Post aus Zentralasien: Die Reise beginnt
| 03. Juli 2015Von Wien nach Zentralasien: 24 Studierende des Instituts für Geographie und Regionalforschung reisen zwei Wochen lang durch Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan. Für uni:view berichten sie von ihren Erlebnissen.
In Almaty, der ehemaligen Hauptstadt Kasachstans – 1994 wurde die Hauptstadt nach Astana im Norden des Landes verlegt – beginnt unser erster Exkursionstag in Zentralasien. Die zugleich größte Stadt Kasachstans ist umgeben von den 4.000ern des Tien Shan, einer Gebirgskette, welche uns auf unserer weiteren Reise noch an einigen Punkten wieder begegnen wird. Almaty zählt offiziell 1,5 Millionen EinwohnerInnen, inoffiziell wird jedoch von über 2 Millionen gesprochen, vor allem aufgrund der vielen unregistrierten ArbeitsmigrantInnen aus den ländlichen Regionen des Landes. Was nehmen wir mit aus Almatys Stadtbild? Sowjetische Prunk-Architektur, vom Reißbrett geplante Straßenführungen und großzügige Grünanlagen – Senkov, ein Architekt der ehemaligen Sowjetunion, hat sich hier verewigt.
Gruppenfoto vor der Senkov-Kathedrale in Almaty. (Foto: Judith Schnelzer)
Viel Erfolg, Kasachstan, beim Überholen von Dänemark!
Kasachstan will in die Top 30 der entwickeltesten Länder der Welt. Wie soll das gelingen? Die 2050-Strategie von Kasachstan soll hier ansetzen. Michael Müller, Leiter des Außenwirtschaftscenters der Wirtschaftskammer Österreich in Kasachstan, berichtet bei einem persönlichen Treffen über die wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs in Zentralasien. Die Wirtschaft Kasachstans baut hauptsächlich auf Bodenschätzen auf, insbesondere Erdöl nimmt hier einen hohen Stellenwert ein. Die OMV ist mit 10.000 Barrel pro Tag der wichtigste Energieabnehmer und zugleich Investor aus Österreich. Seit 2010 versucht man die verarbeitende Industrie in Kasachstan, welche noch eher mäßig ausgeprägt ist, zu stärken und somit die Wertschöpfungskette im Land zu halten. Hier sieht Michael Müller eine Chance für Kasachstan.
Gespräch mit Michael Müller, Wirtschaftskammer Österreich (WKO). (Foto: Schnelzer Judith)
Erster Grenzübergang – keine Probleme
Der zweite Morgen beginnt mit einem Besuch bei der European Bank for Reconstruction and Development (EBRD): Eine internationale Bank, die ehemals sozialistische Länder beim Übergang zur Marktwirtschaft unterstützt. Auf der Weiterfahrt und unterwegs auf extrem schlechten Straßen in Richtung Kirgistan verändert sich das Kulturlandschaftsbild. Mit der kasachisch-kirgisischen Grenze lösen die Jurten, Behausung von Halbnomaden, jene zahlreichen Statuen am Straßenrand ab, die die nationale Identität Kasachstans symbolisieren. Es ist soweit: auf Schotterstraßen erreichen wir den Grenzübergang. Kasachische Zollbeamte und Drogenspürhunde, die ihren Auftrag sehr ernst nehmen, begrüßen unseren Reisebus und nehmen mit strengen Gepäckkontrollen ihren kirgisischen Kollegen 20 Meter weiter die Arbeit ab.
Am Grenzübergang zwischen Kasachstan und Kirgistan. (Foto: Schnelzer Judith)
Eine der größten Goldminen der Welt: die Kumtor-Goldmine
Am Dienstag besuchen wir das Info-Center der Kumtor-Goldmine des kanadischen Konzerns Centerra Gold Inc. in Kirgistan, eine der größten Minen der Welt. Diese war vor einigen Jahren aufgrund ökologischer Zwischenfälle international in den Schlagzeilen. Dennoch ist die Goldmine einer der wichtigsten Arbeitgeber in Kirgistan. Gegenwärtig gibt es in der Mine 2.500 Beschäftigte, 90 Prozent davon sind kirgisische Staatsbürger. Laut Angaben im Info-Center Barskoon verdient ein Mitarbeiter 1.000 bis 3.000 US Dollar pro Monat (das kirgisische Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 300 US Dollar). Soziale Projekte, wie zum Beispiel der Barskoon Kindergarten oder die Sicherung von Wasserpumpen, werden, wie uns offiziell vermittelt wird, durch den Konzern realisiert.
Bei einer Rast an einem kleinen Bach gibt es Melone. (Foto: Judith Schnelzer)
Tien-Shan, die Zweite
Entlang des Issyk Kul Sees, dem zweitgrößten Gebirgssee nach dem Titicacasee in Südamerika, und entlang des Tien-Shan Gebirges im Hintergrund, führt uns der Weg nach Bishkek, der Hauptstadt Kirgistans. Die sechsstündige Busfahrt von einer Seehöhe von 1.600 Meter auf 800 Meter ist eine sehr beeindruckende Fahrt mit einer kurzen Abkühlung im Issyk Kul.
Abkühlung im Issyk Kul. (Foto: Institut für Geographie und Regionalforschung)
Bishkek Reloaded
Das Stadtbild in Bishkek ähnelt jenem von Almaty. Die Stadt wurde in der Sowjetzeit geplant, was sich am Straßenverlauf im Schachbrettmuster und an der Architektur der Gebäude widerspiegelt. Symbol für das neue kirgisische Selbstbewusstsein sind zahlreiche Monumente, wie die des Nationalmythos "Manas" und des Literaten Tschingis Aitmatow.
Denkmal an den Zweiten Weltkrieg und das "Ewige Feuer" in Bishkek. (Foto: Wolfgang Prunner)
Zentralasien im Fokus der Big Player: ein Machtspiel
Mittwochvormittag steht im Zeichen der europäischen Beziehungen zu Zentralasien sowie der Einflussnahme der EU in Kirgistan. Zu Beginn besuchen wir den österreichischen Honorarkonsul Nikonov, dessen Fokus auf dem Aufbau von wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Kirgistan liegt.
Johannes Stenbaek Madsen empfängt uns im Büro der hiesigen EU-Delegation in Bishkek und führt uns in das breite Spektrum der Projekte und Programme der Europäischen Union in Kirgistan ein. Schätzungsweise 184 Millionen Euro werden im Zeitraum 2014 bis 2020 zur Verfügung gestellt, um Armut zu reduzieren, und die Demokratie und nationale Sicherheit nachhaltig zu entwickeln und zu stärken. Dagegen erzählt Madsen von Investitionen seitens Russlands in Milliardenhöhe für die eurasische Wirtschaftsunion.
Johannes Stenbaek Madsen, EU-Delegation Kirgistan. (Foto: Wolfgang Prunner)
Weiter geht es am Mittag zur deutschen Hanns-Seidel-Stiftung. Ein Pärchen in traditionell kirgisischer Tracht und Borsok empfängt uns herzlich.
Pärchen in traditioneller kirgisischer Tracht. (Foto: Judith Schnelzer)
In einem Gespräch mit dem Vertreter der Stiftung in Zentralasien, Max Georg Meier, erfahren wir das Ziel der Niederlassung: Dort wollen sie fachlich geschultes Personal für den kirgisischen Verwaltungsapparat aus- und fortbilden und Bewusstsein für das national weit verbreitete Problem der Korruption bilden. "Obrigkeit steht hier unter kirgisischer Mentalität stets unter Kritik", sagt Meier. Trotzdem gibt es im einzigen ansatzweise "demokratischen" Land Zentralasiens noch viel zu tun.
Die Professoren Martin Heintel und Gerhard Strohmeier mit traditionell kirgisischem Hut. (Foto: Lengheim Fabian)
"In 20 Jahren wurde die ganze Wirtschaft vernichtet", Honorarkonsul Nikonov – zu diesem Ergebnis kommen einige der Experten, die wir besucht haben. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, war es für die neu entstandenen Staaten schwer möglich die Systeme eigenständig weiterzuführen. Russland versucht weiterhin, seine monopole Machtstellung zu erhalten, während China fast ausschließlich Interesse an den Rohstoffen zeigt. Aufgrund der geographischen Lage und der großen Gegenspieler spielt die EU hingegen eher eine untergeordnete Rolle. Auch die Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage in Kirgistan zeigen, dass 90 Prozent der Befragten Russland, gefolgt von Kasachstan, Türkei und China, als größten Einflussfaktor der Region betrachten, erzählt Madsen.
Fortsetzung folgt!
AutorInnen: Judith Schnelzer, Nicole Hauder, Michael Ritzinger, Boris Milanovic, Maria Eipeldauer, Michael Kitl
Im uni:view-Dossier "Post aus Zentralasien" berichten die TeilnehmerInnen der Exkursion des Instituts für Geographie und Regionalforschung laufend über ihre Erfahrungen.