"Medienkompetenz ist für das Funktionieren einer liberalen Demokratie wichtig"

2016 startete an der Uni Wien ein neuer Masterstudiengang mit dem vielversprechenden Namen "Zeitgeschichte und Medien". Was steckt dahinter? uni:view sprach mit Leiter Oliver Rathkolb und der ersten Absolventin Florence Klauda u.a. über Medienkompetenz und die Unabhängigkeit österreichischer Medien.

uni:view: Das Masterstudium "Zeitgeschichte und Medien" gibt es seit dem Wintersemester 2016. Was hat Sie damals bewogen, den Studiengang ins Leben zu rufen?
Oliver Rathkolb: Dem ging ein Beschluss der Universität Wien voraus, anstelle von kleinen Masterstudiengängen neue interdisziplinäre Master zu initiieren. Diese Herausforderung haben meine KollegInnen und ich gerne angenommen. Wenn man zeitgeschichtliche Forschung und politische Bildung ernstnimmt, muss man sich intensiv mit der Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Medien auseinandersetzen. Gemeinsam mit der Publizistik, Politikwissenschaft, Soziologie, Judaistik, Theater, Film- und Medienwissenschaft und der europäischen Kulturanthropologie haben wir daher den Master "Zeitgeschichte und Medien" konzipiert. Dieser wurde seit seinem Start im Wintersemester 2016 sehr gut von den Studierenden angenommen, und wir freuen uns, mit Florence Klauda die erste Absolventin zu haben.

uni:view: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Abschluss! Was hat Sie motiviert, sich für den Master zu inskribieren?
Florence Klauda: Ich habe an der Universität Wien meinen Bachelor in Geschichte gemacht. Herr Rathkolb hat mir dann einen Flyer des neuen Masters in die Hand gedrückt. Mich hat begeistert, dass so viele Institute eingebunden sind, wodurch die Studierenden verschiedene Fachdisziplinen und ihre Arbeitsweisen kennenlernen. Mein Anreiz war u.a. zu erfahren, wie Medien abseits der Geschichte erforscht werden.

Am 14. Dezember fand die erste MA-Prüfung im Master "Zeitgeschichte und Medien" statt. Absolventin Florence Klauda schrieb ihre Abschlussarbeit zum Thema "Demokratie lernen zwischen 1945 und 1971. Parteinahe Jugendzeitschriften als Spiegel des österreichischen Demokratieverständnisses". Im Bild: Florence Klauda und Studiengangsleiter Oliver Rathkolb. (© Universität Wien)

uni:view: Praxisbezug hat bei dem Master einen entscheidenden Stellenwert. Wie schaut dieser konkret aus?
Rathkolb: Als ersten Schritt haben wir eine Vorlesungsreihe gestartet, bei der führende JournalistInnen aus Österreich mit unseren Studierenden in Interaktion treten. Jüngst waren beispielsweise Rainer Novak, der Chefredakteur der Presse, und Martin Kotynek, der Chefredakteur des Standard, bei uns.
Unser langfristiges Ziel ist es, den Kosmos Universität aufzubrechen und stärker in die Medienwelt hinaus zu gehen. Angedacht sind u.a. Exkursionen in ausländische Medienredaktionen.

uni:view: Aus Studierendensicht: Was könnte am Studiengang noch optimiert werden?
Klauda: Das Studienangebot seitens der Partnerinstitute könnte noch verbreitert werden. Aber das geschieht sicherlich noch, am Anfang muss sich das Ganze ja erst einmal einspielen. Ich fand die Vorlesungen der JournalistInnen sehr spannend. Auf diese Weise erhält man gute Einblicke in die Medienwelt und Inspiration, in welchen Bereichen man selbst einmal arbeiten könnte.

uni:view: Ist die Vermittlung von Medienkompetenz wichtig für das Funktionieren einer Demokratie?

Rathkolb: Wichtiger denn je, in meinen Augen. Wir beklagen heutzutage die niedrigen Wahlbeteiligungen, dass nur mehr emotionale Politik und die Frage, wer den öffentlichen Raum aggressiver bedienen und mobilisieren kann, über Wahlergebnisse entscheiden. Als Gegengewicht die Fahne einer neuen, zweiten Aufklärung durch kritische Medienkompetenz hochzuhalten, ist ein Beitrag zum Funktionieren einer liberalen Demokratie. Insofern freue ich mich sehr über den gut funktionierenden Masterstudiengang.
 
Klauda: Medienkompetenz müsste allerdings schon viel früher vermittelt werden. Wenn man in Richtung Schulen blickt, haben meiner Meinung nach viele LehrerInnen nicht unbedingt das nötige Fachwissen. Meine Geschwister sind deutlich jünger als ich. Wenn sie in der Schule über Medienkompetenz sprechen, geht es nie um Zeitungen, sondern ausschließlich um Social Media. Da stellt sich dann eine Lehrerin oder ein Lehrer vor die Klasse und mahnt zur achtsamen Nutzung von Facebook. Dann lacht der ganze Klassenraum, denn "was wissen die LehrerInnen schon über Facebook". Meiner Meinung nach sollten die Schulen bei der Vermittlung von Medienkompetenz stärker auf bestehende Initiativen zurückgreifen. Es gibt beispielsweise die Organisation Reporter ohne Grenzen, deren ExpertInnen in die Schulen gehen, um fundierte Medienkompetenz zu vermitteln.

uni:view: In welchen Berufsfeldern sehen Sie zukünftige AbsolventInnen des Masterstudiengangs?

Rathkolb: Die Möglichkeiten sind vielfältig: von der klassischen Medienbranche über Public Relations bis hin zum Lehrberuf und der politischen Bildung. Der Master liefert einen Beitrag zur politischen Medienbildung der Gegenwart und vermittelt Qualifikationen, die einen Mehrwert für viele Berufe haben.

uni:view: Wie geht es bei Ihnen jetzt weiter, Frau Klauda?
Klauda: Ich werde erst einmal beim Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) mitarbeiten und mich nach interessanten Projekten umsehen. Mir macht vor allem das wissenschaftliche Arbeiten großen Spaß, da möchte ich gerne weiter anknüpfen. Besonders ist es mir aber ein Anliegen, dass die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht nur an den Universitäten verbleiben.

Das Masterstudium "Zeitgeschichte und Medien" wurde im WS 2016 an der Universität Wien initiiert. Ziel ist es, ausgehend von zeithistorischen Entwicklungen und Fallbeispielen im Bereich internationaler und nationaler Medien im 20. und 21. Jahrhundert einen sowohl theoretisch fundierten als auch praxisorientierten Zugang zu Medien zu vermitteln. (© Universität Wien/Barbara Mair)

uni:view: Warum wird heutzutage von vielen Menschen vermehrt die Integrität von JournalistInnen und Medien in Frage gestellt?
Rathkolb: Ich sehe das als Reaktion auf eine totale Überforderung bzw. Verunsicherung an, ausgelöst durch technologische, gesellschaftliche und politische Paradigmenwechsel. Für uns HistorikerInnen ist das kein neues Phänomen: Ich schreibe gerade ein Buch über Europa zwischen zwei Globalisierungen, in dem ich die Periode Österreich-Ungarn und Europa zwischen 1850-1914 mit der Entwicklung seit Mitte der 1980er Jahre vergleiche. Im Medienbereich sind die Gesellschaften beider Perioden durch den rasanten Wandel total überfordert. Binnen einer Generation verändern sich die Lebens-, Arbeits- und Freizeitwelten so radikal wie nie zuvor in der Geschichte.

Aktuell erleben wir wieder so einen Schub in ein neues, nervöses Zeitalter, mit einem Paradigmenwechsel im Medienkonsum. Junge Menschen schauen heute kaum noch Fernsehen; sie beziehen ihre Informationen aus ganz anderen Kanälen als noch ihre Eltern und Großeltern. Um gegen die Verunsicherungen anzukämpfen, bedarf es wieder einer ruhigen, auf Recherche und Analyse aufbauenden Medienwelt. Die allerdings anders kommuniziert werden muss: Ein guter Tweet, ein gutes Foto sind häufig viel effektiver als eine klassische Essaygeschichte.

uni:view: Wie unabhängig sind die österreichischen Medien?
Rathkolb: So komisch es klingt: Ich glaube, dass die Medien in den letzten Jahren eine größere Distanz zur Politik bekommen haben. JournalistInnen stehen heutzutage stärker unter Beobachtung, nicht zuletzt durch Social Media. Aber natürlich gibt es auf der Hinterbühne nach wie vor Abhängigkeitsverhältnisse, vor allem im Anzeigen- und Werbebereich. Zudem gibt es starke Gegenöffentlichkeiten, die diesen konventionellen Bereich gar nicht mehr benötigen. Die FPÖ kann theoretisch sowohl auf die Kronenzeitung als auch den ORF verzichten, weil sie ein eigenes Medienimperium mit dazugehörigem TV-Sender aufgebaut hat.

Ein großes Problem sehe ich eher in dem massiven Spardruck auf klassische Printmedien und zunehmend auch auf den ORF. So fehlt die Zeit für längere, solide Recherchen. Diese Zeit wieder einzufordern, Tempo herauszunehmen und Qualität zu gewährleisten, ist die große Herausforderung der Gegenwart. Dazu gehört auch die richtige Art der Kommunikation. Es gibt BloggerInnen, die haben wesentlich mehr Medien-Impact als jede Qualitätszeitung oder jeder Fernsehsender. Der amerikanische Präsident regiert mittels eines simplen Twitter-Accounts und treibt die Medienwelt vor sich her. Den Menschen da wieder Antworten zu geben und Bewusstsein zu wecken, ist demokratiepolitisch gesehen sehr wichtig.

uni:view: Noch einmal pointiert zusammengefasst: Warum empfehlen Sie Studierenden den Masterstudiengang "Zeitgeschichte und Medien"?
Klauda: Der Master bietet Studierenden die Möglichkeit, sich breit aufzustellen. Auch für HistorikerInnen ist es wichtig zu wissen, was außerhalb des eigenen Fachs an Forschung passiert.
Rathkolb: Wer im 21. Jahrhundertnach wie vor die Ansicht vertritt, dass die liberale Demokratie das schwierigste, aber gleichzeitig optimalste Regierungs- und Politiksystem ist, der sollte den Master studieren.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (mw)