Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Selbstreflexion eines Faches

Am 11. und 12. September 2015 fand am Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache des Instituts für Germanistik die Tagung "Normative Grundlagen und reflexive Verortungen im Feld DaF und DaZ" statt. Zwei Tage lang wurden Theorie und Praxis der jungen Disziplin reflektiert und neu gedacht.

Migration und Flüchtlingsströme, Integration und Sprachkurse – die Schlagzeilen der letzten Wochen drehen sich um die gleichen Themen. Es zeigt sich: Das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ist gefragt wie noch nie. Anlass genug, dass vergangenes Wochenende rund 130 BesucherInnen auf der Tagung "Normative Grundlagen und reflexive Verortungen im Feld DaF und DaZ" in mehreren Panels und Workshops die gesellschaftliche Verantwortung und das Selbstverständnis des Faches reflektierten.

Stereotype in Lehrwerken

In dem Panel "Suche nach dem utopischen Moment" stellte Hannes Schweiger, Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik, die Frage nach der "Überwindung des natio-ethno-kulturellen Paradigmas" und unterzog Praktiken und Materialien sowohl aus dem DaF- als auch dem DaZ-Bereich einer kritischen Sichtung. "In vielen Lehrwerken werden Stereotype verfestigt und reproduziert, indem 'Kulturen' homogenisiert, polarisiert und schließlich hierarchisiert werden", so Schweiger. Er fordert daher eine Selbstreflexion der Lehrenden und ein stetiges Bewusstmachen nationaler, ethnischer oder kultureller Zuschreibungen im Unterricht ein.

"Die Gesellschaft in vielen Deutsch-Lehrwerken ist weiß und lächelt. In diesem Lehrwerk gibt es nur eine Person, die von diesem Schema abweicht – und das ist die tätowierte, grimmig schauende Person mit dunkler Hautfarbe. Ein typisches Beispiel für stereotypisierendes Material", so Hannes Schweiger. (Foto: Schote, Joachim: Pluspunkt Deutsch. Österreich. B1. Cornelsen 2012, 19.)


Kulturreflexives Lernen mit authentischem Material

Doch die Suche nach dem utopischen Moment sollte nicht ergebnislos sein: In seinem Vortrag machte er auf die Gegenüberstellung von "them" und "us" ("Wir" und "Nicht-Wir") aufmerksam und versuchte, nationale Zuschreibungen und heteronorme Paradigmen zu entlarven und so zu dekonstruieren. Nach einer kritischen Analyse stellte Schweiger meist aus dem Alltag stammendes und nicht eigens für Lehrwerke konzipiertes Material vor, das ein kritisches und kulturreflexives Lernen ermöglicht.

"Ich dreh ständig ein Ding", sagt David, Regisseur und Editor. Die Plakatserie von blackaustria aus dem Jahr 2006 greift Zuschreibungen auf und setzt diese außer Kraft. "Warum nicht dieses Material im Unterricht verwenden?", fragt Schweiger und stößt damit auf Zustimmung bei der anschließenden Diskussion. (Foto: blackaustria, 2006)


Deutsch in aller Welt…


Weg vom Unterricht in Österreich und hin zu "Deutsch in aller Welt" führte anschließend Claus Altmayer, Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Leipzig. In Kamerun beispielsweise lernen rund 230.000 Menschen Deutsch – Tendenz steigend. Diese hohe Zahl an Lernenden sei laut Altmayer auf das Erbe kolonialer Strukturen zurückzuführen: "Frankreich war in Westafrika Kolonialmacht und das französische Bildungswesen wurde schlichtweg kopiert. Die steigende Tendenz an Deutschlernenden, über die sich das Auswärtige Amt so freut, ist Teil einer neokolonialen Praxis, die noch immer bestehende Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse verschleiert."

Mit einem nicht weniger kritischen Blick ging es von Westafrika gen Osteuropa. In Russland lernen mittlerweile 1,5 Millionen Menschen Deutsch – stets auch mit dem Anspruch "ein Stückchen deutschsprachige Welt" vermittelt zu bekommen. "In dieser Welt lassen sich unterschiedlichste Lebensformen finden, so auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Das positive Sprechen über Homosexualität ist in Russland jedoch nach wie vor Straftatbestand und wird nicht nur von der Regierung, sondern auch von Teilen der Gesellschaft – möglicherweise also auch von Lernenden – verfolgt", so Altmayer: "Wie können sich also DaF-Lehrende in einem politisch und moralisch normativen Umfeld positionieren?"

"Die Suche geht weiter"


Die Tagung konnte schließlich nicht alle Fragen beantworten, aber Probleme sichtbar machen und Diskurse initiieren. "Unser Fach ist in gesellschaftliche Verhältnisse verstrickt. Wir können und wollen uns nicht daraus befreien. Daher darf die Tagung kein singuläres Ereignis sein; die Suche geht weiter", hieß es abschließend im Tagungskommentar von Renate Faistauer vom Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Jürgen Spitzmüller vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien. (hm)

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