Entsandt durch die Welt/en
| 09. Dezember 2015Wie komplex Entwicklungszusammenarbeit eigentlich war und ist, zeigen Berthold Unfried und sein Mitarbeiter Eric Burton am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Ihr FWF-Projekt widmet sich entsandten EntwicklungsexpertInnen während des Ost-West-Konflikts.
Der Kalte Krieg machte sich auch in der Entwicklungszusammenarbeit bemerkbar. Zwischen den 1960er und den 1990er Jahren entwarfen die BRD wie auch die DDR Programme, um in Asien, Afrika und Lateinamerika wirtschaftliche Modernisierung und Wohlfahrt zu fördern.
Die bundesdeutsche "Entwicklungshilfe" und die "Sozialistische Hilfe" der DDR sollten aber auch die Überlegenheit von Marktwirtschaft und Konsumgesellschaft beziehungsweise der Planwirtschaft und des Realsozialismus demonstrieren. Beide Staaten präsentierten die jeweils eigene Gesellschaft als Modell.
Am 11. und 12. Dezember 2015 organisiert das Projekt "Entsandte Expert/inn/en" die internationale globalhistorische Arbeitstagung "Akteure der Entwicklungspolitik. Dreiecksbeziehungen zwischen 'Ost', 'West' und 'Süd' im Zeitalter der Entwicklung (1960-1990)" an der Universität Wien.
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Dem Wissenstransfer nachspüren
Mit der Feststellung ideologischer Gegensätze und offiziell verlautbarter Ziele lassen sich aber weder die Entwicklungsprogramme selbst noch das Handeln der beteiligten Akteure verstehen. Diesen geht das FWF-Projekt "Entsandte Expert/inn/en von Entwicklungshilfe und Sozialistischer Hilfe in Zeiten der Systemkonkurrenz" am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien auf den Grund.
Projektleiter Berthold Unfried und Prae Doc-Mitarbeiter Eric Burton widmen sich dabei dem Austausch von Personal zum Wissenstransfer – neben der Lieferung von Geld und Gütern war (und ist) dies ein wesentlicher Aspekt von Entwicklungszusammenarbeit. Dabei stehen Fallstudien zu Kuba und Äthiopien (Unfried) und Tansania (Burton) im Fokus.
Projektleiter Berthold Unfried (li.) und Projektmitarbeiter Eric Burton in ihrem Büro am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. (Foto: Universität Wien)
"Entwicklungsexperten" und "Counterparts"
Die Wissenschafter untersuchen die Beziehungen zwischen (meist männlichen) "EntwicklungsexpertInnen", die etwa die BRD und die DDR entsandten, und ihren "Counterparts", ihre Gegenüber aus den Partnerländern. In der bisherigen Forschungslandschaft ist diese Perspektive eine Besonderheit.
"Uns liegt daran, das Bild von Interaktionen im Entwicklungssektor auszudifferenzieren, von denen es viele Formen gab und gibt", erläutert Burton das Forschungsinteresse. Wenn aus der DDR und BRD Verwaltungskräfte, TechnikerInnen, ÄrztInnen oder UniversitätsdozentInnen entsendet wurden, trafen sie dort auf BeamtInnen, Parteikader und Fachpersonal. Die hier gemachten Erfahrungen unterschieden sich stark nach der Einsatzebene, die von der Regierungsberatung bis zum Freiwilligeneinsatz reichen konnten.
Präsentation des Forschungsprojekts "Entsandte Expert/inn/en von Entwicklungshilfe und Sozialistischer Hilfe in Zeiten der Systemkonkurrenz" vor ehemaligem deutschem
EZ-Projektpersonal in Tansania (Foto: Projekt "Entsandte ExpertInnen")
Komplexe Beziehungen
Berthold Unfried beschreibt anhand seiner Fallstudie zu Kuba, wie ein mehrere Kontinente und Staaten umfassendes Netzwerk entstand, innerhalb dessen Personen zirkulierten.
"Die Sowjetunion oder die DDR schickten BeraterInnen und SpezialistInnen nach Kuba, um Bildungsstrukturen aufzubauen oder Industrialisierungsprozesse durchzuführen. KubanerInnen reisten nach Angola, Mosambique, Äthiopien, um ihrerseits dort Leute auszubilden; andere arbeiteten als GastarbeiterInnen in der DDR. Afrikanische und lateinamerikanische StudentInnen wiederum gingen nach Kuba, kubanische StudentInnen in die DDR und die Sowjetunion. Solche die Welt umspannenden Zirkulationssphären lassen sich auch für die westliche Welt feststellen."
Handlungsspielräume der Entwicklungsländer
Angesichts dieser komplexen Beziehungen erscheinen sowohl Entwicklungszusammenarbeit als auch Kalter Krieg in einem neuen Licht. So versuchte Tansania beispielsweise, "sich blockfrei zu halten und sogar Ost und West gegeneinander auszuspielen. Tansania hat aus beiden Blöcken und aus China Entwicklungshilfe erhalten und Studierende in alle Welt entsendet", erklärt Burton. Unfried weiter: "Da Tansania Liebkind beider Seiten war, konnte es seine eigenen Vorstellungen auch gegen die Zielsetzungen der Geberländer durchsetzen.
"Diese widerstreitenden staatlichen Interessen, aber auch die individuellen Handlungsspielräume stehen im Zentrum der Untersuchung. Denn die einzelnen AkteurInnen handelten durchaus eigensinnig: "Wenn etwa tansanische Studierende in der DDR ihr Grundstudium absolvierten, zum Weiterstudieren in die BRD gingen und zum Arbeiten dann ganz woanders hin, waren alle übergeordneten Interessen unterlaufen", so Burton. "Aus dieser Perspektive gibt es keine aktiven Geber und passiven Nehmer mehr", fasst Unfried zusammen.
Eric Burton im Interview im Hauptquartier der tansanischen Regierungspartei mit John Chiligati, langjähriges Parteimitglied und ehemaliger Minister. (Foto: Projekt "Entsandte Expert/inn/en")
Entwicklungspolitiken der deutschen Staaten aus der Außenperspektive
Voraussetzung dieser Forschung ist ein unvoreingenommener Zugang, der sich nicht von politischen Absichten einschränken lässt. Dabei stellt sich die österreichische Perspektive als Vorteil heraus. Denn Österreich sah sich in den Zeiten aktiver Neutralitätspolitik unter Kreisky als ein entwicklungspolitischer Akteur, der nicht der Blocklogik verpflichtet war. "Während sich im wiedervereinigten Deutschland volkspädagogische Sinndeutungen der Vergangenheit von BRD und DDR auch auf die Forschung auswirken, ist für uns hier ein unbefangenerer Zugang möglich", erklärt der Projektleiter."
Schwierige Datensuche
Um aussagekräftiges Datenmaterial in den beteiligten Ländern zu finden, ist allerdings Detektivarbeit gefordert. "Selbst in einem zentralisierten Staat wie Kuba braucht man Wochen, um herauszufinden: Gibt es ein Archiv, wo ist das, wer ist verantwortlich, was gibt es dort?", beschreibt der Projektleiter die Situation. "Und dann muss man natürlich auch noch Zugang bekommen. Das ist in diesen Ländern alles andere als einfach."
Auch die Suche nach ZeitzeugInnen für Interviews gestaltet sich aufwändig. "Die Entwicklungshilfe", so Unfried, "ist eine der Haupteinnahmequellen dieser Länder, da müssen die InterviewpartnerInnen Vertrauen gewinnen, bevor sie Auskunft geben möchten." Die Wissenschafter werden daher in Äthiopien vom dort ansässigen Projektmitarbeiter Surafel Gelgelo Kumsa und in Kuba von der Mitarbeiterin Claudia Martínez Hernández unterstützt. (jr)
Univ.-Doz. Dr. Berthold Unfried, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, leitet das FWF-Projekt "Entsandte Expert/inn/en von Entwicklungshilfe und Sozialistischer Hilfe in Zeiten der Systemkonkurrenz" am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Mit ihm forscht Mag. Eric Burton. Sie werden in der Forschung durch Surafel Gelgelo Kumsa (B.A., M.A.) und Lic. Claudia Martínez Hernández unterstützt.