bisher unpublizierte Funde", betont Trnka.

Ziel des ambitionierten Vorhabens ist eine genaue Inventur und Dokumentation aller Materialien, die während zwölf Grabungskampagnen unter der Leitung von Alois Stuppner vom Institut für Ur- und Frühgeschichte in den Jahren 1996 bis 2009 gewonnen wurden. "Den Hauptteil der Funde machen ca. 25 bis 30 Tausend keramische Fragmente aus", verrät der Archäologe. Hinzu kommen rund 2.000 nicht-keramische Stücke wie etwa metallene oder gläserne Gegenstände, an die 150 Münzen sowie einige zehntausend osteologische (Tierknochen) und paläobotanische (Pflanzenreste) Funde.

Aufwändige Kleinarbeit

"Die Keramiken und Knochen werden zunächst mit Wasser gewaschen und anschließend akribisch genau inventarisiert", erklärt Projektmitarbeiter Maciej Karwowski vom Institut für Archäologie der Universität Rzeszów (Polen) die Vorgehensweise. Wenn möglich wird auch versucht, zerbrochene Gefäße, von denen nur mehr Bruchstücke existieren, zu rekonstruieren – eine mühevolle Kleinarbeit, die viel Geduld und Konzentration erfordert. "Der Großteil der Funde – vor allem der metallenen – bedarf einiger Restaurierungsmaßnahmen, und die schönsten und aussagekräftigsten Stücke müssen zusätzlich sowohl zeichnerisch als auch fotografisch dokumentiert werden. Es ist geplant, alle Funde archäologisch – also in Hinblick auf ihre Herkunft, die genaue Chronologie sowie ihre typologische und kulturelle Zugehörigkeit – zu bestimmen", fasst Karwowski zusammen.

Die auf diese Weise gesammelten Daten werden am Computer in Form einer Datenbank zusammengeführt und gespeichert. "Wir haben bis jetzt schon um die 20.000 Fundstücke in unser digitales Archiv aufgenommen und schätzen, dass diese Zahl bis zum Ende des Projekts die Hunderttausendermarke überschreiten wird", so Karwowski.

Spannende Besiedlungs- …

Aus archäologischer Sicht ist der Oberleiserberg ein ungemein spannender Ort: "Die Anhöhe ist seit Jahrtausenden ein bedeutender Siedlungsplatz gewesen, auf dem sich verschiedene Völker und Kulturen seit der Steinzeit niederließen", sagt Trnka. Nach den ältesten Fundstücken suchten die ersten Siedler das Plateau am Ende der mittleren Jungsteinzeit (ab ca. 4300 v. Chr.) auf. Bis zur Frühbronzezeit (2300 bis 1600 v. Chr.) entwickelte sich dort eine der größten Höhensiedlungen dieser Zeit in Mitteleuropa, die durch Funde wie Tongefäße, Trachtteile, Waffen und Geräte belegt ist.

Nach einer Unterbrechung von 400 Jahren wurde die Hochfläche des Oberleiserberges wieder in der Urnenfeldzeit (etwa ab 1250 v. Chr.) bewohnt. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. gehört der gesamte mittlere Donauraum zur Latènekultur, als deren Träger man die historisch überlieferten Kelten betrachtet.

… und Ausgrabungsgeschichte

Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses steht der Ort seit dem 19. Jahrhundert. Die ersten Ausgrabungen von Fachleuten und Hobbyarchäologen fanden schon in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. "Das Institut für Ur- und Frühgeschichte ist dort seit 1976 mit systematischen Ausgrabungen vertreten, die bis heute – mit einer Unterbrechung zwischen1991 und1995 – fortgesetzt werden. Ich selbst habe schon als junger Student das erste Mal am Berg mitgegraben", so der Archäologe abschließend.

Interessierte haben jederzeit die Möglichkeit, sich selbst vor Ort einen Eindruck von den archäologischen bedeutsamen Hinterlassenschaften am Oberleiserberg zu verschaffen. Heute befinden sich auf der Anhöhe eine Aussichtswarte und ein Freilichtmuseum. (ms)

Das FWF-Projekt "Die keltische Höhensiedlung am Oberleiserberg" von Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Trnka vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und Mag. Dr. Maciej Karwowski, Institut für Archäologie der Universität Rzeszów (Polen), läuft vom 1. Oktober 2010 bis zum 30. September 2013.