Singend die Sprache finden

Grafisch dargestelltes Hirn

Sprache und Musik sind im Gehirn eng miteinander verbunden. Das haben unzählige Experimente gezeigt. Wie stark diese Verbindung tatsächlich ist, untersucht Verhaltensbiologe Tecumseh Fitch in einem Clusterprojekt der Uni Wien und der MedUni Wien.

Sprache spielt sich in der linken, rationalen Gehirnhälfte ab, während Musik vor allem für die rechte, emotionale relevant ist. So lautet die weitverbreitete Binsenwahrheit. Aber stimmt das auch?

"Sprache findet überall in unserem Gehirn statt. Obwohl die Schädigung von bestimmten Gehirnregionen wie dem Broca-Areal und Wernicke-Areal spezifische Effekte auf die Produktion und das Verständnis von Sprache haben, gibt es keine Hirnregion, von der wir sagen können, dass Sprache nur dort produziert wird", erklärt Tecumseh Fitch. Laut dem Leiter des Departments für Verhaltens- und Kognitionsbiologie ist unser Gehirn also viel komplexer, als das alte Stereotyp ihm zugesteht. "In beiden Gehirnhälften liegen, sowohl vorne als auch hinten, viele verschiedene für Sprache wichtige Regionen. Und erst die Interaktion zwischen diesen macht entweder Musik oder Sprache möglich." Denn Sprache funktioniert, ebenso wie Musik, durch im Gehirn miteinander verbundene Netzwerke – und nicht in säuberlich voneinander getrennten Regionen. 

Durch Musik Sprechen lernen

Gemeinsam mit Roland Beisteiner von der Medizinischen Universität Wien leitet Fitch das interuniversitäre Clusterprojekt "Sprach- und Musikressourcen des Gehirns". Die Forscher gehen dabei der "Shared Resources"-Hypothese nach. Also der Frage, inwieweit sich die neuronalen Netzwerke für Sprache und Musik miteinander überlappen und wie man diese Verbindung als Therapiemethode für Aphasiepatient*innen nutzen kann. 

Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die nach einer Läsion des Gehirns eintritt und bei der die betroffene Person ihre sprachlichen Fähigkeiten zum Teil oder ganz verliert. Demenz, Schlaganfälle und Gehirnschäden durch zum Beispiel Autounfälle zählen zu den häufigsten Ursachen für Aphasie. Die Art und Weise, wie sich dieser Sprachverlust äußert, unterscheidet sich von Person zu Person. 

Musik gehört nämlich zu einer der weitverbreitetsten Behandlungsmethoden für Aphasie, also Sprachverlust. "Wenn jemand zum Beispiel aufgrund eines Schlaganfalls an Aphasie leidet, kann diese Person zwar nicht sprechen, behält dafür aber oft ihre Fähigkeit zu singen. Diesen Umstand können wir nutzen, um die betroffene Person wieder zum Sprechen zu bringen. Und zwar indem wir ihre musikalischen Fähigkeiten im Rahmen der Musikalischen Intonationstherapie trainieren", schildert der Verhaltensbiologe. Der Erfolg dieser Therapie hängt jedoch von der entscheidenden Frage ab, inwiefern die Prozesse von Sprache und Musik im Gehirn denselben Mustern folgen. "Und in unserem interdisziplinären Projekt geht es nun darum, eine Antwort auf diese Frage zu finden", so Fitch.

Entwicklung neuer Methoden

Dafür arbeiten Fitch und Beisteiner sowohl mit Menschen, die unter Aphasie leiden, als auch mit gesunden Personen. Letztere spielten vor allem in der ersten Phase des Projekts eine wichtige Rolle: Die Wissenschafter untersuchten zum Beispiel mithilfe eines fMRI-Scanners (Funktionelle Magnetresonanztomographie) und Brain Imaging verschiedene Aspekte von Musik im Gehirn. "Wir wollten unter anderem wissen, in welchem Ausmaß ein Pfeifen, Summen oder Sprechen die gleichen Bereiche des Gehirns aktiviert", erklärt Fitch. 

Tecumseh Fitch und Sarah Deventer

Tecumseh Fitch und Sarah Deventer koordinieren das Doktoratskolleg "Cognition and Communication II" am Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie. Seit Oktober 2017 bietet die Uni Wien mit diesem DK eine strukturierte Einführung in die Disziplin der Kognitionsbiologie an. Neben der Betreuung der Doktorarbeit werden den Studierenden eine Reihe verschiedener Soft Skills vermittelt. Um teilnehmen zu können, müssen Doktorand*innen einen strengen Screening-Prozess durchlaufen. (© Salme Taha)

Momentan sind Fitch und Beisteiner dabei, in die klinische Phase des Projekts überzugehen. Hier liegt ihr Fokus vor allem auf Patient*innen, die ihre sprachlichen Fähigkeiten aufgrund von Demenz verloren haben. Dabei greifen sie auf Transkranielle Pulsstimulation (TPS) zurück – eine neue Hirnstimulationsmethode, welche von der Medizinischen Universität Wien im Team von Roland Beisteiner 2012/13 entwickelt worden ist. Diese erlaubt den Forschern, bestimmte Gehirnregionen auf spezifische Art zu aktivieren. 

Das Sprachtraining verbessern

"Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie in Individuen wollen wir schließlich herausfinden, welche Bereiche in die Produktion von Musik und Sprache involviert sind – und damit die Funktionen dieser Bereiche während des Trainings verstärken", erklärt Fitch die neue Methode. Solange diese Phase aber noch nicht abgeschlossen ist, will der Kognitionsbiologie nichts vorwegnehmen. Wer mehr erfahren will, muss also den ersten Forschungsbericht des Clusters abwarten. (st) 

"Sprache ist ein bedeutender Teil dessen, was uns zu Menschen macht. Die Forschung zeigt, dass sich die Kognition von Menschen und Tieren in vielen Aspekten gleicht. Tiere haben Emotionen, Überzeugungen, Pläne und Erinnerungen. Sie haben aber eine eingeschränkte Art, diese mit anderen zu teilen. Sprache gibt uns Menschen hingegen die Möglichkeit, Gedanken auszudrücken. Ohne Sprache wäre die menschliche Kultur und Technologie nicht dort, wo sie heute ist", antwortet Fitch auf die aktuelle Semesterfrage.

Das Clusterprojekt "Sprach- und Musikressourcen des Gehirns" läuft unter der Leitung von Univ.-Prof. William Tecumseh Sherman Fitch, PhD vom Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien und Ao.Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr.med.univ. Roland Beisteiner von der Medizinischen Universität Wien.