Die Regulierung der Kleinsten
| 06. März 2019Teilchen, die kleiner sind als der Durchmesser eines Haars – dazu forscht Thilo Hofmann vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften an der Uni Wien. Im Interview erklärt er die Risiken der Nanotechnologie und warum die bisherige EU-Regulierung wenig brauchbar ist.
uni:view: Nanoteilchen sind keine neue Erfindung – warum braucht es jetzt eine gesetzliche Regelung?
Thilo Hofmann: Natürliche Nanopartikel gibt es, seit es die Erde gibt. Im Wasser und in der Luft sind Millionen von natürlichen Partikeln, an die unser Körper gewöhnt ist. Allerdings werden technische Nanopartikel bei der Herstellung von Produkten zunehmend bewusst eingesetzt. Wir sind heute in der Lage, Stoffe auf eine Größe im Zehntausendstel-Bereich der Dicke eines Haars zu manipulieren. Hersteller ergänzen etwa eine Verpackung mit Silbernanopartikeln, damit die Wurst länger frisch bleibt, oder benutzen nano-Titandioxid für verbessere Produkteigenschaften in Sonnencreme. Aus dem Prinzip der Vorsorge macht eine Regulierung daher Sinn.
uni:view: Besteht denn eine Gefahr für VerbraucherInnen?
Hofmann: Der Begriff "Nano" ist erstmal nur eine Größe. Allerdings haben nanotechnologische Produkte möglicherweise andere Eigenschaften. Beispielsweise wird Gold als Zahnfüllung verwendet, weil es im Körper weitgehend inert ist, also keine schädigende Wirkung hat. Wenn wir Gold allerdings immer kleiner machen und die Partikel nur mehr drei Nanometer groß sind, werden sie hochreaktiv und katalytisch. Das heißt, Materialien ändern ihre Eigenschaften, wenn sie eine gewisse Größe unterschreiten. Ob ein Material toxisch wird, wenn es im Nanobereich verwendet wird, dazu forschen wir seit etwa 20 Jahren.
uni:view: Was ist der aktuelle Stand der Forschung?
Hofmann: In der Umwelt haben wir noch keine wirklich gefährlichen Nanopartikel gesehen. Betrachtet man einen einzelnen Partikel im Labor, zeigt sich oft ein gewisser Effekt, aber sobald der Partikel im Abfluss runtergespült wird und sich in der Kläranlage mit z.B. Silikaten und organischen Substanzen Flocken bildet, bleibt von diesen möglicherweise gefährlichen Nanofunktionen nichts mehr übrig. Nanofunktionen verlieren sich unglaublich schnell.
uni:view: Wie wird Nanotechnologie derzeit reguliert?
Hofmann: Nanotechnologie wird von mehreren EU-Behörden reguliert. Das führt dazu, dass es unterschiedliche Definitionen davon gibt, was ein Nanopartikel überhaupt ist. Ein Partikel wird im Bereich Kosmetik anders definiert als bei Lebensmitteln. Das ist nicht nur verwirrend, sondern schafft auch Probleme. Das größte ist, dass wir das, was jeweils definiert wird, gar nicht messen können.
uni:view: Was genau meinen Sie damit?
Hofmann: Die meisten aktuellen Definitionen besagen, dass ein Produkt "nano" ist, wenn 50 Prozent der Anzahlkonzentration im Nanobereich (1 bis 100 Nanometer) liegt. Viele Geräte erlauben es allerdings gar nicht, bis zu einer Größe von einem Nanometer zu messen. Das analytische Instrumentarium, einen Nanometer sauber in jeder beliebigen Matrix von der Sonnencreme bis zur Packerlsuppe zu messen, haben wir heute noch nicht. So werden zum einen die Verbraucher und Verbraucherinnen getäuscht, weil "nanofrei" gar nicht nachweisbar ist. Aber auch die Hersteller haben die große Unsicherheit, wann sie ein Produkt kennzeichnen müssen.
uni:view: Ist absehbar, wann in diesem Bereich gemessen werden kann?
Hofmann: Grundsätzlich können Nanopartikel in einem Reinsystem im Labor wunderbar gemessen werden. Das Problem ist das Messen in komplexen Produkten. Gemäß bisheriger Definition soll die Anzahl der Nanopartikel in fertigen Produkten, Lebensmitteln und Cremen gemessen werden und das ist in absehbarer Zeit für die unendliche Vielzahl von Nanopartikel, die es gibt, nicht möglich.
uni:view: Was wäre Ihr Lösungsvorschlag?
Hofmann: Der Bereich 1 bis 20 Nanometer bereitet uns beim Messen die größten Schwierigkeiten. Die kleinsten Nanopartikel spielen beim Gewicht kaum eine Rolle, sind aber gemessen an der Anzahl die meisten. In den USA ist man deshalb bei der Definition einen anderen Weg gegangen: nämlich nicht die Anzahl zu messen, sondern die Masse. Würde man etwa ein Prozent des Gewichts als Grenzwert festmachen, ließe sich das besser messen und abstimmen. Damit würde man eine größere Rechtssicherheit erreichen und das empfehlen wir auch in unserem aktuell im Journal Nature Nanotechnology erschienenen Paper.
uni:view: Danke für das Gespräch!
Die Publikation "Legal and practical challenges in classifying nanomaterials according to regulatory definitions" erschien am 6. März 2019 im Journal "Nature Nanotechnology". Darin geben Rechts- und UmweltgeowissenschafterInnen der Universität Wien und der Universität für Bodenkultur Wien fünf Empfehlungen für einen kohärenten und umsetzbaren Ansatz zur Regulierung von Nanotechnologie in Europa. Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen der Forschungsplattform Nano-Norms-Nature der Universität Wien und BOKU Wien in Zusammenarbeit dem Department für Umweltgeowissenschaften und dem Institut für Recht der Wirtschaft durchgeführt.